Analyse des China-Experten
Was Diktator Xi jetzt mit Taiwan vorhat

Die Welt hat den nächsten Konfliktherd: China fühlt sich durch Nancy Pelosis Besuch in Taiwan provoziert und reagiert mit einer Militärübung vor Taiwans Küste. Alexander Görlach spricht von einer Seeblockade – und einem Ablenkungsmanöver.
Publiziert: 06.08.2022 um 16:49 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2022 um 14:04 Uhr
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Vergangenen Dienstag reiste die US-Spitzenpolitikerin und Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach Taiwan.
Foto: AFP
Alexander Görlach*

Das demokratische, freie Taiwan ist eingekesselt: Seit Donnerstag bildet die chinesische Marine an sechs Stellen einen Ring um die Insel. Die Armee dringt dabei auch in Taiwans Hoheitsgewässer ein, es wird mit scharfer Munition geschossen. Schon am ersten Tag der Seeblockade, die Beobachter als Generalprobe für eine Invasion Taiwans durch die Volksrepublik werten, schlugen mehrere chinesische Raketen in japanischen Gewässern in der Nähe von Okinawa ein. Auf Okinawa befindet sich auch ein US-Militärstützpunkt. Beide Länder, Japan und die Vereinigten Staaten, sind enge Partner Taiwans.

Der Oberbefehlshaber der Armee, Machthaber Xi Jinping, begründet die Aggression seines Landes gegenüber dem kleinen Nachbarn damit, dass Taiwan ein Teil Chinas sei. Die Wahrheit ist allerdings, dass die Volksrepublik und die Kommunistische Partei niemals über die Insel geherrscht haben. Xis Ziel ist es, nicht nur Taiwan zu erobern: China liegt mit all seinen Nachbarn wegen Grenzen und Territorien im Streit. Den Westpazifik möchte Peking zu einem nationalen Gewässer machen. Dafür muss es Ländern wie den Philippinen Inseln rauben. Chinesische Söldner besetzen Teile der Spratley-Inseln bereits seit März 2021.

Ablenkungsmanöver für lahmende Wirtschaft

Xi Jinping hat den Besuch der US-Politikerin Nancy Pelosi genutzt, um die Offensive gegen die Insel-Demokratie zu starten. Damit hofft er, die Reihen zu Hause zu schliessen und so von den immensen Problemen abzulenken, in die er die Volksrepublik manövriert hat. Wegen seiner verfehlten Covid-Politik lahmt die Wirtschaft. Mit 18,4 Prozent herrscht in China die grösste Jugendarbeitslosigkeit seit Jahrzehnten. Die Banken-Krise in der Provinz Henan hat offengelegt, dass in China die Korruption alles andere als besiegt ist. Mit dem Wissen der lokalen Regierung haben die dortigen Banken die Ersparnisse von Menschen aus ganz China in riskanten Anlagen verzockt.

Die Immobilienbranche steht vor dem Kollaps. Hunderttausende haben ihr Geld in Wohnungen investiert, die nun nicht mehr gebaut werden, weil die Bauherren sich verspekuliert haben. Zahlreiche Kredite, die Peking im Rahmen der Neuen Seidenstrasse an Länder überall auf der Welt vergeben hat, um sich dort politischen Einfluss zu erkaufen, fallen aus oder müssen neu strukturiert werden. Von den rund 870 Milliarden US-Dollar sollen so bereits rund 140 Milliarden verloren gegangen sein.

Xi für kriegstreibenden Kurs kritisiert

Alles in allem ist das keine Bilanz, mit der man für eine dritte Amtszeit werben kann. Xi möchte sich im Herbst, entgegen der Konvention, ein drittes Mal zum Präsidenten ausrufen lassen und sich so das Tor zu lebenslanger Herrschaft öffnen. Aber selbst in einer totalitären Diktatur wie der chinesischen kann Xi nicht ohne Gefahr allmächtig sein: Er hat innerparteiliche Gegner, die mit seinem kriegstreibenden Kurs nicht zufrieden sind. Die unzufriedene Mittelklasse, die gerade ihre Ersparnisse und Anlagen verliert und dabei zusehen muss, wie ihre Kinder aus der Universität in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, gehen auf die Strasse, um zu demonstrieren. Auch das dürfte Xis Kritikern Anlass geben, an der Stärke des Führers Zweifel zu äussern.

Umso mehr braucht Xi nun die Eskalation um Taiwan. Vorlage für die jetzige Seeblockade ist die letzte Konfrontation, die zwischen den beiden Ländern stattfand: Im Jahr 1995 reiste der taiwanische Präsident für einen Vortrag in die USA. Das erboste Peking derart, dass es die Insel acht Monate lang blockierte. Auch damals hagelte es Raketen. US-Präsident Bill Clinton beendete den Spuk, indem er einen Flugzeugträger durch die Strasse von Taiwan schickte und damit zeigte, dass Washington das demokratische Land gegen das aggressive Peking unterstützen wird.

In diesem Sinne äusserte sich auch Nancy Pelosi: Taiwans Demokratie sei eine Inspiration für die Welt. Das Land liege im weltweiten Demokratie-Index auf Platz acht, in Asien sogar auf Platz eins. Amerika hingegen ist auf Platz 26. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses setzt sich schon lange für die Menschenrechte in der Region ein. 1991 entrollte sie in Peking ein Demokratietransparent auf dem Platz des Himmlischen Friedens – an jener Stelle, wo zwei Jahre zuvor die Kommunistische Machtclique friedlich demonstrierende Studierende niedermetzeln liess.

Taiwan muss weiter bangen

Das mag den ätzenden Furor erklären, mit dem Peking den Besuch von Pelosi begleitet. An der offiziellen Politik der USA gegenüber China und Taiwan hat sich hingegen seit 1979 nichts geändert. Es war und bleibt die Auffassung der Vereinigten Staaten, dass Taiwan und China sich zusammenschliessen können, wenn die Menschen das wollen. Allerdings dürfen dabei kein Druck und keine Gewalt ausgeübt werden. Da Chinas Machthaber den Taiwanern mehrfach mit gewaltsamer Wiedervereinigung gedroht hat, entgegnete ihm US-Präsident Joe Biden wiederholt, dass die Vereinigten Staaten in einem solchen Fall Taiwan beistehen würden.

Wie es nun weitergehen wird, muss der 8. August zeigen. Dann nämlich soll die als «Militärübung» deklarierte Seeblockade enden. Sollte das nicht geschehen, stehen für die Inselrepublik Monate des Bangens an. Chinas Botschafter in Frankreich hat in einem Interview gesagt, worauf sich Taiwan einstellen müsse, sollte China das Land erobern. Alle Taiwaner müssten demnach «umerzogen» werden. China unterhält solche «Umerziehungslager» bereits in Xinjiang. Dort werden eine Million Menschen gefangen gehalten, die Peking aufgrund ihrer Ethnie für minderwertig hält.

*Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Sein neues Buch «Alarmstufe Rot: Warum Pekings aggressive Aussenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt» ist kürzlich erschienen.

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