Sie weiss, wie man den Himmel daheim an die Decke zaubert oder das knackigste Gelb anmischt: Katrin Trautwein (61) kreiert Farben aus natürlichen Pigmenten nach Rezepten, wie sie schon die alten Meister für ihre Gemälde verwendeten. Zu den wertvollsten Inhaltsstoffen gehört Lapislazuli. Aus dem Pulver des Halbedelsteins hat man im Mittelalter die Gewänder der Maria gemalt.
Die Farbforscherin holt in ihrer Manufaktur in Uster ZH legendäre Farben in die heutige Zeit: «Aus Lapislazuliblau entsteht das reinste Himmelblau. Man kann eine Decke im Bad oder Kinderzimmer streichen und eine grenzenlose Weite schaffen.» Die Pigmente sind allerdings bis heute schwer zu bekommen, manchmal wartet Trautwein zwei Jahre auf eine Lieferung, denn Lapislazuli gibt es nur in Afghanistan: «Heute sind dort die Taliban.»
Farben sind die Passion der Stuttgarterin, die in Alabama aufgewachsen ist. Sie studierte in den USA Chemie und promovierte an der ETH in Zürich. Die akademische Karriere liess sie sausen, um bei Pfarrer Sieber Drogenabhängige zu betreuen. «Ich war in einer Sinneskrise», erinnert sie sich. Bis sie über eine Bekannte auf Künstlerfarben kam: «Da wurde mir klar, dass ich aus meinem Chemiestudium auch etwas Schönes machen kann.»
Die Natur ist immer harmonisch
1998 hat sich Trautwein mit der Manufaktur kt.Color selbständig gemacht und ist der einzige Betrieb, der konsequent mit Naturpigmenten für Wandfarben arbeitet. Das muss nicht gleich Lapislazuli sein, meist sind es Schiefer-, Vulkan- oder Kalkgesteine. So wie das Rügenweiss. «Das Licht taucht tief in die poröse Struktur ein und strahlt wieder heraus. Damit entstehen helle und weiche Flächen, die harmonisch die Umgebung aufnehmen.» Schwarz gibt es in 16 Schattierungen, das dunkelste Elfenbeinschwarz mischt sie aus gebrannten Rinderknochen zusammen: «Für Veganer haben wir auch eine Variante aus vulkanischem Gestein.»
Trautwein orientiert sich an der Natur: «Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass die Farben im Wald, auf einer Wiese oder dem Meer immer zusammenpassen?» Warum das so ist, erklärt die Chemikerin auch gleich: «Weil sie nicht monochrom sind, also aus mehr als einer Farbe bestehen.» So kommt das Rot, Blau oder Gelb einer Blume immer aus einer grünen Knospe. Oder das Weiss eines Gletschers hat in seinen Körnern alle Farben in sich. Diese Qualität der Zusammengehörigkeit hat Trautwein in der Palette von Le Corbusier entdeckt, ihrer wichtigsten Inspiration.
Sie rekonstruierte die längst verlorenen Originalfarben des berühmten Architekten. Für die Rezepturen brauchte die Chemikerin teils Jahre. Der berühmte Corbusier-Schriftzug machte sie Anfang der 2000er-Jahre bekannt, trieb sie aber auch fast in den Ruin. «Wir verschickten handgemalte Muster in die ganze Welt.» Die Farben waren begehrt, die Bestellungen blieben aus. Denn heutzutage kann man sich angeblich mit einem Messgerät jede Farbe abmischen lassen.
Farben zum Anfassen
«Mit Industriefarben kann man nicht die gleiche Tiefe und Harmonie erschaffen», sagt Trautwein. Ersichtlich wird das an den Farbmustern in Uster. Da hängt etwa ein tiefdunkles Blau namens Blue Velvet, es sieht tatsächlich aus wie Samt: «Man möchte darüber streicheln, diese sinnliche Haptik macht eine gute Farbe aus.» Das liegt laut der Chemikerin an der Dreidimensionalität der Pigmente: «Industriefarben werden mit mehligen Pigmenten gefärbt. Natürliche Pigmente haben mehr Struktur, so wie Salz oder Zucker. So transportieren sie das Licht.»
Über Farben nehmen wir die Welt wahr, und sie geben uns wichtige Informationen. «Wir sehen, ob eine Tomate oder Erdbeere reif ist. Und wir können eine Plastikzitrone von einer echten unterscheiden», so Trautwein. Die Komposition der Farben betreibt Trautwein mit derselben Leidenschaft wie ihr Hobby, das Kochen: «Handgemachte Farben sind wie Gourmetküche, mit frischen und hochwertigen Zutaten schmeckt es einfach besser.»
Natürlich sind ihre Farben teurer als aus dem Baumarkt. Für ein 40-Quadratmeter-Wohnzimmer kommt man für das Rügenweiss auf 1200 Franken. Eine einzelne Wand im edlen Lapislazuliblau kostet 500 Franken. Trautwein benutzt lieber das Wort kostbar: «Es kommt darauf an, was einem die Umgebung, in der man jeden Tag lebt, wert ist.» Genauso wie ein gutes Bett oder Sofa. «Und eine Wandfarbe wechselt man ja nicht wie einen Pulli.»
Zwölf Millisekunden reichen, um zu wissen, ob man eine Farbe mag oder nicht. Bei Trautwein ist das Rosarot: «Das kommt bei mir nicht an die Wand.» Sie lacht: «Vielleicht weil ich als kleines Mädchen immer rosa Nachthemden hatte, die mochte ich nicht.»