Fabian Pfisters Familie
Ich bin Fabians Vater, Andreas Pfister. Er selbst kann hier nicht Auskunft geben, denn er ist seit Geburt mehrfach behindert. Ich bin auch sein Beistand, regle alles Finanzielle für ihn.
Fabian ist 27. Er hat eine Zerebralparese, ist halbseitig gelähmt. Zudem ist er ein sogenannt atypischer Autist. Seine geistigen Fähigkeiten sind mit einem Kind von zwei bis sieben Jahren vergleichbar. Man kann mit ihm zum Beispiel kein Gespräch führen, er stellt aber Fragen und versteht Aufforderungen. Fabian versucht, so viel wie möglich selber zu machen, irgendeine helfende Hand braucht er aber für fast alles. Seit dem 18. Lebensjahr lebt er in Heimen für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung.
Ich selber bin 61, war Primarlehrer und habe mich im vergangenen Sommer frühpensionieren lassen. Meine Frau ist 60 und ebenfalls Lehrerin. Sie arbeitet noch. Unser jüngerer Sohn ist 21 – und macht gerade die Lehrerausbildung.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Einnahmen von Fabian
Insgesamt kommt Fabian auf ein Einkommen von rund 74’000 Franken im Jahr. Es setzt sich zusammen aus knapp 20’000 Franken IV-Rente, 49’000 Franken Zusatzleistungen, grösstenteils Ergänzungsleistungen, für das Leben im Heim – und etwas weniger als 6000 Franken sogenannte Hilflosenentschädigung. Letztere ist eine Unterstützung, die sich nach dem Grad der Hilfe bemisst, die eine Person im Alltag benötigt; vom Schuhebinden über die Hilfe beim Zähneputzen bis zum Zerkleinern des Pouletschenkels am Mittagstisch – jede Hilfestellung muss von der Institution, also vom Heim, belegt werden. Die IV-Rente und die Hilflosenentschädigung zahlt die IV, die Zusatzleistungen kommen vom Kanton.
Ausgaben für Fabian
Wohnen: Fabians Wohnheim kostet gut 61’000 Franken im Jahr – alles inklusive. Es ist ein schönes Heim, und die Betreuung ist gut. Fabian hat ein eigenes Zimmer, eine eigene Wohngruppe und verbringt drei Nachmittage in der Woche im Atelier, wo er zum Beispiel Kaffeebohnen mahlt, zeichnet oder Sachen stanzt. Jedes zweite Wochenende kommt er von Freitagabend bis Sonntagabend zu uns nach Hause. Dazu sieben Wochen in die Ferien. 3000 Franken von Fabians Hilflosenentschädigung gehen ans Heim, weil dort der Grossteil der Hilfeleistungen erbracht wird.
Handy: Fabian hat ein Handy, damit er uns anrufen kann, wenn etwas ist. Zum Beispiel wenn er am Wochenende selbständig mit dem Bus unterwegs ist und einen Anschluss verpasst hat. Dann müssen wir eine neue Verbindung heraussuchen. Die Abokosten betragen gut 28 Franken im Monat.
Krankenkasse: Wir zahlen 562 Franken im Monat inklusive Zusatzversicherung. Fabian ist allgemeinversichert. Weil wir alle Franchisenkosten abziehen können, zahlt er keine Franchise. Die Grundversicherung (506 Franken) erstattet die Gemeinde zurück, sie ist ein Bestandteil der Zusatzleistungen. Für die Zusatzversicherung müssen wir aufkommen.
Versicherungen: Unser Sohn ist über uns als Familie haftpflichtversichert. Sein Anteil beträgt 180 Franken im Jahr.
Steuern: Die IV-Rente ist steuerpflichtig. Durch die Abzüge, die Fabian wegen seiner Krankheit machen kann, kommt er aber auf ein Einkommen von 0 Franken, darum zahlt er nur die Kopfsteuer. Sie beträgt in Zürich 25 Franken im Jahr.
Altersvorsorge: Wie alle Nichterwerbstätigen müssen behinderte Menschen ab 20 und bis 65 den Mindestbeitrag an die AHV zahlen. Bei Fabian sind es 530 Franken im Jahr. Das ist schon ein Gedanke, den wir immer wieder haben: Was ist mit Fabian, wenn wir einmal nicht mehr sind?
Haushalt: Hier kommen vor allem Sachen zusammen, die Fabian für die tägliche Hygiene braucht: Hautcreme, Haargel, Zahnbürsten, Rasiersachen, Duschgel et cetera. Da kommen etwa 500 Franken im Jahr zusammen oder gut 40 im Monat.
Verpflegung ausser Haus: Die Wohngruppe im Heim geht jede Woche einmal ins Café, dort trinken sie eine Ovi oder essen ein Dessert. Und wenn sie zusammen einkaufen gehen, kauft sich Fabian gern Reiswaffeln. Diese Ausgaben müssen wir übernehmen. Alles in allem kostet das etwa 150 Franken im Monat.
