Einsatz von Sarco-Kapsel sorgt für Kritik und Festnahmen
Welche Sterbehilfe-Formen in der Schweiz erlaubt sind

Die Schweiz zählt weltweit zu einem der wenigen Länder, in denen Sterbehilfe erlaubt ist. Bei dem umstrittenen Sarco-Einsatz kam es jedoch zu Verhaftungen. Das Wichtigste im Überblick.
Publiziert: 25.09.2024 um 11:58 Uhr
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Am Montag, 23. September, erklärte der Bundesrat den Einsatz der Suizid-Kapsel als nicht rechtskonform. Im Bild: Fiona Stewart, Co-Präsidentin der Organisation The Last Resort.
Foto: Keystone
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Sandra MeierJournalistin News

Eine 64-jährige Amerikanerin ist am Montag bei einer Waldhütte im Kanton Schaffhausen selbstständig aus dem Leben geschieden. Der Tod der Frau sei «friedlich, schnell und in Würde» erfolgt, teilte die Sterbehilfeorganisation «The Last Resort» im Anschluss mit. Der erste Einsatz der als «Tesla der Sterbehilfe» bekannt gewordenen Sarco-Kapsel schlug international hohe Wellen. Die Polizei nahm mehrere Personen fest, darunter Florian Willet, Co-Präsident von «The Last Resort», zwei Anwälte sowie einen holländischen Journalisten, der den ersten Einsatz begleitet hatte. Wann Sterbehilfe in der Schweiz erlaubt ist und warum der Sterbetourismus boomt – in sieben Punkten.

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Darum ist die Sarco-Kapsel umstritten

Bereits im Vorfeld sorgte die Sarco-Kapsel für Kritik. Ein erster Einsatz Mitte Juli platzte, Kantonsärzte und Bundesrat zeigen der Suizidkapsel die rote Karte. Bundespräsidentin Elisabeth Baume-Schneider (60) erklärte erst am Montag, Sarco sei in zweierlei Hinsicht «nicht rechtskonform»: So verstosse die Kapsel gegen das Produktesicherheitsrecht, zudem sei das Verwenden des Stickstoffs im Sarco nicht vereinbar mit dem Chemikaliengesetz. Zum Vergleich: Die Sterbehilfeorganisation EXIT verwendet im Rahmen der assistierten Suizidhilfe ausschliesslich das Medikament Natrium-Pentobarbital (NaP), das der Betäubungsmittelgesetzgebung untersteht. 

«Die Todeskapsel Sarco ist aus zwei Gründen nicht rechtskonform»
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Bundesrätin Baume-Schneider:«Die Todeskapsel Sarco ist nicht rechtskonform»

Die festgenommenen Personen werden nun befragt. Die Staatsanwaltschaft hat ein Strafverfahren wegen Verleitung und Beihilfe zu Selbstmord eröffnet. Die Betreiber seien vor dem Einsatz gewarnt worden. «Wir mahnten sie schriftlich ab. Wir sagten, wenn sie nach Schaffhausen kommen und Sarco einsetzen, dass strafrechtliche Konsequenzen drohen», sagt Peter Sticher, erster Staatsanwalt des Kantons Schaffhausen, gegenüber Blick. 

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Die Unterschiede bei der Sterbehilfe

Die Schweiz gilt als Sterbehilfe-Hochburg. Doch nicht jede Form von Sterbehilfe ist hierzulande erlaubt. Unterschieden werden folgende Formen:

  • Die direkte aktive Sterbehilfe bezeichnet die Tötung auf Verlangen: Ein Arzt oder Dritter verabreicht dem Patienten absichtlich eine Spritze, die direkt zum Tod führt. Diese Form der Sterbehilfe ist in der Schweiz strafbar.
  • Bei der indirekten aktiven Sterbehilfe werden Mittel wie zum Beispiel Morphium eingesetzt, um die Leiden von Patienten zu lindern. Dabei wird der möglicherweise früher eintretende Tod in Kauf genommen. Diese Art der Sterbehilfe ist im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als erlaubt.
  • Die passive Sterbehilfe beinhaltet etwa den Abbruch von lebenserhaltenden Massnahmen. Diese Form ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, gilt aber als erlaubt.
  • Beim assistierten Suizid werden dem Patienten oder der Patientin tödliche Substanzen vermittelt, er oder sie muss diese aber selber einnehmen. Diese Form ist erlaubt, solange keine selbstsüchtigen Motive der Suizidhelfer vorliegen.
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So viele Menschen entscheiden sich für Sterbehilfe

Die Anzahl Personen, die Sterbehilfe in der Schweiz in Anspruch nehmen, ist in den vergangenen 20 Jahren stetig gestiegen, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen. Wählten im Jahr 2003 noch 187 Personen einen assistierten Suizid, waren es im Jahr 2022 bereits 1594 Personen. In den meisten Fällen sind es über 65-Jährige, die sich für die begleitete Sterbehilfe entscheiden. Nur etwas mehr als jeder Zehnte ist unter 65-jährig.

