Seine Karriere, seine Erfolge, seine Skandale
Mensch, Alain!

Alain Bersets Name dürfte verbunden bleiben mit der Covid-19-Pandemie. Aber er ist auch der Sozialminister, dem eine substanzielle AHV-Reform gelungen ist. Allerdings prägten auch Skandale seine Zeit im Bundesrat.
Publiziert: 21.06.2023 um 20:58 Uhr
1/18
Alain Berset nimmt den Hut und tritt Ende 2023 als Bundesrat zurück.
Foto: keystone-sda.ch
Blickgruppe_Mitarbeiterportraits_59.JPG
Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Sein Auftritt am Mittwoch war eine Art Vermächtnis, ein Zuruf an die Historiker. Mit der Rücktrittsankündigung Alain Bersets (51) endet im kommenden Dezember – vorläufig – eine erstaunliche Polit-Karriere. Ein Langstreckenlauf, wie er selbst es nennen würde.

Die Läufer-Analogie zieht sich durch Bersets Karriere. Als Jugendlicher wird er Westschweizer Meister im 800-Meter-Lauf, stellt für seinen Verein, den CA Belfaux, zahlreiche Rekorde auf. Schliesslich darf er an der «Athletissima» in Lausanne starten, einem internationalen Leichtathletikmeeting.

Mit nur 31 Jahren biegt er auch politisch auf die Zielgerade ein: Der Sozialdemokrat zieht für den Kanton Freiburg in den Ständerat ein. Und das lediglich mit ein paar Jahren politischer Erfahrung im kantonalen Verfassungsrat und im Gemeinderat seines Wohnorts Belfaux, wo er noch heute wohnt.

Drei Legislaturperioden

2009 wird er, damals jüngstes Mitglied im Stöckli, Ständeratspräsident. 2011 schliesslich folgt der Zieleinlauf: Er wird als Nachfolger von Micheline Calmy-Rey (77) in den Bundesrat gewählt. Der Freiburger mit seinen dandyhaften Zügen gilt als smart und schnell im Kopf.

Zwölf Jahre wird der promovierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftler und dreifache Vater dem Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) vorgestanden sein, wenn seine Amtszeit Ende Dezember nach drei Legislaturperioden endet.

Ewige Baustellen

Als EDI-Vorsteher ist er für Gesundheitspolitik und Altersvorsorge zuständig. Beide Bereiche gelten als ewige Baustellen, bei denen kaum Reformen gelingen. Eine seiner empfindlichsten Niederlagen fährt Berset im September 2017 ein, als er mit «Altersvorsorge 2020» deutlich scheitert.

Eine substanzielle Reform der AHV gelingt ihm fünf Jahre später. Nach dem knappen Ja des Stimmvolks steigt das Frauenrentenalter voraussichtlich ab 2024 schrittweise auf 65 Jahre. Ausserdem wird die Mehrwertsteuer zugunsten der AHV erhöht.

Souverän durch die Pandemie

Bersets Name wird – zumindest in der Schweiz – verbunden bleiben mit einer der schwersten Krisen in der jüngsten Zeit: der Covid-19-Pandemie. Der Innenminister steht an vorderster Front, als das Coronavirus das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben beherrscht. Der Bundesrat regiert vorübergehend mit Notrecht, verbietet Veranstaltungen, lässt Geschäfte und Restaurants schliessen.

Und doch: Die Mehrheit stützt den Kurs des Bundesrates. Fast alle attestieren ihm, als Gesundheitsminister gut zu kommunizieren und Augenmass zu behalten. Dreimal, zuletzt am vergangenen Sonntag, sagt das Volk darum an der Urne Ja zum Covid-19-Gesetz. Die überwundene Pandemie sei mitunter Anlass für seine Rücktrittsankündigung gewesen, erklärt Berset am Mittwoch.

Grosse Beliebtheit im Volk

Berset schneidet bei Meinungsumfragen regelmässig als einer der beliebtesten Magistraten ab. Der Romand redet eloquent – selbst auf Deutsch. Er punktet im behäbigen Schweizer Polit-Betrieb mit Nonchalance und Weltgewandtheit.

Foto: KEYSTONE

2018 etwa, während Bersets erstem Jahr als Bundespräsident. In New York hat er die Blicke der Welt auf sich: Ein in den Medien verbreiteter Schnappschuss zeigt den «Swiss President» vor dem Uno-Gebäude beim Lesen von Unterlagen, im Anzug auf einem Randstein sitzend.

Immer wieder Skandale

Doch negative Schlagzeilen verpassen Berset immer auch wieder Schlagseite. Etwa rund um den Erpressungsversuch einer ehemaligen Geliebten. Oder den Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung an seinen früheren Vertrauten und Mediensprecher im Zusammenhang mit Corona-Indiskretionen.

Ein Fehler der französischen Luftpolizei outet Berset im Sommer 2022 zudem als Privatpiloten: Weil die Behörde Berset falsch anfunkt und dieser nicht reagiert, holt die Luftpolizei den in einem Kleinflugzeug allein reisenden Minister zu Boden.

«Vielleicht Yoga»

Nun ist das luftige Leben als Bundesrat für Berset bald vorbei. Über seine (berufliche) Zukunft äussert er sich bedeckt. Es gebe «noch keinen Plan», sagt er.

Vielleicht besinnt er sich auf seine musikalischen Fähigkeiten zurück – er nahm jahrelang Klavierunterricht am Konservatorium. Das hat ihm, damals 19-jährig, in Brasilien ein Engagement als Barpianist ermöglicht. Eine weitere Option: «Vielleicht mache ich Yoga», sagte er am Mittwoch im Scherz.

So oder so: Alain Berset drückt im Dezember vorerst die Reset-Taste.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?