Das Schweizer Vorsorgevermögen wächst und wächst. Doch die Renten sinken seit Jahren. Dafür steigen die Gebühren, welche die Finanzindustrie für die Verwaltung der Pensionskassengelder abschöpft. Mittlerweile sind es 20 Milliarden Franken pro Jahr – bezahlt von den Versicherten.
Es handelt sich um Kosten für Administration, Immobilienbewirtschaftung und weitere Dienstleistungen für die Pensionskassen im Umfang von zwei Milliarden Franken sowie Vermögensverwaltungskosten in der Höhe von fünf Milliarden. Hinzu kommen nicht veröffentlichte Transaktionskosten bei der Vermögensverwaltung im Umfang von rund zwölf Milliarden sowie eine weitere Milliarde für Maklerprovisionen, Beratung und diverse Spesen.
Diese Gebühren tauchen auf keinem Pensionskassenausweis auf. Das Geld verschwindet in den intransparenten Röhren der Finanzunternehmen. Die meisten Versicherten haben keine Ahnung, wer an welcher Stelle wie viel aus ihrem Altersguthaben abschöpft. Sie können das System auch nicht umgehen: Seit 1985 zwingt das Bundesgesetz über die Berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) die Angestellten zur Einzahlung in die zweite Säule. Ihre Pensionskasse dürfen sie nicht selber wählen.
1200 Milliarden im Vorsorgetopf
Umso mehr Freiheiten gewährt der Staat den Banken und Versicherungen. Sie haben die Kontrolle übernommen und die einstigen Betriebspensionskassen durch milliardenschwere Gemeinschafts- und Sammelstiftungen ersetzt, die vom Gesetz kaum erfasst werden.
1985 liegen 150 Milliarden Franken im Schweizer Vorsorgetopf. Das sind 55 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Heute sind es 1200 Milliarden Franken – 160 Prozent des BIP. Mit den Milliarden mitgewachsen sind auch die Finanzhäuser, die immer mehr Geld aus dem Sozialwerk in ihre Kassen leiten. Am meisten geht für die Vermögensverwaltung drauf – rund 17 Milliarden Franken jährlich.
Die Vermögensverwalter rechtfertigen die Kosten mit der zentralen Rolle der Rendite, die sie für die Versicherten erwirtschaften. Das tun sie mehrheitlich mit aktiven Anlagestrategien: Sie beobachten die Finanzmärkte, analysieren, recherchieren und kreieren ständig neue Anlagelösungen. Bloss: Die Rendite nimmt seit Jahren ab – weshalb immer mehr Versicherte nur noch den Minimalzins von einem Prozent auf ihr Alterskapital erhalten. Liegt wirklich nicht mehr drin?
Aktives Anlagemanagement ist nicht die einzige Möglichkeit, das Vorsorgevermögen zu vermehren. Geld lässt sich auch passiv investieren. In diesem Fall wird es so angelegt, dass es einem Börsenindex wie zum Beispiel dem Swiss Performance Index (SPI) folgt, der die grossen Titel der Schweizer Börse wie Nestlé oder Roche abbildet. Diese Form des Anlegens funktioniert im Wesentlichen automatisch. Der Aufwand ist erheblich geringer, wodurch auch viel weniger Gebühren anfallen. Heisst: Den Finanzvertretern wirft diese Methode weniger ab.
Hätte mehr Risiko mehr gebracht?
Bis heute hat niemand überprüft, ob die Vermögensverwalter mit ihrem teuren Anlagestil tatsächlich die beste Rendite aus dem Schweizer Vorsorgevermögen herausholen. Unsere Recherchen, zu Papier gebracht in dem neuen Buch «Das Rentendebakel», schliesst diese Lücke. Das Ergebnis: Wäre das Geld der Vorsorgeversicherten seit 1985 konsequent passiv mit einem Aktienanteil von 40 Prozent angelegt worden, hätten diese heute nicht 1200, sondern 1400 Milliarden auf dem Konto. Und das ohne höheres Anlagerisiko, wie das renommierte Beratungsunternehmen PPCmetrics bestätigt: «Das Risikoprofil der durchschnittlichen Schweizer Vorsorgeeinrichtungen entsprach per Ende 2021 einer Anlagestrategie mit einem Aktienanteil von rund 40 Prozent.»
Mit etwas mehr Risiko, nämlich einem Aktienanteil von 60 Prozent, hätte passives Anlegen den Versicherten seit 1985 sogar 400 Milliarden Franken mehr eingebracht. Der Schweizer Vorsorgetopf wäre um ein Drittel grösser.
Die Finanzunternehmen widersprechen dieser Darstellung. Sie betonen, dass aktives Anlegen Vorteile mit sich bringe, die passives Anlegen nicht habe. Ausserdem sei ein direkter Vergleich der beiden Strategien nicht möglich, da sie sich in der Regel inhaltlich unterscheiden würden.
Hast du Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreibe uns: recherche@ringier.ch
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Die Jungen müssen alles ausbaden
Unsere im Buch «Das Rentendebakel» zusammengetragenen Fakten legen einen anderen Schluss nahe: Damit die Geldhäuser Milliarden an Gebühren kassieren können, entgehen den Versicherten Milliarden an Altersguthaben. Von der Politik kommt keine Hilfe, weil diverse Parlamentarier selber mitverdienen – als Stiftungsräte, Revisoren, Präsidenten von Anlagestiftungen oder Verwaltungsräte von Banken und Versicherungen. Sie haben kein Interesse, den Pensionskassenmarkt effizient zu regulieren und eine starke Aufsicht einzuführen, die den Gebührenabfluss stoppen würde.
Stattdessen diskutieren sie über Erhöhungen des Rentenalters, Senkungen des Umwandlungssatzes und mehr Lohnbeiträge. Alles Massnahmen, die den Versicherten an die Nieren gehen – nicht aber der Finanzindustrie. Dabei wären weniger Kosten und mehr Rendite dringend nötig: Die Schweizer Bevölkerung im Alter zwischen 20 und 64 Jahren nimmt laut UBS bis zum Jahr 2060 um zehn Prozent zu. Die Bevölkerung im Alter über 65 Jahren wächst in dieser Zeit um 80 Prozent – sie verdoppelt sich fast. Dieser rasche Anstieg der Rentnerzahl setzt das System massiv unter Druck. Darunter zu leiden haben die Jungen. Sie müssen das Rentendebakel ausbaden.
Wenn den Politikern in Bern etwas an den Versicherten liegt, die sie als Abgeordnete vertreten, müssen sie den Anlage-Schalter im Pensionskassenmarkt kippen und das passive Anlegen zumindest des obligatorischen Teils des Vorsorgevermögens für verbindlich erklären. Das betrifft zwei Drittel der Pensionskassengelder – 800 Milliarden Franken. Diese einfache Vorschrift würde den Versicherten eine viel grössere Rendite zu viel tieferen Kosten bringen. Und damit eine höhere Rente.
Solange sich am heutigen System nichts ändert, bleibt die zweite Säule, was sie seit 1985 ist: ein gebührengetriebener Gewinnapparat der Finanzindustrie, gefüttert von Zwangsversicherten.