Blick: Frau Renz, am Anfang der Ostertage steht der Karfreitag. Jesus litt am Kreuz. Inwiefern ist Leiden sinnvoll?
Monika Renz: Leiden ist Realität. Es ist nie per se sinnvoll. Aber im Nachgang erfahren Menschen vielleicht Sinn. So auch bei Jesus. Historisch gesehen wurde er gemobbt, geplagt und hingerichtet. Und er hat das hingenommen, um sich treu zu bleiben. Aus der Sicht der Mystik hat Jesus vielen Leidenden durch seinen Tod Trost gespendet.
Wie?
Aus dieser Sicht hat Jesus das Leiden hingenommen, um der schwierigen Seite des Lebens nicht auszuweichen und den Menschen Hoffnung zu geben.
Inwiefern ergibt sich für uns Menschen Sinn aus unserem Leiden?
Nach dem Leiden erfahren viele Menschen, dass sie an einem anderen Ort stehen. Oder dass die Nächsten dadurch besondere Stunden mit ihnen erleben durften.
Monika Renz ist 1961 im Kanton Zürich geboren. Sie studierte zuerst Psychologie, Psychopathologie und Musikethnologie an der Universität Zürich. Dann Theologie an den Universitäten Innsbruck und Fribourg. In Psychopathologie und Theologie doktorierte sie. Seit 1998 arbeitet sie am Kantonsspital St. Gallen als Musik- und Psychotherapeutin und Psychoonkologin. Über 1000 Sterbende hat sie begleitet. Und mehrere Bücher veröffentlicht. Darunter: «Hinübergehen – Was beim Sterben geschieht» sowie die «Krankenbibel» mit ausgewählten Bibel-Erzählungen, in denen Menschen durch Schwere und Ausweglosigkeit hindurchgehen und eine Lösung finden. Monika Renz lebt im Raum St. Gallen.
Monika Renz ist 1961 im Kanton Zürich geboren. Sie studierte zuerst Psychologie, Psychopathologie und Musikethnologie an der Universität Zürich. Dann Theologie an den Universitäten Innsbruck und Fribourg. In Psychopathologie und Theologie doktorierte sie. Seit 1998 arbeitet sie am Kantonsspital St. Gallen als Musik- und Psychotherapeutin und Psychoonkologin. Über 1000 Sterbende hat sie begleitet. Und mehrere Bücher veröffentlicht. Darunter: «Hinübergehen – Was beim Sterben geschieht» sowie die «Krankenbibel» mit ausgewählten Bibel-Erzählungen, in denen Menschen durch Schwere und Ausweglosigkeit hindurchgehen und eine Lösung finden. Monika Renz lebt im Raum St. Gallen.
Sie haben im Buch «Hinübergehen» das Sterben beschrieben, wie muss man sich das vorstellen?
In Sterbeprozessen verändern sich die Wahrnehmung und das Bewusstsein. Sterbende erleben oft drei Stadien: Im Davor, dem Zustand vor einer inneren Bewusstseinsschwelle, können Ängste, manchmal Schmerzen aufkommen. Ist die Palliativmedizin gut, klingen diese Symptome immer wieder ab. Für die Sterbenden ist diese Erfahrung wichtig: Man kann mir helfen. Die zweite Stufe ist das Hindurch, es geht über diese Schwelle, ähnlich einer Geburt. Sie dauert meist Stunden, selten Tage. Hier lässt man los.
Und was folgt zuletzt?
Das Danach, das vielleicht mit einer Nahtoderfahrung vergleichbar ist. Die Kranken sind wie weggetreten, da und doch nicht mehr in ihren Schmerzen und Symptomen drin.
Wann leidet ein Mensch, weil er sterben muss?
Zum Glück können wir das nicht verallgemeinernd beantworten. Erschwerend ist, wenn Ängste hochkommen oder familiäre Konflikte ungelöst sind.
Kann jemand, der nicht sterben will, trotzdem friedlich sterben?
Ja. Schauen Sie: Was geschieht in den letzten Minuten?
Sagen Sie es mir.
Niemand weiss das genau. Ich stelle mir es so vor, wie es einmal drei Bergsteiger erfuhren, als sie am Berg abstürzten. Der eine erlebte die letzten Sekunden des Falls wie eine Aufhebung der Räumlichkeit, er sagte mir: «Ich war gleichzeitig auf dem Berggipfel, im Spital und schon daheim.» Der andere empfand die Zeit als ewig und als geschähe Vergangenes und Zukünftiges gleichzeitig. Raum, Zeit, Körperlichkeit, was ich bin, wie ich mich definiere – all das geht verloren. Vielleicht kommt etwas Neues.
Was können Sie tun, um den Sterbeprozess zu erleichtern?
Mir kommt eine junge, alleinstehende Mutter in den Sinn, die im Sterben lag. Sie konnte ihre kleine Tochter nicht zurücklassen. Sie war sehr unruhig. Als wir noch miteinander reden konnten, habe ich ihr von meinen Sterbeerfahrungen berichtet. Das hat sie beruhigt. Ich sagte ihr auch, dass Barmherzigkeit im Hebräischen auch Mutterschössigkeit bedeute.
Inwiefern half der Frau das?
Sie stellte sich einen grossen Schoss vor und sagte mir, da könne sie nicht herausfallen und auch ihre Tochter nicht, die sie zurücklassen sollte. Danach träumte sie von einer Schwelle, über die alle Menschen drübersteigen mussten. Dort drüben sprachen seltsamerweise alle Englisch. Ich sagte ihr, dass ich Englisch auch schon als Sprache für die Engel erlebte. Da platzte es aus ihr heraus: «Ja, im Engelland bin ich im Traum gewesen.» Sie wurde ruhig und starb friedlich.