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Exit Deutschschweiz ist die grösste von neun Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz. Von den 1125 Personen, die in den Tod begleitet wurden, waren rund ein Drittel krebskrank, ebenso viele litten an mehreren Erkrankungen.

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Frauen wählen häufiger Sterbehilfe als Männer

Ein Blick auf die Geschlechter zeigt: Frauen entscheiden sich häufiger für einen assistierten Suizid als Männer. So waren im Jahr 2022 etwa 60 Prozent Frauen (945), die begleitete Sterbehilfe wählten (gegenüber 649 Männern).

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Eine abschliessende Antwort zu den Gründen gibt es nicht, wie Exit-Mediensprecherin Danièle Bersier auf Blick-Anfrage erklärt. «Ein Grund könnte die höhere Lebenserwartung sein.» Zuletzt betrug diese für Frauen 85,4 Jahre, für Männer lediglich 81,6 Jahre. Dadurch würden Frauen häufiger Verwitwung erleben und müssten allein sterben, schreibt Bersier. «Frauen setzen sich zudem schon früh mit Themen wie Gesundheit oder Tod auseinander.» So seien Frauen als Angehörige stärker in der Pflege und im Sterbeprozess oft direkter involviert als Männer.

Tatsächlich zeigt sich bei den unter 65-Jährigen ein ähnliches Bild. Auch hier machen Frauen den grösseren Anteil aus. 2022 schieden 112 Frauen und 78 Männer mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben.

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Was in der Schweiz und Europa gilt

Die Schweiz hat Anfang des 20. Jahrhunderts den Selbstmord entkriminalisiert. Seit 1942 ist die Sterbehilfe im Strafrecht geregelt. Verboten ist die Beihilfe zum Freitod, wenn selbstsüchtige Motive im Spiel sind. Assistierter Suizid ist neben der Schweiz auch in Finnland, Österreich und Deutschland unter bestimmten Bedingungen möglich. In den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, Spanien und Portugal ist sogar aktive Sterbehilfe mittlerweile erlaubt. Die Regelungen sind aber unterschiedlich und an Bedingungen geknüpft. 

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Aus diesen Ländern kommen Sterbehilfe-Touristen

Im Gegensatz zu Exit bietet die Organisation Dignitas auch Sterbehilfe für Ausländerinnen und Ausländer an. 2023 kamen 235 Personen aus anderen Ländern in die Schweiz, um mit Dignitas zu sterben. Die meisten Sterbehilfe-Touristen stammten aus Frankreich (50), gefolgt von Grossbritannien (40). 

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Auffallend ist, dass nach 2020 deutlich weniger Deutsche zum Sterben in die Schweiz kamen. Grund dafür dürfte die deutsche Gesetzesänderung sein, die das Verbot der organisierten Suizidhilfe 2020 für nichtig erklärte. Seither begleiten auch in Deutschland Sterbehilfevereine Menschen in den Tod.

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Wie wird sich die Sterbehilfe in Zukunft verändern?

Die Schweiz steckt in einem demografischen Wandel. Mit dem Übertritt der Babyboomer ins Rentenalter nimmt die Anzahl älterer Menschen rasant zu. Dies dürfte auch Folgen für die Sterbehilfe haben. Bei Exit steigen die Mitgliederzahlen seit Jahren kontinuierlich an. Zum Vergleich: 2018 zählte der Verein 120'000 Mitglieder, 2023 waren es knapp 168'000. «Wir gehen davon aus, dass dieser Trend auch in den kommenden Jahren anhält», schreibt Mediensprecherin Bersier.

In der Schweiz befürwortet eine grosse Mehrheit die Möglichkeit einer Freitodbegleitung. «Die hohe Akzeptanz des assistierten Suizids hängt mit der Schweizer Selbstbestimmungskultur und der steigenden Lebenserwartung zusammen.» Letztere trage auch zu zahlreichen Altersbeschwerden und Demenzerkrankungen bei. Gerade die Babyboomer-Generation sei es gewohnt, im Leben selbst zu bestimmen, so Bersier. Die Exit-Sprecherin zu Blick: «Dieses Prinzip wollen sie sich auch am Lebensende nicht nehmen lassen. Exit erfährt dies als logische Konsequenz in Form eines anhaltend starken Mitgliederzuwachses.»

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