Just im Wahljahr hat das Parlament eine umstrittene Pensionskassen-Reform abgesegnet. Linke und Gewerkschaften laufen Sturm dagegen und haben das Referendum ergriffen. An vorderster Front dabei: Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (55, VD).
Beim Interview mit Blick verkündet der SGB-Präsident, dass das Referendum gegen die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) zustande kommt. Damit hat das Stimmvolk voraussichtlich im März 2024 an der Urne das letzte Wort.
Blick: Herr Maillard, Sie wirken sehr zufrieden. Sind die Unterschriften für das BVG-Referendum beisammen?
Pierre-Yves Maillard: Ja, wir haben schon über 120'000 Unterschriften gesammelt und werden das Referendum Ende Juni bei der Bundeskanzlei einreichen. Bis dahin dürften noch Tausende weitere Unterschriften dazukommen. Die vielen Unterschriften zeigen, dass sich die Menschen um ihre Renten sorgen. Die Wut über den Rentenabbau ist riesig. Sogar die politisch unabhängige Konsumentenpresse mit dem «K-Tipp» unterstützt aktiv das Referendum und sammelt Unterschriften.
Es sind doch gerade kleinere Einkommen und Teilzeitlerinnen, die sich mit der Reform eine höhere BVG-Rente aufbauen können.
Aber zu einem zu hohen Preis! Die Versicherten zahlen massiv höhere Beiträge und die grosse Mehrheit bekommt dafür keinen Franken an Kompensation. Eine 25-jährige Frau beispielsweise mit 5400 Franken Monatslohn zahlt künftig jeden Monat 80 Franken mehr, bekommt im Alter aber nur 30 Franken mehr Rente. Ist sie schon 50-jährig, zahlt sie 50 Franken mehr und bekommt sogar 130 Franken weniger Rente. Unter dem Strich zahlt man drauf.
Es gibt auch Beispiele, bei denen die Versicherten gewinnen.
Viel zu wenige. Die geplante Reform ist eine reine Sparübung und führt zu Rentensenkungen auf breiter Front. Am Ende werden die Renten des Mittelstands sinken und die kleinen Einkommen profitieren ebenso wenig von einer verbesserten Rente, weil ihnen die Ergänzungsleistungen gekürzt werden.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.
Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.
Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.
Das sind die wichtigsten Eckwerte:
Tieferer Umwandlungssatz
Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.
Rentenzuschlag für Übergangsgeneration
Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.
Flexibler Koordinationsabzug
Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.
Angepasste Altersgutschriften
Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.
Tiefere Eintrittsschwelle
Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.
Die Senkung des Umwandlungssatzes bleibt angesichts der steigenden Lebenserwartung doch ein Muss!
Nein, die meisten Kassen haben riesige Reserven angelegt und mit der Zinswende werden die Renditen weiter steigen. Die Senkung des Umwandlungssatzes ist damit schlicht unnötig geworden. Die finanzielle Situation der Pensionskassen ist unglaublich gut. Seit dem Jahr 2000 haben sie ihre Bilanzsumme von 500 auf über 1100 Milliarden Franken mehr als verdoppelt! Das Geld für die Renten ist vorhanden.
Vergangenes Jahr haben aber viele Pensionskassen wegen des schlechten Börsengangs viel Geld verloren.
Seit Anfang Jahr geht es bereits wieder deutlich aufwärts mit den Renditen. Natürlich gibt es Schwankungen, aber in der Tendenz steigen die Vermögen der Kassen. Auch die Zinsen dürften nochmals steigen – das verbessert die Situation weiter.
Dann sollen wir einfach auf eine Reform verzichten?
Es braucht eine Reform – aber eine, die für eine echte Verbesserung der Rentensituation sorgt! Schauen Sie sich die Inflation an, da passiert nichts! Es braucht eine Reform, die wie bei der AHV für eine regelmässige Anpassung der BVG-Renten an die Teuerung sorgt. Ohne Teuerungsausgleich verlieren die Versicherten Jahr für Jahr an Kaufkraft.
Mehr zur Renten-Debatte
Das kostet wieder mehr Geld, das nicht vom Himmel regnet.
Aber es gibt noch viel Geld, das in den Taschen der Finanzbranche versinkt. Schauen Sie sich die hohen Verwaltungskosten an. Oder die Gewinne, die die Versicherungsbranche abschöpft. Das geht es jedes Jahr um Milliarden, die den Versicherten entzogen werden. Hier müssen wir bei einer Reform ansetzen. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament will davon aber nichts wissen. Stattdessen setzen sie die 1. und 2. Säule unter Druck, um die Leute in teure private Versicherungen in der 3. Säule zu drängen.
Zurück zum Referendum. Das Stimmvolk wird wohl im März 2024 über die Vorlage entscheiden. Da treten Sie gegen den Bürgerblock von SVP bis GLP an.
Ein Block, der jetzt schon tiefe Risse hat. Viele im bürgerlichen Lager haben gemerkt, dass die Vorlage nur viel kostet und nichts bringt. Die Bauern beispielsweise. Oder die Gastrobranche. Sie stehen der Vorlage kritisch bis ablehnend gegenüber.
Pierre-Yves Maillard (55) ist seit Mai 2019 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat – wie schon von 1999 bis 2004. Bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober kandidiert er zudem für den Ständerat – mit guten Erfolgsaussichten auf den Einzug ins Stöckli. Maillard ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.
Pierre-Yves Maillard (55) ist seit Mai 2019 Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Zudem sitzt Maillard seit 2019 wieder für die SP im Nationalrat – wie schon von 1999 bis 2004. Bei den eidgenössischen Wahlen im Oktober kandidiert er zudem für den Ständerat – mit guten Erfolgsaussichten auf den Einzug ins Stöckli. Maillard ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Renens VD.
Dann können Sie den Champagner für den Abstimmungssieg schon mal kaltstellen.
Die Schlacht ist nicht gewonnen, bevor sie geschlagen ist. Wir werden starke Kräfte und viel Geld aus der Finanz- und Versicherungsindustrie gegen uns haben. Ich stelle mich auf einen harten Abstimmungskampf ein.
Möglicherweise kommt mit dem Referendum auch gleich die SGB-Initiative für eine 13. AHV-Rente vors Volk.
Das würde ich begrüssen, denn mit der Initiative bieten wir eine rasche Lösung für bessere Renten. Die drei Milliarden Franken für höhere Lohnbeiträge aus der BVG-Reform sind in der AHV viel besser investiert. Hier profitieren alle Rentnerinnen und Rentner von einer Erhöhung.