Neue Zahlen zur BVG-Reform
Jeder Zweite kriegt weniger Rente

Die Reform der zweiten Säule steht unter Beschuss. Der Gewerkschaftsbund warnt vor einem monatlichen Rentenverlust von bis zu 500 Franken pro Person.
Publiziert: 26.02.2023 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 26.02.2023 um 10:35 Uhr
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«Die Reform der beruflichen Vorsorge ist ein Scherbenhaufen», sagt Pierre-Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).
Foto: Siggi Bucher
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Nach zwei Jahren harter Verhandlung einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im Sommer 2019 über die Reform der beruflichen Vorsorge: Der Umwandlungssatz soll sinken, dafür gibt es Rentenzuschläge für alle – finanziert mit einem Lohnabzug von 0,5 Prozent, den auch Vermögende bezahlen. Der Bundesrat schickt das Modell ins Parlament.

Vier Jahre später ist der Sozialpartner-Kompromiss gestorben. Der Umwandlungssatz soll von 6,8 auf 6 Prozent fallen, aber Zuschläge gibt es lediglich für die Hälfte der Pensionäre. Und das auch nur für 15 Übergangsjahrgänge. Dafür steigen die Lohnbeiträge – bis zu Jahreseinkommen von 170'000 Franken. Heisst: Die solidarische Beteiligung der Vermögenden entfällt.

Die Sozialpartner sind konsterniert. Die Arbeitgeber mögen sich nicht einmal mehr zur Vorlage äussern. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat das Referendum angekündigt, noch bevor der Nationalrat in der morgen beginnenden Frühlingssession die Vorlage zum zweiten und letzten Mal diskutiert.

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«Die Reform der beruflichen Vorsorge ist ein Scherbenhaufen»
Pierre-Yves Maillard, SGB-Präsident
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«Die Reform der beruflichen Vorsorge ist ein Scherbenhaufen», sagt SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (54). «2019 waren sich alle einig, dass eine Senkung des Umwandlungssatzes keine Leistungskürzungen nach sich ziehen darf.» Doch das Parlament habe den Kompromiss über den Haufen geworfen. «Die Bürgerlichen wollen keinen Beitrag von den Reichen. Deshalb sinken so viele Renten.»

Was heisst das konkret? Vorsorgespezialistin Gabriela Medici (37) vom SGB hat gerechnet: «Im Durchschnitt verlieren die Versicherten mit der BVG-Reform bis zu 200 Franken pro Person und Monat. Am höchsten sind die Rentenverluste für jene Personen, die genau nicht mehr in der Übergangsgeneration sind.»

Setzt sich das Modell des Ständerats durch, sind alle Monatseinkommen über 4600 Franken betroffen. Beim Modell des Nationalrats trifft es alle Einkommen ab 4200 Franken. Medici: «Das wären rund die Hälfte aller Frauen und drei Viertel aller Männer.»

«Die Bürgerlichen zwingen uns, ein Referendum zu lancieren»
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Pierre-Yves Maillard:«Bürgerliche zwingen uns, ein Referendum zu lancieren»

Teuerung wird nicht berücksichtigt

Hinzu kommt die Teuerung, die in der zweiten Säule nicht ausgeglichen wird. Die Folge: «Gemessen an den Konsumausgaben droht einer über 65-jährigen Einzelperson bis im Jahr 2024 ein Kaufkraftverlust von 300 Franken», sagt Medici. «Unter dem Strich resultieren also bis zu 500 Franken Rentenverlust pro Person und Monat.»

Umso mehr fällt laut Medici ins Gewicht, dass nun lediglich die Hälfte der Rentner mit Zuschlägen entschädigt werden soll. «Damit sind nur die Renten bis knapp 1000 Franken pro Monat geschützt.» Genau diese Menschen seien im Alter in der Regel auf Ergänzungsleistungen angewiesen – die aber um die Zuschlagsbeträge gekürzt werden sollen. «Diese Versicherten bezahlen also höhere Lohnbeiträge, haben aber im Alter nicht mehr Geld. Ihre Situation verschlechtert sich. Besonders betroffen sind die Frauen.»

Den Umwandlungssatz ohne Rentenkürzungen senken: Dieses Ziel verpasst die BVG-Reform klar. «Sie bringt aber Verbesserungen für Teilzeitarbeitende und Geringverdiener», sagt SVP-Ständerat Hannes Germann (66).

Linke und Tieflohnbranche provozieren

Der Haken: Die entsprechenden Anpassungen bedeuten für die Arbeitgeber in den Tieflohnbranchen höhere Beiträge. Diese Akteure müssten nun unbedingt noch ins Boot geholt werden, sagt Germann. «Wenn wir sowohl die Linken als auch die Tieflohnbranche so sehr provozieren, dass es eine unheilige Allianz gibt, ist der Kessel geflickt. Dann ist die Reform an der Urne wohl chancenlos.»

Zum Urnengang kommt es auf jeden Fall. «Das Referendum steht fest», bestätigt Pierre-Yves Maillard. Die Abstimmung findet voraussichtlich im März 2024 statt. Am selben Tag entscheidet das Volk auch über die SP-Initiative für eine 13. AHV-Rente. Für Maillard hängen die beiden Vorlagen zusammen: «Statt drei Milliarden pro Jahr für eine Rentensenkung im BVG zu bezahlen, können wir eine 13. AHV-Rente für alle beschliessen.»

Ein Nein zur BVG-Reform hiesse allerdings nichts Gutes für die Jungen, sagt Hannes Germann. «Wenn wir nichts ändern, nehmen weiterhin die Gutverdiener das Vorsorgegeld der künftigen Generationen aus dem Topf.»

Mit Feuereifer verteidigt aber auch Germann die Übung nicht mehr. «Wir hätten die Senkung des Umwandlungssatzes für die Übergangsgeneration besser beiseite gelassen und uns auf die Massnahmen zugunsten der Teilzeitarbeitenden und Geringverdiener konzentriert. Dafür gibt es nämlich klare Mehrheiten.»

Der jahrelange Streit um die Reform der zweiten Säule hat Spuren hinterlassen. Einigkeit scheint es in Bundesbern nur noch in einem Punkt zu geben: Wie auch immer die Sache ausgeht – Hauptsache, sie nimmt ein Ende.

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