Die Linke reibt sich schon die Hände
Parlament winkt umstrittene BVG-Reform durch

Die Pensionskassen-Reform hat es durchs Parlament geschafft. Doch das Referendum ist bereits angekündigt. Für die Linke ein «Geschenk» mitten im Wahljahr.
Publiziert: 17.03.2023 um 09:13 Uhr
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Aktualisiert: 17.03.2023 um 10:05 Uhr
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Die Pensionskassen-Reform hat es durch Parlament geschafft, doch die Linke ergreift das Referendum. «Wir müssen zurück auf Feld eins, um eine anständige Lösung zu finden», sagt SP-Co-Chefin Mattea Meyer (35).
Foto: Philippe Rossier
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Es war ein jahrelanger «Chrampf». Doch nun liegt ein Reformpaket für die berufliche Vorsorge (BVG) auf dem Tisch. Mit der Schlussabstimmung vom Freitag hat das Parlament die erste Hürde gemeistert.

Doch die höhere Hürde steht noch bevor: das Stimmvolk. Linke und Gewerkschaften haben bereits das Referendum angekündigt. Die Unterschriftensammlung beginnt Ende März – und die benötigten 50'000 Unterschriften dürften locker zusammenkommen.

Für die SP ist das Referendum ein «Geschenk» mitten im Wahljahr, wie einige Bürgerliche monieren. Bis zu den Sommerferien können die Genossinnen und Genossen damit ihre Vorkampagne führen. «Wer sich für anständige Renten einsetzt und die Kaufkraft stärken will, unterschreibt unser Referendum», sagt SP-Co-Chefin Mattea Meyer (35), schon in Wahlkampfstimmung. «Wir müssen zurück auf Feld eins, um eine anständige Lösung zu finden.»

Der Abstimmungstermin ist jedenfalls so gut wie gesetzt: der 3. März 2024. Dann kommt es zum Showdown. Die Linke reibt sich jetzt schon die Hände. Nach einer knappen Niederlage bei der AHV-Abstimmung hat sie bei der Pensionskassen-Reform einen Sieg in der Rentenfrage vor Augen.

Skepsis im bürgerlichen Lager

Mit ein Grund: Das bürgerliche Lager ist gespalten. In der Schlussabstimmung unterstützten zwar FDP, SVP, Mitte und GLP mehrheitlich die Vorlage. Doch die grosse Anzahl an Enthaltungen zeigt im bürgerlichen Lager eine fehlende Euphorie.

Das sind die Eckwerte der Pensionskassen-Reform

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt von SP-Sozialminister Alain Berset (50): Die Altersvorsorge 2020, mit welcher er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit welcher eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiterer Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt also ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 bzw. 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 bzw. 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende. (rus)

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt von SP-Sozialminister Alain Berset (50): Die Altersvorsorge 2020, mit welcher er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit welcher eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiterer Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt also ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 bzw. 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 bzw. 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende. (rus)

Am grössten ist die Skepsis in der SVP, wo sich etwa Parteichef Marco Chiesa (48) enthalten hat oder die Nationalrätinnen Magdalena Martullo-Blocher (53, GR) und Esther Friedli (45, SG) gar Nein gestimmt haben. Insbesondere bei Bauernvertretern gibt es Widerstand. Für die Landwirte steigen die Lohnkosten nämlich massiv. «Was derzeit auf dem Tisch liegt, wird für unsere Branche wahnsinnig teuer», warnte Bauernverbandspräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter (55, SG) im Blick.

Auch bei den Gewerblern ist die Zurückhaltung gross. Insbesondere die Tieflohnbranche scheut die zusätzlichen Kosten. Die Gastrobranche hat ausgerechnet, dass rund 250 Millionen Franken jährlich mehr Lohnbeiträge in ihre Pensionskasse eingezahlt werden müssten. «Die Mehrkosten sind für ganz viele Wirtschaftszweige nicht tragbar», so der Verband.

Ihren Unmut hat die Tieflohnbranche bei der letzten Vorstandssitzung des Gewerbeverbands zum Ausdruck gebracht. Trotzdem verzichtet dieser vorerst auf eine konkrete Stellungnahme zur Reform. «Wir sind geteilter Meinung, da die Vorlage sowohl positive als auch negative Punkte beinhaltet», sagt Gewerbepräsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi (60, TI). Eine breite inhaltliche Diskussion habe man aber noch nicht geführt. Die Parolenfassung will er zu gegebener Zeit der Gewerbekammer überlassen. Regazzi selbst hat sich in der Schlussabstimmung daher enthalten.

Centre Patronal spricht von «Schlamassel»

Bereits positioniert hat sich der welsche Gewerbeverband Centre Patronal. «Die Reform erreicht die angestrebten Ziele nicht, trotz erheblicher Kosten», schreibt er in seinem jüngsten Newsletter und spricht er von einem «regelrechten Schlamassel». Das Referendum biete der Linken stattdessen «eine ideale Plattform, um ihre übliche scharfe Kritik an der zweiten Säule anzubringen».

Die Schweizerische Kammer der Pensionskassenexperten wiederum wehrt sich gegen das «Giesskannenprinzip», das der Rentenzuschlag mit sich bringt. Zudem kritisiert sie die Reform als zu kompliziert, weshalb sie eine Neuauflage verlangt.

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Die Reform steht also auch von bürgerlicher Seite unter Beschuss. Oder dann geht man nach der Schlussabstimmung einfach in Deckung, wie ein SVP-Parlamentarier erzählt: «Ich stimme der Reform zwar zu, mache im Abstimmungskampf aber keinen Finger krumm.» Die «Drecksarbeit», die Reform endgültig abzuschiessen, überlasse man dem Volk, meint ein anderer Nationalrat.

GLP-Mettler: «Rentenverlust wird gestoppt»

Mit dieser Einschätzung ist GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (45, BE) nicht einverstanden. «Wir sind sehr weit gekommen», sagt sie. «Trotz gegenteiliger Behauptungen der Gegner steigen die Renten von erwerbstätigen Frauen, von Teilzeiterwerbstätigen und von Erwerbstätigen mit tiefen Löhnen. Der heute stattfindende Rentenverlust wird gestoppt.»

Dass der Gewerbeverband noch keinen Beschluss gefasst hat, deutet sie als positives Zeichen. Sie will die Zeit bis zur Abstimmung nutzen, die positiven Aspekte der BVG-Reform in den Fokus zu rücken. «Die Reform ist das Resultat unserer Konkordanzpolitik – jede Partei hat einen Teil ihrer Anliegen durchbringen können», findet sie. «Diese Abstimmung ist längst nicht verloren!»

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