Ein Sonderermittler untersucht das Verhalten von Gesundheitsminister Alain Berset während der Pandemie. Ein zweiter Sonderermittler beschäftigt sich mit den seltsamen Methoden von Sonderermittler Nummer eins. Ein dritter Sonderermittler fahndet nach dem Leck, durch das die sogenannten Corona-Lecks bekannt wurden. Und die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments hat eine eigene Untersuchung gestartet. Würden sich Öffentlichkeit und Politik mit nur halb so viel Energie beispielsweise der Frage annehmen, wie es um das Bundesamt für Gesundheit bestellt ist – unser Gesundheitswesen würde einen gewaltigen Schritt nach vorne machen.
Kürzlich war aus dem BAG zu vernehmen, dass die Nach-Nachfolgerin von Daniel Koch als Leiterin der Sektion Übertragbare Krankheiten nach wenigen Tagen Reissaus genommen hat. Eine der Schlüsselstellen im Schweizer Gesundheitswesen ist damit seit zweieinhalb Jahren unbesetzt. Darüber hinaus sind fast sämtliche Fachleute, die bei der Bewältigung der Pandemie eine entscheidende Rolle spielten, nicht mehr fürs BAG tätig. Als Letzte scheidet Ende März die Leiterin der Koordinationsgruppe Covid-19 aus dem Amt.
Auf diese Weise geht viel Wissen verloren und das BAG fällt unweigerlich wieder in den Zustand vor Corona zurück. In den Dämmerzustand einer Behörde, die bestenfalls verwaltet, schlimmstenfalls blockiert, jedenfalls nichts gestaltet.
Dabei wäre es doch entscheidend herauszufinden, wie weit verbreitet antibiotikaresistente Bakterien an Schweizer Spitälern und in der Bevölkerung bereits sind. Ebenfalls von grossem Nutzen wären solide Informationen darüber, wer hierzulande an Übergewicht leidet. Und treten womöglich einzelne Krebsarten in bestimmten Gegenden und bei verschiedenen Personengruppen gehäuft auf?
Es gab eine Zeit, da fühlte sich das BAG für solche lebens- und überlebenswichtigen Themen zuständig. Es sammelte Daten und setzte diese für präventive Arbeit ein. In den 90er-Jahren war das BAG die treibende Kraft beim Wechsel von einer repressiven zu einer für die Betroffenen weniger gefährlichen Drogenpolitik. Zuvor hatte das Amt mit seiner Stopp-Aids-Kampagne weltweit Standards gesetzt. Heute sind derlei Impulse vom BAG keine mehr zu erwarten. Wenn nicht gerade eine Pandemie tobt, beschränkt sich die Behörde im Wesentlichen darauf, einmal im Jahr die neuen Krankenkassenprämien zu kommunizieren.
Daran ist nicht allein Alain Berset schuld. Der entscheidende Fehler passierte 2004, als Bersets Vorgänger Pascal Couchepin die Abteilung Kranken- und Unfallversicherung aus dem Bundesamt für Sozialversicherung herauslöste und ins BAG transferierte. Dessen Fokus änderte sich dadurch nachhaltig: Seither wird alles unter Kosten-Gesichtspunkten betrachtet. Demgegenüber kommt dem Bereich «Public Health» – also jenen Aktivitäten, die zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Bevölkerung beitragen – im Selbstverständnis des BAG bloss noch eine stark untergeordnete Bedeutung zu.
In seinen bislang elf Jahren als Gesundheitsminister wäre es Berset allerdings jederzeit möglich gewesen, Couchepins Missetat rückgängig zu machen und in die Offensive zu gehen. Für die Landwirtschaft leistet sich der Bund mit Agroscope eine eigene Forschungsanstalt – weshalb gibt es keine ähnliche Einrichtung für die öffentliche Gesundheit? Und: Selbst im Hinblick auf die Kosten spielt das BAG lediglich die Rolle des Statisten. Anstatt die Tarife für Ärzte und Labore in eigener Verantwortung festzulegen, überlässt man dieses drängende Thema lieber den Interessengruppen. Diese zanken sich dann über Jahre, ohne dass je eine Lösung gefunden wird.
Ja, es gibt gute Gründe, das Wirken von Bundesrat Berset kritisch zu durchleuchten. Eine Beschäftigung mit seiner Gesundheitspolitik verspricht vielleicht weniger Spektakel. Sie dürfte sich aber mindestens so sehr lohnen wie die aktuelle Untersuchungskaskade wegen seiner Corona-Informationspolitik.