Die Pressekonferenz ist vorbei
Die Fragerunde wird beendet. Damit ist die Pressekonferenz vorbei.
Täter kommen immer wieder zu spät vom Ausgang zurück
Die UPK meldet der Polizei sofort, wenn ein Täter vom Ausgang nicht zurückkommt. Das sei ein standardisierter Ablauf. «Es kommt immer wieder vor, dass jemand zu spät vom Ausgang zurückkommt, weil es etwa Probleme auf dem Weg gab. Dann meldet sich die Person aber meist telefonisch. Zur Fahndung dürfte es etwa bei jedem 30. oder 40. Ausgang kommen», so UPK-Forensik-Direktor Henning Hachtel.
Öffentliche Fahndung zu spät?
Warum hat die Polizei nicht früher öffentlich gefahndet? Stephanie Eymann, Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements sagt, die Staatsanwaltschaft entscheide, wann man zu dieser Massnahme greife.
Ist Raphael M. ein guter Schauspieler?
Blick-Reporter Nicolas Lurati fragt, ob es denkbar sei, dass Raphael M. den Therapeuten etwas vorgespielt habe, um Vollzugslockerungen zu erhalten. «Wir erleben, dass Patienten die Symptome ihrer Erkrankung zurückhalten», antwortet Hachtel. «Aber unsere Fachpersonen sind darauf geschult, solches Verhalten zu erkennen.»
Tiefere Rückfallquote dank Behandlung
Die Rückfallquote bei behandelten schizophrenen Tätern liege deutlich unter der allgemeinen Rückfallquote, erklärt Henning Hachtel, Direktor der Klinik für Forensik der UPK.
12 vergleichbare Fälle
Aktuell würden 12 Täter mit paranoider Schizophrenie im Rahmen einer angeordneten stationären Massnahme in Basel-Stadt behandelt.
Keine elektronische Überwachung denkbar
Man wolle bei einer Vollzugsöffnung nicht auf eine elektronische Überwachung zurückgreifen, sagt Sabine Uhlmann auf die Frage eines Reporters. «Es würde den Rückfall nicht verhindern, wenn wir am Bildschirm zuschauen.»
Wichtiger sei entsprechend, dass der Täter Absprachen einhalte.
Ausgänge noch bis morgen gestoppt
Ein Reporter fragt, ob der aktuelle Fall einen Einfluss auf den Ausgang anderer Täter habe. «Bis morgen haben wir die Ausgänge gestoppt», so Michael Rolav, CEO der UPK. Danach würde man die Freigänge aber wieder ermöglichen.
Wer ist verantwortlich?
Die Fragerunde beginnt. «Wer hat die Entscheidung für den unbegleiteten Ausgang getroffen?», fragt Blick-Reporter Nicolas Lurati.
Sabine Uhlmann, Leiterin des kantonalen Straf- und Massnahmenvollzugs, sagt, man könne zum spezifischen Fall keine Auskunft geben. Ihr Departement sei aber zuständig. «Solche Entscheidungen sind breit abgestützt», versichert Uhlmann. Sechs bis acht Augen ihres Departements seien involviert. «Wir stützen uns auf einen Fragenkatalog und schreiben immer einen entsprechenden Bericht», sagt sie weiter.
Ab wann ist ein unbegleiteter Ausgang möglich?
Wenn die Medikamente anschlagen und die Symptome abklingen, der Patient verlässlich ist und sich an Absprachen hält, die Blutscreenings unauffällig seien, würde man Lockerungen überprüfen. «Erst, wenn dann noch alle früheren Lockerungsschritte erfolgreich absolviert wurden, können wir unbegleitete Ausgänge ermöglichen», sagt Henning Hachtel.
Vor dem Herauslassen aus dem stationären Bereich würde man den Täter noch einmal untersuchen und den Zustand dokumentieren.
Assunta L.* (†75) ist tot. Am frühen Donnerstagnachmittag kommt die Rentnerin in ihrem Haus am Nasenweg in Basel gewaltsam zu Tode. Das Quartier, die Stadt, das Land stehen unter Schock. Denn noch mehr als bei anderen Gewaltverbrechen beschäftigt die Menschen die Frage: Warum erhielt der mutmassliche Täter überhaupt die Gelegenheit, die Frau zu töten?
Der Hintergrund dieser Frage ist der Lebenslauf des mutmasslichen Täters. Dringend tatverdächtig ist Raphael M.** (32). Ein Mann, dessen Gewaltbereitschaft den Behörden schon lange bestens bekannt ist. M. hatte 2014 bereits getötet. Damals starben zwei Menschen, eine Frau gar im selben Haus wie Assunta L.
