Experte Görlach über den Umbau Chinas nach Vorbild Nordkoreas
Warum Diktator Xi K-Pop-Boybands bekämpft

Seit Monaten ist die chinesische Regierung damit beschäftigt, das Land nach nordkoreanischem Vorbild umzubauen. China-Experte Alexander Görlach ordnet im Gastbeitrag ein.
Publiziert: 18.09.2021 um 17:48 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2021 um 15:51 Uhr
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Alexander Görlach ist Honorarprofessor für Ethik und Demokratie-Experte. Er lebte unter anderem in Taiwan und Hongkong.
Foto: Hong Kiu Cheng
Alexander Görlach*

Die skurrilen Nachrichten aus Xi Jinpings China reissen nicht ab: Anfang September hat der Diktator entschieden, dass Männer im Fernsehen, im Kino und auf der Bühne wieder wie richtige Männer auszusehen haben. Für Herrn Xi heisst das, dass jeder, der weibliche Züge hat und sich nicht eindeutig wie ein Mann kleidet und gibt, in der chinesischen Öffentlichkeit nichts mehr verloren hat. Dieses neue Verbot diene dem Erhalt der guten Sitten und der Nation, es wendet sich gegen «verweichlichte Ästhetik» und «ungesunde Inhalte». Damit dreht Peking die Temperatur auf seiner Gleichschaltungsskala noch einmal höher. Wie in jeder Diktatur sollen am Ende auch Spass und Freude aus China vertrieben sein.

Herrn Xi geht es dabei nicht um löchrige Jeans und Musik, die Opa nicht gerne hört, sondern um einen radikalen Umbau der Gesellschaft. Am Ende sollen alle, ob jung oder alt, keine eigenen Freiheiten mehr haben, sondern ganz dem Mandat der Kommunistischen Partei untergeordnet leben. Die «femininen, ungesunden» Inhalte bezogen sich dabei zuallererst auf die Pop-Kultur des benachbarten Südkorea, das eine freie Demokratie ist, in der Menschen anziehen können, was sie wollen. Herr Xi, der einen radikalen nationalistischen Kurs fährt, der seine eigene Ethnie, die der Han-Chinesen, als beste Ethnie hervorhebt, möchte nicht, dass hanchinesische Kinder Kultur aus dem Ausland mehr lieben als die vorsichtig von der Kommunistischen Partei zurechtkuratierte nationalistische.

Koreas Pop-Kultur ist Xi ein Dorn im Auge

Wer sehen möchte, wie Unterhaltung in China aussieht, kann auf Netflix einen ersten Eindruck davon bekommen: Was dort auf Chinesisch angeboten wird, sind Märchen und Sagen, die das alte China besingen, seichte Liebesschmonzetten oder Hardcore-Actionfilme, in denen Männer nach Xis Geschmack auftreten: echte Chinesen mit vielen Muskeln und grosser Liebe fürs Vaterland. Herr Xi hält grundsätzlich auch Computerspiele für die Jugend zersetzend, auch dort sollen künftig keine «unmännlichen Charaktere» mehr gezeigt werden. Ohnehin ist die Spielzeit für Jugendliche in Xis Reich wöchentlich auf wenige Stunden begrenzt, die Zahl wurde gerade noch einmal herabgesetzt. Anstelle dessen sollen sich die jungen Menschen nun wohl in «Xi Jinpings Gedanken» vertiefen, in die Bücher, in denen Herr Xi den Chinesen darlegt, wie er sich sein Land in der Zukunft vorstellt. Seit Mao hat es kein chinesischer Präsident mehr gewagt, so die gesamte Gesellschaft kontrollieren zu wollen.

Echte Chinesen sollen in China bleiben

Der Angriff auf die Kultur ist nur einer der Bausteine bei Herrn Xis Umbau Chinas in eine Diktatur nach nordkoreanischem Vorbild: Anfang August hat die Partei per Federstrich jede Form von Nachhilfe und Ausbildungsangeboten verboten, mithilfe derer sich chinesische Kinder an Schulen und Universitäten im Ausland bewerben könnten. Heute haben in der westlich orientierten Stadt Shanghai rund 75 Prozent der Anwältinnen und Anwälte in den Starkanzleien ihre Ausbildung in den USA oder England gemacht. Das heisst, sie bringen freiheitliche Rechts-Ideen zurück in das Land, «infizieren» damit unter Umständen die liberal denkende Shanghaier Stadtbevölkerung und wiegeln sie gegen die Diktatur auf. Mit dem Verbot soll dem entgegengewirkt werden, die Botschaft ist: Echte Chinesinnen und Chinesen bleiben in China.

Xi will über allem stehen

Die Wirtschaft ist generell wieder unter Xis Knute. Der Alibaba-Gründer Jack Ma war für Wochen von der Bildfläche verschwunden, nachdem er es gewagt hatte, die Kommunistische Partei zu kritisieren. Sein Unternehmen bekam dann eine Rekordstrafe aufgebrummt, angeblich für kartellrechtliche Vergehen, für die sich allerdings bis dahin, sollte es sie wirklich gegeben haben, niemand wirklich interessiert hat. Das chinesische Pendant zu Uber, Didi, wurde aus dem Onlinestore genommen, kurz nachdem das Unternehmen in den USA an die Börse gegangen war. Auch da hat Herr Xi viel Kapital vernichtet. Mit Absicht, denn die Botschaft ist: Über mir steht nichts, weder die Partei noch die Wirtschaft. Herr Xi hat in der Tat das Land seit 2013 in eine vom Führerkult bestimmte Diktatur umgebaut. Die Parade diesen Juli in Peking aus Anlass von 100 Jahren Kommunistischer Partei waren geradezu Xi-Festspiele.

Wie ihm eine Jungsband die Stirn bietet

Überall auf der Welt haben Diktatoren und Autokraten etwas gegen jene Menschen, die nicht so sind, wie sie sie gerne hätten. Hetero, bi-, homo-, transsexuelle Menschen, sie alle kann es erwischen, wenn der Machthaber einen Sündenbock braucht, um von seiner Gleichschaltungspolitik abzulenken. Ob er mit spröden Romanzen den Kampf gegen die hervorragende südkoreanische Pop-Kultur gewinnen kann? Im Oktober 2020 haben von der Partei engagierte Internet-Trolle die südkoreanische Popgruppe BTS im Internet angegriffen. Ein Band-Mitglied hatte sich in einer Weise politisch geäussert, die der kommunistischen Diktatur, die keinerlei Widerrede im In- und Ausland möchte, missfiel. Allerdings ist die südkoreanische Jungsband (alle sind gekleidet und geschminkt wie in Xi Jinpings schlimmstem Albtraum) so beliebt, dass ihr viele Fans zu Hilfe kamen und die bezahlten Ideologieverfechter Pekings sich für den Moment zurückziehen mussten. Bis dato ist also Xis Propaganda-Apparat, der den Völkermord in Xinjiang, die Unterwerfung Hongkongs und die Kriegsdrohung gegenüber Taiwan mit Freude an die Welt verkauft, weder vor den USA noch einer anderen Macht eingeknickt, sondern nur vor ein paar singenden Jungs aus Südkorea mit Make-up im Gesicht. Go, BTS! Go!

* Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Zuletzt erschien von ihm «Brennpunkt Hongkong: Warum sich in China die Zukunft der freien Welt entscheidet» (Hoffmann & Campe, 2020).


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