Bitter für Normalverdienende: Teuerung frisst Einkommen
«Mein Lohn ist massiv gesunken!»

Die Inflation steigt und steigt. Bitter für Normalverdienende: Wie Berechnungen des Gewerkschaftsbundes zeigen, schrumpfen ihre Reallöhne seit Jahren.
Publiziert: 05.06.2022 um 16:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2022 um 16:15 Uhr
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Pierrette Berchier muss das Geld gut zusammenhalten.
Foto: Philippe Rossier
Danny Schlumpf

Pierrette Berchier (56) arbeitet bei der Stadtverwaltung von Freiburg. Dort lässt man es gemächlich angehen – in den letzten zehn Jahren wurden die Löhne nicht ein einziges Mal an die Teuerung angeglichen. Die Folge, so Berchier: «Mein Lohn ist real massiv gesunken!»

Das spürt sie bei der Miete, an der Tankstelle und beim Einkaufen – ganz besonders aber, wenn sie mit ihren fünf Enkeln unterwegs ist: «Ein Kinobesuch kostet uns 130 Franken. Das liegt einfach nicht mehr drin.» Die Einschränkungen seien immer stärker spürbar, sagt die Grossmutter. Jetzt hat sie mit ihren Kollegen eine Petition bei der Verwaltung eingereicht. «Wir fordern eine Lohnerhöhung von zwei Prozent.»

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Inflation klettert immer weiter

Bloss: Sogar wenn Berchier diese Erhöhung bekommt, hinkt sie der Inflation hinterher. Denn die klettert immer weiter. Im Mai lag sie bereits bei 2,9 Prozent. Kein Wunder, denn der Krieg in der Ukraine treibt die Preise nach oben. Besonders Importgüter verteuern sich, allen voran Heizöl und Benzin. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) rechnet für 2022 mit einer Teuerung von 2,7 Prozent.

Die Eidgenossen müssen den Gürtel enger schnallen – vor allem die Angestellten mit tiefen und mittleren Löhnen. Besonders bitter: Sie zogen bereits in den vergangenen Jahren massiv den Kürzeren. Denn obwohl die Teuerung bis vor kurzem lediglich moderat anzog, hat sie viele Löhne schon kräftig angefressen.

60 Franken pro Monat weniger

Das zeigen neue Berechnungen des SGB: Seit 2016 haben die untersten zehn Prozent der Lohnempfänger real 60 Franken pro Monat verloren. Das ist ein Minus von 1,3 Prozent. Die mittleren Einkommen verzeichnen einen Verlust von 30 Franken pro Monat – minus 0,4 Prozent. Im Gegensatz dazu sind die hohen Löhne weiter gestiegen, um bis zu 8,9 Prozent.

Für Normalverdiener bedeutet das: Gibt es keine Lohnerhöhungen, verliert eine Durchschnittsfamilie 2200 Franken Kaufkraft pro Jahr. Kommt noch der Prämienschock bei den Krankenkassen dazu, werden daraus bis zu 3300 Franken. «Die tiefen und mittleren Einkommen drohen massiv zu verlieren», sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart (53).

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Auch Rentner betroffen

Eng wird es auch für die Rentner: «Bei der AHV-Anpassung Anfang 2023 wird nicht einmal die Teuerung ausgeglichen, wenn der Bundesrat jetzt nicht aktiv wird», sagt Lampart. Und dann winkt mit der AHV 21 auch noch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,4 Prozent.

Für SP-Nationalrat und SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (54) ist klar: «Wir müssen die Krankenkassenprämien massiv verbilligen, und zwar so rasch wie möglich. Denn im schlimmsten Fall steigen die Prämien noch rasant.» Den Hebel müsse die Politik aber auch bei den Renten ansetzen: «Wir sollten zumindest dafür sorgen, dass ab nächstem Jahr die Teuerung ausgeglichen wird. Der Bundesrat ist jetzt gefordert.»

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Nicht alle Branchen können Teuerung ausgleichen

Im ersten Quartal 2022 hat das Bruttoinlandprodukt um 0,5 Prozent zugelegt; die Geschäftseinschätzungen der Unternehmen sind weiterhin positiv; der Arbeitsmarkt brummt. Und wie sieht es mit Lohnerhöhungen aus? Simon Wey (46), Chefökonom des Arbeitgeberverbands: «In krisenresistenten Branchen wie der Pharma und dem Finanzsektor gibt es sicher Spielraum.» Auch im Baugewerbe sei etwas möglich. «Aber nicht alle Branchen können die Teuerung ausgleichen. Gerade Firmen, die die Preissteigerung nicht einfach an die Kunden weitergeben können, haben selber mit einer sinkenden Marge zu kämpfen.»

Diese Diskussion müssten die Sozialpartner führen, meint FDP-Nationalrätin Regine Sauter (56). «Die Politik hat da nichts verloren.» Anders sieht es bei den Krankenkassenprämien aus. Sauter lehnt eine zusätzliche Verbilligung aus Gründen der Inflation allerdings ab: «Die Prämien sind Ausdruck der steigenden Gesundheitskosten. Dort müssen wir ansetzen. Alles andere ist Symptombekämpfung.»

Ebenso kritisch sieht Sauter einen Eingriff in die Renten. Die AHV sei bereits in einer schlechten Lage. «Leistungserweiterungen über die gesetzliche Verpflichtung hinaus sind nicht finanzierbar.»

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