Die 42-jährige Frau wurde 2014 von M. am Nasenweg, in seinem früheren Wohnhaus, mit einem Messer umgebracht – insgesamt stach er 18 Mal zu. Auf der Flucht tötete er wieder, in einem anderen Haus, nur wenige hundert Meter entfernt. Eine 76-Jährige verblutete. Zudem verletzte er einen Mann (88) schwer. Für den damals 23-Jährigen wurde eine stationäre Massnahme in der geschlossenen Psychiatrie der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) angeordnet. Diese sogenannt «kleine Verwahrung» wird alle fünf Jahre überprüft, war für M. aber weiterhin in Kraft.
Wurden frühere Tragödien ignoriert?
Über den Umgang mit gefährlichen Tätern gibt es in der Schweiz eine lange Debatte. 1993 tötete der zweifache Mörder und mehrfach verurteilte Vergewaltiger Erich Hauert die Pfadfinderführerin Pasquale B.** («Mord von Zollikerberg»). Trotz mehrerer Rückfälle hatte er einen zweitägigen Hafturlaub erhalten. Als Reaktion wurde 2004 die Verwahrungs-Initiative angenommen – was die Debatte aber nicht beendete.
Die aktuelle Tat von Raphael M. erinnert in schockierender Weise an den Tod von Adeline M.** (†34). Die Sozialtherapeutin hatte 2013 den verurteilten Vergewaltiger Fabrice Anthamatten (50) zu einer Pferdetherapie begleitet. Dabei schnitt Anthamatten in einem Waldstück der jungen Frau mit einem Messer die Kehle durch. Zum Tatzeitpunkt verbüsste Anthamatten eine 20-jährige Freiheitsstrafe.
Der Fall von Basel zeigt erneut, dass es selbst für Menschen mit sogenannter «kleiner Verwahrung» noch immer möglich ist, schreckliche Straftaten zu begehen. Immerhin sass Raphael M. wegen Doppelmordes in der Psychiatrie – deutlich schlimmere Verbrechen als jene von Fabrice Anthamatten. Diesen hatte man nur begleitet auf Freigang gelassen, Raphael M. aber durfte sich in Basel frei und unbeobachtet bewegen.
Wurde das Restrisiko vernachlässigt?
Dabei war es nicht das erste Mal, dass M. allein in Basel unterwegs war, wie das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt gegenüber Blick bestätigte. Die «NZZ am Sonntag» berichtete, dass Raphael M. schon mehrfach im Haus am Nasenweg war, in dem er am Donnerstag erneut getötet hat.
Der Täter sei von der behandelnden Ärzteschaft regelmässig medizinisch auf seinen aktuellen Zustand untersucht worden, so die Basler Behörden weiter. Dabei werde aufgrund von Gutachten und Berichten zum Therapiefortschritt über Massnahmenlockerungen entschieden. «Befindet sich eine Person mit einer angeordneten Massnahme und mit einem schweren Anlassdelikt im unbegleiteten Ausgang, hat zuvor ein medizinisches Gutachten von der behandelnden Ärzteschaft das entsprechende Gefahrenpotenzial beurteilt», so die Behörden.
Der forensische Psychiater Thomas Knecht erklärte gegenüber Blick: «Die Kliniken haben einen Plan, an den sie sich halten müssen.» Könne mit einem Patienten eine genügend grosse Vertrauensbasis aufgebaut werden, dürfe die Person nach draussen. Dabei müsse sie sich jedoch an einen vorgegebenen Radius und eine Zeitlimite halten. Aber: «Der Mensch als Lebewesen hat einen kleinen Rest von Unberechenbarkeit», so Knecht.
Hat die neue Tat Folgen?
Entsprechend werden sich die Basler Behörden heute Nachmittag um 14 Uhr anlässlich einer Pressekonferenz die Frage gefallen lassen müssen, ob sie bei der Beurteilung von Raphael M. Fehler gemacht haben, wer dafür die Verantwortung trägt und wie der Umgang mit unbegleiteten Freigängen in Zukunft geregelt wird. Braucht es noch mal eine Verschärfung im Gesetz, um die Bevölkerung besser vor schweren Gewalttätern zu schützen?
Für die Politik ist unterdessen klar, dass darüber nachgedacht werden muss. Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy forderte in den Tamedia-Zeitungen eine «Nulltoleranz» gegenüber Tätern schwerer Straftaten. SVP-Nationalrat Pascal Schmid kritisierte in der «NZZ am Sonntag», dass es «verantwortungslos» gewesen sei, dass Raphael M. unbegleitet in der Stadt unterwegs war.
Welche Konsequenzen aus der Tragödie von Basel auch immer gezogen werden – für Assunta L. kommen sie zu spät.
* Name geändert
** Namen bekannt