Was für eine Woche für Chinas Machthaber! Gleich dreimal erntete Xi Jinping negative Schlagzeilen. Zum einen durch US-Präsident Joe Bidens Zusicherung, dem demokratischen Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs militärisch zu Hilfe zu eilen. Xi Jinping, dem die florierende Demokratie vor seiner Haustür ein Dorn im Auge ist, hat bereits mehrfach gedroht, den Inselstaat zu attackieren und zu besetzen, sollte er sich nicht mit der Volksrepublik «wiedervereinigen» lassen.
Kurz darauf gelangten die «Xinjiang Police Files» an die Öffentlichkeit. 14 international renommierte Medienhäuser haben Tausende Fotos und Dokumente ausgewertet und auf Echtheit überprüft, die den Terror von Xis Clique in der nordwestlichen Provinz seines Landes belegen: Eine Million Menschen werden dort in Konzentrationslager gepfercht, gedemütigt und gefoltert. Ziel Xi Jinpings ist es, die Kultur und Lebensweise der Uiguren, die er im Vergleich zu den Han-Chinesen für minderwertig hält, auszulöschen und die an Bodenschätze reiche Provinz ungestört auszubeuten.
Die grausame Unterdrückung der Uiguren
Der US-Kongress, das kanadische und niederländische Parlament bezeichnen Xis grausames Vorgehen als Völkermord. Bereits 2019, bei einem anderen Datenleck, kamen in der «New York Times» Aussagen des Staatspräsidenten ans Tageslicht, der seinen Sicherheitskräften befohlen hatte, «absolut keine Gnade» mit den Uiguren walten zu lassen. Während die Männer in den Lagern geknechtet werden, treiben Pekings Schergen ihr Unwesen mit den Frauen. Nicht nur von Vergewaltigungen wird berichtet, sondern auch von erzwungenen Abtreibungen und Sterilisationen. Sie haben zum Ziel, die muslimische Volksgruppe zu marginalisieren. Auch ausserhalb der Lager ist die ganze Provinz zum Gefängnis geworden, überall hängen Überwachungskameras, Gesichtserkennung ist im Einsatz, Bewohner werden gezwungen, genetische Proben nehmen zu lassen. Ihre Terror-Technologie verkauft Peking stolz an andere Diktaturen, zum Beispiel an Simbabwe.
Chinas Charme-Offensive für die Wirtschaft
Zuletzt wurde bekannt, dass Chinas Aussenminister Wang Yi einen Besuch in zehn kleinen Inselstaaten plant. Jüngst hatte Peking einen Deal mit den Salomonen unter Dach und Fach gebracht. Durch Verträge mit den kleinen Nationen im Pazifik will Peking nach diesem Muster seine Einflusssphäre ausbauen – eine Charme-Offensive, die sich gegen Australien, Neuseeland, Japan und die Vereinigten Staaten richtet. Welche Absicht China damit verbindet, lässt sich bereits im Westpazifik beobachten: Peking fordert von den Anrainerstaaten Territorien – mit dem Ziel, diesen Teil des Ozeans militärisch zu dominieren und jederzeit Einfluss auf den Welthandel nehmen zu können. Sollten die kleinen Inseln auf Peking hereinfallen, wäre ihre wirtschaftliche und politische Abhängigkeit besiegelt.
Dass Peking die Echtheit der neuen Enthüllungen abstreitet und sie gegenüber der hohen Uno-Kommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet als «politische Manipulation» bezeichnet, gibt keinen Anlass zur Hoffnung auf rasche politische Veränderungen. Xi Jinping, der sich beim 20. Parteitag der Kommunisten im November für eine dritte Amtszeit wählen lassen will, also praktisch auf Lebenszeit, besässe damit eine Machtfülle, wie sie zuvor nur Mao Zedong besass, unter dem mindestens 45 Millionen Menschen durch Hunger und politische Säuberungen ums Leben kamen.
Pandemie stärkte den Überwachungsstaat
Dabei macht Xi auch nicht vor Überwachung und Unterdrückung der Han-chinesischen Bevölkerungsmehrheit halt. So haben es im Zuge der jüngsten Lockdowns Menschen in vielen Metropolen des Landes erlebt. Wenn die Partei es will, werden sie in ihren Wohnungen eingesperrt, ihre Haustüren verplombt und ganze Wohnkomplexe abgeriegelt. Wenn es schlecht läuft, bleiben sie dort ohne ausreichende Nahrung und Medikamente. Bislang schenkten viele Chinesen der Erzählung der Staatspartei Glauben, wonach die Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte auch durch Gesichtserkennung und soziales Ranking nur der Aufrechterhaltung der Ordnung dienten. Demnach bekämen Bürger, die ihre Strafzettel nicht pünktlich bezahlen, einen Punktabzug. In Wahrheit aber erhält mittlerweile auch Minuspunkte, wer sich in den sozialen Medien kritisch gegenüber der Regierung äussert. Die Pandemie hat den Überwachungswahn im Land noch verstärkt.
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Öffentliche Kritik an Xis totalitärem Kurs gibt es nicht, wenngleich sich allmählich auch Unmut Bahn bricht. Unter anderem wird Vizepremier Han Zheng als mögliche Alternative zu Diktator Xi genannt. Ob es seinem Flügel der Partei gelingen kann, Xi im Herbst aus dem Amt zu drängen, ist fraglich. Obwohl vor allem der Schritt des US-Präsidenten, Taiwan militärische Hilfe zuzusagen, die alten Gewissheiten nicht länger rechtfertigt. Die «Ein-China-Politik», auf die Peking alle Staaten verpflichtet hat, die mit ihm Handel treiben, besagt eigentlich, dass die Volksrepublik Taiwan nicht drohen darf. Erlaubt wäre lediglich, dem selbständigen Taiwan durch Verhandlungen auf Augenhöhe das Angebot zu machen, Teil der Volksrepublik zu werden. Da Peking sich unter Xis Regime von dieser Politik verabschiedet hat, kamen die USA nicht umhin, ihre Politik anzupassen. Ein solcher Kurswechsel steht nun auch in Paris, London und Berlin bevor.
* Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Sein neues Buch «Alarmstufe Rot: Warum Pekings aggressive Aussenpolitik im Westpazifik in einen globalen Krieg führt» (Hoffmann und Campe) ist kürzlich erschienen.