Wie gehen Angehörige mit dem nahenden Tod um?
Für Aussenstehende wirkt das Sterben oft schlimmer, als es die Kranken selbst erleben. Häufig zu Unrecht. Das zeigen uns Nahtoderfahrungen von Menschen in ähnlichen Situationen. Wenn jemand wegdriftet, ist das für Schwerkranke meist sehr schön oder neutral. Mir kommt oft das Märchen mit Frau Holle in den Sinn.
Warum?
Goldmarie verlor ihre Spindel im Brunnen, und es brauchte viel Überwindung für sie, dieser hinterherzuspringen. Sie wurde ohnmächtig. Was sie unten erwartete, war aber eine andere, schöne Welt und Frau Holle. Ich stelle mir vor, dass es sich ähnlich mit dem Sterben und dem, was wir beim Abtauchen erleben, verhält.
Was tröstet die Angehörigen?
Ich bitte sie oft ans Bett. Von den Sterbenden geht eine eindrückliche Stimmung aus. Es kommen nonverbale Reaktionen, ein «Oh», «Mh», und ich erkläre den Umstehenden, wie ich diese wahrnehme und interpretiere. Und die Sterbenden reagieren dann oft nochmals. Dies wird zu letzten wichtigen Antworten für Angehörige. Oder ich bete, aber ganz persönlich.
Wie sieht das aus?
Bei einer Frau habe ich zusammen mit den Angehörigen gebetet: «Vater, wir verstehen dich nicht! Wir sind da, und wir bitten dich, komm und sei mit uns.» Ich konnte nicht fertig reden, da tönte es von der Sterbenden: «Hee, jo.» Die Angehörigen waren ergriffen.
Gibt es auch Sterbebegleitungen, die Ihnen nach all den Jahren noch nahegehen?
Es schüttelt mich jedes Mal durch, wenn mir jemand ans Herz gewachsen ist. Der Tod ist definitiv.
Gibt es Momente, in denen Sie verzweifelt sind?
Absolut. Vergangenes Jahr habe ich einen jüdischen Mann begleitet. Ich sagte ihm, dass ich im Moment nicht mehr weiterweiss und dass ich wütend bin, weil er so lange zu kämpfen hat. Aber auch, dass er mich beeindruckt!
Warum das?
Weil er es ertrug. Dann, ruhig werdend, hatte er eine Vision: Er sah ein Mahl, ein Essen, das er mit arabischen und jüdischen Freunden zusammen abhielt. Das war vor dem 7. Oktober und berührt mich bis heute. Menschen, die vor dem Sterben einen Kampf auszufechten haben, bringen oft Antworten und Hoffnung.
In unserer Gesellschaft will man die Vergänglichkeit und den Tod mit allen Mitteln kontrollieren. Bekommen Sie das in Ihrer Arbeit zu spüren?
Wir spüren im Spital eine grassierende Anspruchshaltung: «Mir steht die beste Behandlung zu, los, machen Sie.» Oder: «Mir steht zu, dass ich keine Schmerzen habe und schnell sterben kann.» Das dirigiert unser Personal, das sich nicht mehr gleichermassen frei fühlt zur sachlich guten Arbeit. Die Anspruchshaltung verstärkt aber auch Spannungen in den Patienten selbst. Sie pochen auf ihr Recht, anstatt sich in den Prozess hineinzugeben. Die Schmerzen sind dadurch grösser.
Das Bundesgericht hat kürzlich den Freispruch für den Vizepräsidenten von Exit Westschweiz wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz bestätigt. Er hat einer gesunden 86-Jährigen zum Suizid verholfen. Wie beurteilen Sie das?
Zu diesem Fall kann ich nichts sagen. Bei Sterbehilfe-Vorstössen bin ich generell in Sorge. Unsere Gesellschaft wird immer abgestumpfter gegenüber dem Leiden. Der Tod ist heute kein Tabu mehr, doch das Leiden ist es. Bloss kein Schmerz!
Warum besorgt Sie das?
Diese Haltung bewirkt, dass sich Hunderttausende von Patientinnen und Patienten in Heimen und Spitälern entwertet fühlen. Sie glauben, eine Last zu sein und sagen: «Ich bin doch nichts mehr wert.» Zudem nimmt uns dieses machtvolle Abwürgen unsere Empfänglichkeit auch anderswo, etwa in Beziehungen, Sinnlichkeit und Spiritualität. Wir verlieren so unsere schönsten Erfahrungen.
Mit Ostern, der Feier der Auferstehung Jesu, signalisiert uns das Christentum: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Wie sehen Sie das?
Ostern ist für mich ein Fest der Erfahrung. Damals haben viele Menschen durch Jesus eine neue Identität erhalten. Als er plötzlich starb, war ihnen das alles wie genommen. Dann haben diese Menschen offenbar eine wichtige Erfahrung gemacht: Jesus lebt. Sie fanden ihre Identität wieder. Die Sache Jesu ging weiter – auf der Ebene der Erfahrung. Nun kann man nicht beweisen, was genau geschehen ist. Aber man kann sich entscheiden, diesen Erfahrungen zu glauben.
Macht der Glaube für manche das Sterben leichter?
Glaube und Glaube ist zweierlei. Der Glaube hilft vor allem, wenn er durch Erfahrungen geworden ist.
Machen Sie sich Gedanken über Ihren eigenen Tod?
Zum Glück haben wir den Tod nicht im Griff. Ich glaube, dass der Tod mich überraschen wird, wie alle von uns. Ich habe Respekt und bin neugierig.
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