Xi Jinping und der 20. Parteikongress
Führer auf Lebenszeit?

Chinas Staatspräsident strebt eine historische dritte Amtszeit an. Doch seine Macht ist gefährdet. Der 69-Jährige steht in der Kritik wie nie zuvor. Heute beginnt das Plenum, das über seine Zukunft entscheidet.
Publiziert: 16.10.2022 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2022 um 06:44 Uhr
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Heute beginnt in Peking der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei.
Foto: Keystone
Alexander Görlach*

Die Abstimmungsergebnisse standen fest, noch bevor der 20. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas begonnen hatte: Machthaber Xi Jinping (69) wird ein drittes Mal zum Präsidenten ausgerufen. In der Volksrepublik überlässt man nichts dem Zufall, alles ist bis ins kleinste Detail durchchoreografiert. Nicht einmal beim Sonnenschein macht die KPCh Kompromisse. In der jüngeren Vergangenheit sorgten Wetter-Ingenieure für einen strahlend blauen Himmel über Peking.

Xi hat den Wandel der Volksrepublik von der Autokratie zu einem Faschismus chinesischer Prägung vollendet – mit einschneidenden Konsequenzen für die Menschen in China und überall auf der Welt. Nach dem Tod Maos, unter dessen Herrschaft Millionen den Tod fanden, hatte der Reformer Deng Xiaoping (1904–1997) das politische System so umgebaut, dass nicht länger nur ein einzelner Mann über das Schicksal aller Bürger der Volksrepublik entscheiden konnte.

Von leicht liberal zu fatal faschistisch

Xi hat diese bescheidene Liberalisierung rückabgewickelt. In den vergangenen zehn Jahren liess er Widersacher inhaftieren oder gar zum Tode verurteilen. Dissidenten werden sogar ausserhalb Chinas aufgespürt und gewaltsam in die Volksrepublik zurückgebracht. Nicht einmal Unternehmer, Sportler oder Schauspieler können vor dem Zugriff des Staates sicher sein. Wer dem Machthaber zu prominent erscheint und damit die Rolle des alles überstrahlenden Xi infrage stellt, wird kurzerhand ins Gefängnis gesteckt, sein Social-Media-Profil gesperrt.

Der Machthaber überwacht jede Regung der Gesellschaft und erstickt auch online keimenden Unmut im Keim. Die Soldaten der chinesischen Armee schwören nicht etwa einen Eid, das Land zu verteidigen, sondern versichern der Partei ihre uneingeschränkte Loyalität und den Willen, für sie zu sterben. «Der chinesische Traum», so fasste es das Partei-Organ «The People’s Daily» einmal zusammen, «ist die Kommunistische Partei.» Und die Partei, das ist Xi Jinping. Der Führerkult, den er um seine Person aufgebaut hat, lässt das heutige China an das faschistische Deutschland der Nazi-Zeit erinnern.

Wie Xi die Welt dominieren will

Xi begnügt sich dabei nicht mit China allein, er möchte die ganze Welt dominieren. Es geht ihm nicht um Gebiete jenseits des Reichs der Mitte, sondern um ein globales Netz aus Strassen, Schienen und Häfen, über das Güter aus aller Welt nach China geliefert und dorthin exportiert werden sollen. Die «Neue Seidenstrasse» ist Xis geopolitisches Meisterstück. Sein Reich soll unabhängig werden, indem es alle Länder der Erde wirtschaftlich abhängig macht. Diese ökonomische Stärke will Xi in politische Dominanz ummünzen: In internationalen Gremien stimmen Staaten, die bei Peking in der Kreide stehen, bereits heute nach Chinas Gusto ab. Wer mit diesem Riesen Handel treiben will, der darf ihn nicht politisch kritisieren. Australien und Litauen können davon ein Lied singen.

Mit Ländern in seiner unmittelbaren Nähe hat China Grenzkonflikte vom Zaun gebrochen: Der Westpazifik ist durch künstlich aufgeschüttete Inseln militarisiert, mit Indien gibt es immer wieder Grenzgefechte, Taiwan soll erobert werden. Dass China kein imperialistischer Staat ist, sondern eine nach innen gekehrte, in sich ruhende Nation, ist nichts als ein Märchen.

Gegen Xis Herrschaft regt sich Widerstand

Im Inneren regiert Xi mit einer Ideologie, die Han-Chinesen zur Herrenrasse erklärt. Wer hingegen in den von China besetzten Provinzen Tibet oder Xinjiang lebt, muss seiner ererbten Kultur, Sprache und Religion abschwören. Die hässliche Fratze des Ethno-Nationalismus, der einst Europa in einen verheerenden Weltkrieg geführt hat, zeigt sich mit Xis Billigung allenthalben in der Volksrepublik.

Die Covid-Pandemie legte schonungslos offen, wer die Macht hat: Xi liess die 26 Millionen Einwohner Shanghais über Wochen einsperren. Auch für Menschen, die anderswo in China leben, wird der Weg in die Freiheit lang sein. Doch es regt sich Widerstand gegen die Alleinherrschaft: Vor dem Parteitag entrollten Unbekannte an einer Pekinger Autobahn Banner, auf denen sie sein Ende forderten. Dass Bilder der Aktion um die Welt gingen, wird das Strafmass für die Urheber gewiss nicht reduzieren.

China unweit einer Revolte

China ächzt unter einer Vielzahl von Krisen: Die Immobilienblase ist geplatzt, die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie lange nicht mehr, die Wirtschaft wegen Xis Null-Covid-Politik eingebrochen. Viele Menschen verloren ihre Ersparnisse. Seit den friedlichen Demonstrationen des Jahres 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die Deng Xiaoping gewaltsam niederschlagen liess, stand das Land nicht mehr so nahe an einer Revolte wie heute. Umso stärker wird Xi die Zügel anziehen, wenn er zum Herrscher auf Lebenszeit ernannt ist.

*Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Vor kurzem erschien sein neues Buch «Alarmstufe Rot: Warum Pekings aggressive Aussenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt».

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