Wir Grünen stehen für Frieden: So steht es im Parteiprogramm. Allerdings gewinnt man mit Freundlichkeit vielleicht Wählerherzen – aber ganz bestimmt keinen Sitz im Bundesrat. Dabei ist der das erklärte Ziel der Grünen.
Deshalb vermutlich die neuen Töne, deshalb der Wunsch vieler Parteifreunde, die Samthandschuhe abzulegen. Und deshalb auch das deutliche Rumoren an der Basis, die Zeit sei überreif.
Das hat auch Balthasar Glättli (50) erkannt. Geht es nach dem Präsidenten der Grünen, ist nach den Wahlen im Herbst ein Sitz in der Landesregierung fällig. Wie das gelingen soll, ist Nebensache. Die Überfliegerpartei von 2019 will sich nicht länger vertrösten lassen.
Was bislang tabu war, scheint also plötzlich denkbar: der Angriff auf einen der beiden SP-Sitze. Offiziell wollen die Grünen zwar immer noch auf Kosten der Bürgerlichen in den Bundesrat. Hinter vorgehaltener Hand jedoch bestätigen mehrere Führungsmitglieder, man wolle notfalls auch der Schwesterpartei einen Sitz abjagen.
Zugerin stünde Pfister vor der Sonne
Die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt (55) ist eine von denen, die immer wieder als Bundesratskandidatin genannt werden. 2019 hatte die ehemalige Regierungsrätin ihrer Parteikollegin Regula Rytz (60) den Vortritt gelassen.
Auf ihre Bundesratsambitionen angesprochen, lacht Weichelt nur. Sie setze ihre Energie für die Wiederwahl und den Ständeratswahlkampf ein. «Erst danach reden wir Grünen über mögliche Kandidaturen.»
In der Politik habe sie gelernt, «je höher das Amt, umso mehr spielt der Zufall eine Rolle». Das hätten die Bundesratswahlen im letzten Dezember gezeigt, so Weichelt: «Eva Herzog (61, SP) galt als ideale Kandidatin – und doch ist es anders gekommen.»
Auf ihrer Website bezeichnet sich die Gesundheitspolitikerin als «Chrampferin». Sie hat zwölf Jahre Exekutiverfahrung, gilt als mehrheitsfähig und konsensorientiert. Beste Voraussetzungen also, um der Vereinigten Bundesversammlung zu gefallen. Weichelts einziges Problem: Als Zugerin stünde sie dem Zuger Mitte-Präsidenten Gerhard Pfister (60) in der Sonne, dem ebenfalls Bundesratsambitionen nachgesagt werden.
«Wenn wir bei den Wahlen um die zehn Prozent erreichen, ist unser Anspruch gerechtfertigt», sagt Bastien Girod (42). Der Zürcher Nationalrat schielt ebenfalls auf einen Sitz im Bundesrat. Er sagt: «Alle fähigen Personen, die Regierungserfahrung haben oder in der nationalen Politik eine Rolle spielen, sollen sich eine Kandidatur überlegen.» Es sei wichtig, dass die Fraktion eine Auswahl habe. «Ich wünsche mir ein breites Kandidatenfeld und schliesse nicht aus, dass ich zu diesem Feld gehören werde.»
Städter mit Exekutiverfahrung
2019 setzten die Grünen ganz auf Regula Rytz. Im Parlament fand die Bernerin aber nur bei der SP Unterstützer: 82 Stimmen reichten bei weitem nicht, um den FDP-Sitz von Ignazio Cassis (61) zu erobern. Dieses Mal, versichert Umweltwissenschaftler Girod, werde man besser vorbereitet sein. «Ein grüner Bundesrat ist wichtiger denn je.» In der aktuellen Besetzung seien grüne Anliegen stark untervertreten. «Simonetta Sommaruga hatte diese Themen auf der Agenda. Aber sie ist weg.» Nun brauche es unbedingt wieder eine Person in der Landesregierung, die eine nachhaltige Perspektive ins Gremium einbringe.
Neben Girod erfüllen zwei weitere Männer die Kriterien, die ein Grünen-Bundesrat erfüllen müsste. Bernhard Pulver (57) und Daniel Leupi (57). Beide sind Städter, beide haben Exekutiverfahrung, beide kandidieren aktuell für den Ständerat. Pulver ist Verwaltungsratspräsident der Insel-Spitalgruppe und war von 2006 bis 2018 Berner Regierungsrat. Leupi ist Finanzvorsteher der Stadt Zürich. Pulver sagt nichts zu Bundesratsambitionen, Leupi sagt ab: «Dass ich immer wieder angefragt werde, ehrt mich. Meine Ambition ist aber, den Kanton Zürich mit einer erfahrenen grünen Stimme im Ständerat vertreten zu dürfen.»
Um den Grünen-Anspruch auf einen Bundesratssitz in beiden Parlamentskammern unüberhörbar zu machen, benötigte es bei den Wahlen am 22. Oktober eine Bestätigung des Resultats von vor vier Jahren. Damals erreichten die Grünen 13,2 Prozent. Aktuelle Umfragen deuten eher auf leichte Verluste hin. Gleiches gilt für die SP. Bestätigt sich dieser Trend, ist der rot-grüne Traum von drei Sitzen in der Landesregierung geplatzt. Meinen es die Grünen wirklich ernst, müssten sie bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats im Dezember der SP die Freundschaft kündigen.
Mazzone will nicht spekulieren
Dabei wäre es ihnen vermutlich am wohlsten, wenn Alain Berset (50, SP) nach dem Ende seines Präsidialjahrs im Herbst seinen Rücktritt kommunizieren würde. Tut er es nicht – wie er selbst bereits angekündigt hat –, könnte es ziemlich hässlich werden. Der Innenminister würde als Amtsältester zuerst wiedergewählt. Und: Der Freiburger ist bei der Bevölkerung beliebter als im Parlament. Die SVP hat bereits angedeutet, dass ihre Fraktionen Alain Berset vor dem Hintergrund der Enthüllungen rund um die Corona-Leaks die Stimmen verwehren könnte.
Dass die Bürgerlichen den Grünen einen SP-Sitz zuschieben, ist zwar unwahrscheinlich, doch von allen Szenarien, bei denen am Ende ein Grünen-Bundesratssitz herausschaut, noch das realistischste. Oder wie es ein SVP-Parlamentarier sagt: «Fällt die SP auf zwölf Prozent und die Grünen verharren bei elf Prozent, kann man nicht mehr sagen, die SP hätte zwei Sitze zugute.»
Aufs Spekulieren verzichten möchte Lisa Mazzone (35), die ebenfalls das Zeug zur Grünen-Bundesrätin hat. Der Makel einer Kandidatur der Genfer Ständerätin: Mit Alain Berset, Ignazio Cassis und Elisabeth Baume-Schneider (59, SP) ist die lateinische Schweiz derzeit in der Landesregierung übervertreten. Der Zeitpunkt mag für Mazzone ungünstig sein. Dass die Grünen endlich in den Bundesrat gehören, ist aber auch für die zweifache Mutter unbestritten: «Wir sind fest entschlossen, Einfluss zu nehmen. Jetzt müssen wir einfach Gas geben.»