Sterbehilfe-Debatte entbrannt
So tickt «Dr. Tod»

Philip Nitschke, der Erfinder der Suizidkapsel Sarco, trat unerwartet in Zürich auf. Der Sterbehilfeaktivist fordert ein uneingeschränktes Recht auf einen selbstbestimmten Tod, unabhängig vom Gesundheitszustand.
Publiziert: 19.07.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2024 um 16:30 Uhr
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Philip Nitschke stand in Zürich bei der Präsentation seiner Suizidkapsel Sarco kurzzeitig Red und Antwort.
Foto: keystone-sda.ch
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Bei der Präsentation der Suizidkapsel Sarco in Zürich tauchte er völlig überraschend kurz auf, beantwortete einige Fragen und verschwand wieder, ohne Interviews zu gewähren: Die Rede ist von Philip Nitschke (76), dem Erfinder des Sarco und langjähriger Sterbehilfeaktivist. Spitzname: «Dr. Tod».

Auf der Website der neuen Schweizer Sterbehilfeorganisation The Last Resort steht, Nitschke sei lediglich ein «technischer Berater» und spiele sonst keine Rolle. Sein Auftritt in Zürich und die Präsenz seiner Lebenspartnerin Fiona Stewart (58) im Führungsteam von The Last Resort senden andere Signale.

Radikale Ansichten zum Freitod

Der Australier, der seit einigen Jahren in den Niederlanden wohnt, ist in Sterbehilfe-Kreisen so bekannt wie umstritten. Nitschke fordert deutlich mehr als nur ein Recht auf Sterbehilfe ein. Ihm zufolge ist ein «friedlicher Tod» ein grundlegendes Menschenrecht, das unabhängig vom Gesundheitszustand und frei von äusserem Einfluss umsetzbar sein muss. Sprich: Wenn der Sterbewunsch bei einer zurechnungsfähigen Person vorliegt, dürfe niemand dies verhindern.

Problematisch ist dies aus juristischer Sicht vor allem, wenn dafür Beihilfe geleistet wird. Die Idee des Sarcos ist, dass ein Sterbewilliger mit möglichst wenig administrativen Hürden und freiwillig aus dem Leben scheiden kann. Ethische oder religiöse Bedenken sollen dies nicht verhindern können. Doch selbst in der toleranten Schweiz gelten klare Regeln. Sterbewillige dürfen nicht beeinflusst worden sein. Und der gesundheitliche und mentale Zustand muss schlimm genug sein, dass Hilfe zum Freitod geleistet werden darf.

Autor eines kontroversen Buches

Einen Namen machte sich Nitschke, als er 1996 im australischen Northern Territory vier sterbewilligen Personen für deren freiwilligen Suizid eine tödliche Injektion verabreichte – «als erster Arzt weltweit», behauptet er. Der Bundesstaat hatte vorübergehend die aktive Sterbehilfe legalisiert. Kurz darauf schlossen die australischen Behörden dieses regulatorische Schlupfloch.

Nitschke gründete daraufhin die Sterbehilfeorganisation Exit International und veröffentlichte ein Handbuch namens «Die friedliche Pille». Dieses richtet sich an sterbewillige ältere Menschen und bewertet Euthanasiemethoden anhand von Zuverlässigkeit und Friedfertigkeit. Inzwischen gibt es das Handbuch auch als Online-Version. Darin sollen irgendwann die Pläne für einen selbständigen 3D-Ausdruck des Sarco integriert werden.

Auch die Schweizer Suizidhilfe wird im Buch ausführlich behandelt. Logisch: Exit International preist sterbewilligen Personen weltweit die Schweiz als ein Ort an, wo assistierter Freitod problemlos möglich ist.

Lieber Sarco als Erhängen?

Auf Youtube finden sich zahlreiche Filme von und über Nitschke. «Nitschke ist sicher nicht medienscheu und braucht für den Erfolg von Exit International auch etwas PR», sagt ein Exponent der Sterbehilfe-Szene, der ihn persönlich kennt, aber anonym bleiben möchte.

Als ihm die australische Ärztekammer 2015 die Lizenz entzieht, macht er daraus ein Happening – er verbrannte die Lizenz öffentlich.

Auf Kontaktversuche von Blick reagiert er nicht. In einem Interview mit «Vice» 2017 stellt Nitschke jedoch klar, dass er lediglich «die Option auf einen friedlichen Tod» bieten wolle. Den Vorwurf, dass er damit die Schwelle zum Suizid senke, beantwortet er wie folgt: «Würden dann nicht Menschen mit einem Todeswunsch häufiger vor Züge springen oder sich erhängen?» Dieser Punkt wird in Zürich an der Medienkonferenz wiederholt.

Der Sarco bietet Sterbewilligen die Möglichkeit eines gewaltfreien Todes. Der überpragmatische Ansatz des früheren Outback-Rangers Nitschke stösst aber wegen ethischer und religiöser Bedenken auf scharfe Kritik. Das kümmert ihn ebenso wenig wie der Anspruch von Behörden, juristische «Ausfallsicherungen» zu gewährleisten.

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