Hohe Energiepreise, Teuerung, Prämienschock. Für den Bundesrat ist das alles kein Grund, in Panik auszubrechen. Kein Handlungsbedarf, so das bundesrätliche Fazit. Vorschläge wie eine Energiezulage oder eine zusätzliche Prämienverbilligung für einkommensschwache Haushalte hat er deshalb vom Tisch gewischt. Einmal mehr begnügt sich der Bund damit, die weitere Entwicklung zu «beobachten».
Ein Entscheid, für den Caritas-Direktor Peter Lack (53) nur Kopfschütteln übrig hat. «Das ist eine Ohrfeige für die armutsbetroffene und armutsgefährdete Bevölkerung in diesem Land.» Dabei gehe es immerhin um 1,3 Millionen Menschen. «Der Bundesrat tut zu wenig dafür, dass diese ein würdiges Leben führen können.» Das ist aus Lacks Sicht umso bitterer, als der Bund und die Kantone während der Corona-Pandemie innovativ mit finanziellen Unterstützungsmassnahmen geholfen haben, als die breite Bevölkerung betroffen war.
Mehr Armut und Verschuldung
Lack weiss, wovon er spricht. Die Caritas-Beratungsstellen und die Caritas-Märkte sind mit deutlich höherem Zulauf konfrontiert. «In den Läden sind es 40 Prozent mehr.» Dabei sei der Höhepunkt noch gar nicht erreicht.
«2023, wenn die Nebenkostenabrechnungen und höheren Prämien kommen, wird es so richtig einschenken», prognostiziert Lack. «Dann wird sich die schwierige Lage noch zuspitzen.» Sein Hilfswerk befürchtet, «dass viele Menschen zusätzlich in die Armut abrutschen oder sich verschulden».
Drei-Punkte-Plan
Umso stärker sei nun Handeln angesagt. «Wirksame Instrumente liegen auf dem Tisch, man muss sie nur nutzen», so der Caritas-Chef. Er legt dazu einen Drei-Punkte-Plan vor:
- Höhere Prämienverbilligung: Die individuelle Prämienverbilligung gehöre zu den wirksamsten Instrumenten mit einer klaren Zielgruppe. «Es braucht eine Erhöhung um 30 Prozent durch den Bund, und die Kantone müssen ebenfalls nachziehen», so Lack. «Das hilft enorm, denn die Krankenkassenkosten sind eine enorme Belastung.» Kosten würde die Massnahme etwa eine Milliarde Franken. Der Nationalrat hat dafür grünes Licht gegeben. In der Wintersession entscheidet der Ständerat darüber – wobei das Geschäft kippen könnte.
- Vollständiger Teuerungsausgleich: Der Bundesrat will die AHV- und IV-Renten sowie die Ergänzungsleistungen um 2,5 Prozent erhöhen. Das reicht Lack aber nicht: «Es braucht den vollständigen Teuerungsausgleich für alle Sozialwerke.» Dabei müssten auch die höheren Krankenkassenprämien berücksichtigt werden, die in der Teuerungsberechnung fehlten. «Effektiv braucht es eine Erhöhung um mindestens drei Prozent», so Lack. «Der Bund muss entsprechend nachjustieren.»
- Direkthilfen: Schliesslich fordert Caritas auch finanzielle Direkthilfen für Härtefälle. «Es gibt Leute, die durch das soziale Netz fallen, wenn ihnen das Geld ausgeht», so Lack. Dabei gehe es meist um ungeplante Ausgaben – etwa eine Zahnarztrechnung, eine neue Matratze oder auch mal neue Kleider. «Es trifft oft Familien und Einzelpersonen mit knappem Budget, denen rasch und unkompliziert geholfen werden muss.» Kantone und Gemeinden müssten hierfür zusätzliche Gelder bereitstellen.
Caritas ist «fassungslos»
Lack warnt vor viel teureren Nachfolgekosten, wenn nichts unternommen werde. Denn wenn das Geld nicht mehr reicht, müssen die Menschen andernorts sparen. «Bei Armutsbetroffenen bedeutet dies oft, dass man beim Essen – sprich bei der gesunden Ernährung – sparen muss.»
Besonders stark wirke sich die Situation auf Kinder und Jugendliche aus, wenn es nicht mehr für das Ferienlager oder sportliche Aktivitäten reiche. «Das bedeutet auch einen Ausschluss aus der sozialen Teilhabe», sagt Lack.
Laut der Caritas droht ein Teufelskreis, aus dem viele nur schwer wieder herauskommen. «Das müssen wir verhindern», betont der Hilfswerk-Direktor. «Dass der Bundesrat sämtliche Massnahmen einfach so nonchalant vom Tisch wischt, ist unverantwortlich und macht uns fassungslos. Dagegen müssen wir uns wehren.»