Kleidung: Uns ist wichtig, dass Fabian gut angezogen ist. Auch ihm ist das wichtig, glauben wir. Wir schauen aber natürlich auf den Preis. An seine Prothesenschuhe müssen wir 120 Franken pro Paar dranzahlen. Er braucht spezielle Hosen mit Gummizug, die kosten mindestens 160 Franken. In den letzten Jahren hat er stark zugenommen, wegen der Medikamente und weil ihm das Gehen immer schwerer fällt und er oft im Rollstuhl sitzt. Da mussten wir viele neue Kleider kaufen. Insgesamt geben wir etwa 125 Franken pro Monat für Kleider und Schuhe aus.
Mobilität: Fabian liebt Zug- und Postautofahren. Ich glaube, es ist das Bewegtwerden, das ihm Freude bereitet. Aus dem Fenster schaut er nämlich nur selten. Am liebsten spielt er im Zug Uno. Freunde von uns und wir machen regelmässig Ausflüge mit ihm. Früher hatte er ein Behinderten-GA, das kostete 2600 Franken im Jahr. Schon teuer. Deshalb testen wir jetzt aus, ob es mit einem Verbundsabo, Halbtax und Einzeltickets günstiger kommt. Für ÖV-Reisen haben wir 1800 Franken budgetiert, inklusive Verbundsabo. Ein Gratis-GA für Menschen mit Behinderung – das fände ich eine sehr schöne Geste seitens SBB und Co.
Freizeit: Die Ausgaben von 1700 Franken pro Jahr sind vor allem für die Ausflüge, ohne Kosten für Zugbillette. Also Essen im Speisewagen, Zooeintritte, solche Sachen. Früher sind wir mit Fabian auch in die Ferien gegangen. In den Skiferien etwa hatte er einen speziellen Skibob und einen Skilehrer. Irgendwann wollte er das aber nicht mehr. Heute schläft er nur noch zu Hause oder im Heim. Da fühlt er sich wohl. Auch in die Heimferien will er nicht mit. Er ist dann immer bei uns zu Hause.
Erotik: Als erwachsener Mann hat auch Fabian sexuelle Bedürfnisse. Zum Glück wird das heute anerkannt, zumindest ideell. Im Heim gibt es eine Sexualtherapeutin. Sie ist wie wir und Fabians Hausärztin der Meinung, dass es für ihn möglich sein soll, seine Sexualität auszuleben. Einmal pro Woche geht er darum zu sogenannten Berührerinnen. Sie arbeiten in einem normalen Massagestudio, wo ansonsten Tantra- oder andere erotische Massagen angeboten werden. Für Fabian sind diese Massagen sehr wichtig. Sein aufdringliches Verhalten gegenüber jungen Frauen hat sich merklich gebessert.
Beim Geld hört allerdings die Anerkennung sexueller Bedürfnisse von behinderten Menschen auf. Eine Massage kostet 170 Franken, pro Jahr macht das fast 8200 Franken. Diese Kosten übernimmt niemand. Wenn wir Fabian ein Sexualleben ermöglichen wollen, müssen wir das selber zahlen. Ich habe es bei der Krankenkasse probiert, bei der Pro Infirmis und bei allen möglichen Stiftungen. Alle bejahen, dass Menschen wie Fabian sexuelle Erlebnisse haben sollen, aber niemand fühlt sich für die Finanzierung zuständig.
Notfall-Spitex-Einsätze: Etwa sechsmal im Jahr kommt die Notfall-Spitex zum Einsatz. Zum Beispiel wenn Fabian unterwegs uriniert oder einstuhlt, weil er es zu spät merkt, und wir nicht kommen können. Wenn das Heim ausrückt, hiess das bis vor einigen Monaten, dass er nachher nicht mehr rauskann und auf der Wohngruppe bleiben muss. Das wollte Fabian bis vor kurzem um jeden Preis vermeiden. Darum verlangte er in solchen Fällen vehement die Notfall-Spitex, die ihn auf einer öffentlichen Toilette säubert. Danach konnte er weiterreisen. Ein solcher Einsatz kostet jeweils mindestens 150 Franken, dazu kommt der jährliche Mitgliederbeitrag in der Höhe von 600 Franken. So kommen aktuell rund 1500 Franken im Jahr für die Notfall-Spitex zusammen. Diese Kosten müssen wir ebenfalls selber stemmen. Inzwischen ist es möglich, dass Fabian im Heim gewaschen wird und dann wieder rausdarf, er hat das aber noch nicht verstanden und weigert sich trotzdem ab und zu, zurück ins Heim zu gehen.
Behinderte Menschen sind gut versorgt in der Schweiz. Das ist erfreulich. Wenn sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen, wird es aber teuer für die Angehörigen. Wenn man die Ausgaben für Fabian von den Einnahmen abzieht, ergibt das ein Minus von fast 13’000 Franken im Jahr. Wir als Lehrerpaar können die 8000 Franken jährlich für eine Berührerin und die anderen Zusatzausgaben vielleicht noch aufbringen, andere hingegen nicht. Deren Kinder haben dann einfach Pech gehabt. Ich finde, in einer inklusiven Gesellschaft sollte das nicht sein.
Aufgezeichnet von Raphael Brunner