Auch auf Kosten der SP?
Grüne wollen endlich mitregieren

Nach den Wahlen wollen die Grünen unbedingt in den Bundesrat. Einen SP-Sitz ins Visier zu nehmen gilt aber immer noch als Tabu. Doch so langsam bröckelt der Nichtangriffspakt.
Publiziert: 29.01.2023 um 11:00 Uhr
1/4
Grünen-Präsident Balthasar Glättli bei seiner Rede an der Delegiertenversammlung in Genf.
Foto: keystone-sda.ch
Peter_Aeschlimann (bitte Fotos der ersten Box–Session komplett aus System löschen)_Redaktor SonntagsBlick _Ringier _3-Bearbeitet.jpg
Peter AeschlimannRedaktor

Die Grünen stecken im Dilemma. Ihr Verzicht auf eine Kampfkandidatur nach den Rücktritten von Ueli Maurer (72, SVP) und Simonetta Sommaruga (62, SP) sorgte nicht nur bei den politischen Gegnern für Kopfschütteln. Man werde nach den Wahlen 2023 antreten, lautet seither der Schlachtplan – die Zeit für eine Grünen-Bundesrätin oder einen -Bundesrat sei überreif.

Die am meisten Erfolg versprechende Taktik wäre nun ausgerechnet ein Angriff auf den SP-Sitz von Alain Berset (50). Der Bundespräsident ist angeschlagen, die Corona-Leaks schaden seiner Partei. In der «Arena» sagte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (35): «Die schwerwiegenden Vorwürfe helfen im Wahlkampf natürlich nicht.»

Grünen auf dem Vorwärtsmarsch

2019 legten die Grünen um 6,1 Prozentpunkte auf 13,2 Prozent zu. Die SP erreichte 16,8 Prozent (–2). Würden die Grünen bei den eidgenössischen Wahlen am 22. Oktober ähnlich gut abschneiden und die Sozialdemokraten gleichzeitig weiter Federn lassen, wäre ein grüner Angriff auf einen SP-Sitz im Bundesrat ein denkbares Szenario. Das sagen führende Parteimitglieder der Grünen, die namentlich nicht genannt werden wollen. Man werde sich auf jeden Fall nicht mehr vertrösten lassen. Die Basis wolle, dass die Partei in der Regierung vertreten sei. Notfalls könne das auch auf Kosten der SP geschehen.

Die Wahlbarometer haben allerdings das Zeug, zum Partykiller der Grünen zu werden: Wie der SP werden auch der Überfliegerin der letzten Wahlen Verluste vorausgesagt. Abgerechnet wird erst im Herbst, lautet die Devise bei den Grünen. Bis dann könne noch viel passieren. Schlägt die Klimaveränderung in ganzer Härte zu – oder gibt es einen verregneten Sommer? Wie geht es mit dem Krieg in der Ukraine weiter, mit der Inflation und den hohen Energiepreisen? Die Situation ist im Wahljahr völlig unberechenbar. Das macht Prognosen nicht nur für die Grünen so schwierig.

Man gibt sich freundlich

Im Blick-Interview wich Parteipräsident Balthasar Glättli (50) vergangene Woche der Frage aus, ob man auch auf Kosten der SP in den Bundesrat einziehen würde: «Alle wesentlichen Kräfte sollten im Bundesrat vertreten sein – und dazu gehören wir auch.»

Vor den Wahlen bleibt man also freundlich. Auch an der gestrigen Delegiertenversammlung in Genf wollte niemand der Schwesterpartei SP an den Karren fahren. Lieber träumte man von einer perfekten rot-grünen Welt. In dieser hätte die SP zwei Sitze im Bundesrat und die Grünen einen. Auf keinen Fall soll der Eindruck entstehen, man sei Profiteurin der Affäre um die Indiskretionen aus Bersets Innendepartement. Glättli sagt dazu: «Zynismus ist kaum die richtige Reaktion auf eine solche Erschütterung der Institutionen.» Er hoffe einfach, dass alle Bundesratsparteien irgendwann merkten, dass die Regierung funktionieren müsse. «An Krisen, die es zu meistern gilt, haben wir nun wirklich keinen Mangel.»

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?