Herr Couchepin, die Grünen wollen der FDP einen Sitz im Bundesrat abjagen. Beunruhigt Sie das?
Pascal Couchepin: Eine Harakiri-Mission, die kaum der Rede wert ist. Diese Vorwärtsstrategie ist völlig realitätsfern. Wo wollen die Grünen in diesem Parlament die dafür nötigen Stimmen finden?
Ihre Partei hat 14,3 Prozent Wähleranteile, die Grünen knapp 10. Ist deren Anspruch nicht gerechtfertigt?
Wir haben im Nationalrat einen Sitz verloren, die Grünen fünf. Und ihre Vetter von der GLP sogar sechs. Wie man in einer solchen Situation mit dieser Ansage kommen kann, verstehe ich nicht.
Apropos Rechnen: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Fehler des Bundesamts für Statistik erfuhren?
Ich sass gerade beim Mittagessen mit ehemaligen Bundesrätinnen und Bundesräten, die Nachricht wurde uns quasi zum Dessert serviert. Die meisten mussten schmunzeln.
Sie meinen, aus Schadenfreude?
Natürlich ist diese Panne peinlich. Nicht zuletzt auch für Sie, die Journalisten! Da wurde ein historisches Ereignis herbeigeschrieben, über einen Umbruch in der schweizerischen Politik berichtet. Und nur ein paar Tage später ist die Revolution abgesagt – bis zum nächsten Mal.
Ihre Medienkritik in Ehren, aber sind es nicht Beamte des Bundes, die diesen Fehler zu verantworten haben?
Das Bundesamt für Statistik befindet sich in Neuenburg, also einigermassen weit weg von Bundesbern. Dort arbeiten unabhängige Wissenschaftler, die sich nicht gerne reinreden lassen. Jetzt zeigt sich: Etwas mehr Überwachung könnte nicht schaden.
Auch die korrigierten Zahlen helfen der FDP nicht. Seit 2019 verlor sie fast ein Prozent. Was ist schiefgelaufen?
Die beiden stramm geführten Polparteien, die SP und die SVP, schaden der liberalen Kultur, die dieses Land stets geprägt hat. Kochen die Emotionen hoch, leidet darunter unsere direkte Demokratie. Für den Freisinn stellt sich nun die Frage, ob man in Zukunft mit den gleichen Methoden Wahlkampf betreiben will. Mehr Disziplin und Polemik führten vielleicht zu besseren Resultaten – aber wäre die FDP dann noch eine liberale Partei?
Die Parteisoldaten der SVP empfangen ihre Befehle immer noch aus Herrliberg.
Ich kenne mich nicht so gut aus in Geografie.
FDP-Präsident Thierry Burkarts Ziel war: Mehr Parlamentssitze erobern, die SP überholen. Und scheiterte mit dieser Ansage. Ist er für Sie noch der richtige Mann an der Parteispitze?
Thierry Burkart geniesst das Vertrauen der Leute, die täglich mit ihm zu tun haben. Im Aargau wurde er mit einem Glanzresultat wieder in den Ständerat gewählt – notabene in einem Kanton, in dem die SVP das Sagen hat. Das zeigt: Er ist der richtige Mann. Ich hoffe, dass er weitermacht.
Sie reden diese Wahlen schön. Im Nationalrat hat die FDP künftig einen Sitz weniger als die Mitte.
Die CVP hatte eine grosse Tradition und stand für gewisse Inhalte. Das ist alles verschwunden. Übrig blieb eine Gruppe, die Schiedsrichterin spielen will. Haben Sie schon mal Leute an einem Fussballmatch gesehen, die dem Schiedsrichter applaudieren? Diese Haltung hat keine Zukunft. Mitte-Präsident Gerhard Pfister ist ein begnadeter Rhetoriker. Was er sagt, ist immer gescheit, nie dumm. Aber inhaltlich formuliert er stets sehr vage.
Das scheint in der Politik ein verbreitetes Erfolgsrezept zu sein: Probleme benennen – aber keine Lösungen präsentieren.
Genau! Schauen Sie doch die Kostenbremse-Initiative der Mitte an. Darin heisst es: Laufen die Gesundheitskosten aus dem Ruder, soll der Bund Massnahmen ergreifen. Aber welche denn? Diese seien bekannt, heisst es immer. Als Bürger entgegne ich: Das kann jeder sagen!
Die SVP treibt dieses Prinzip auf die Spitze.
Dass deren Propaganda verfängt, überrascht mich immer wieder. Die SVP erstellt eine Liste mit Problemen: Wer das nicht will, wählt SVP. Lösungen für diese Probleme suchen Sie vergeblich. Früher hätten die Wählerinnen und Wähler gelacht, jetzt sind sie begeistert. Das sollte uns zu denken geben.
Im Ständerat sieht es für Sie nicht rosig aus. FDP-Kandidaten treten im zweiten Wahlgang reihenweise nicht mehr an. Eine Kapitulation vor der SVP?
Ich bedaure das. In Solothurn hätte man es schaffen können, aber das müssen die Kandidaten selbst entscheiden. Im Tessin gibts noch Hoffnung, im Waadtland und in Freiburg sieht es gut aus.
Und in Ihrem Heimatkanton, dem Wallis?
Unser Kandidat Philippe Nantermod sagte, es sei wie bei einem Fussballspiel zwischen Liechtenstein und Spanien. Besteht auch nur der Hauch einer Chance, am Ende als Sieger vom Platz zu gehen, tritt man an. Die Freisinnigen glauben völlig zu Recht an diese Chance. Zum Glück ist in einer Demokratie der Ausgang einer Wahl nicht von vornherein klar.
Sie vergleichen die FDP tatsächlich mit einem Fussballzwerg?
Nur im Kanton Wallis! In der Urschweiz sind wir gut vertreten. Probleme haben wir an Orten, wo der Freisinn früher traditionell stark war. In Bern etwa, aber auch in Zürich.
Woran liegt das?
Früher war es einfach: Bürgerliche wählten FDP. Jetzt gibt es die SVP, die keine liberale Partei ist, sondern eine konservative und wahrscheinlich auch demokratische Partei.
Es entsteht der Eindruck, Ihre Partei überlasse dieser SVP das Feld.
Wie viele Sitze hat die SVP im Ständerat? Sieben, vielleicht bald acht. Für eine Wahlsiegerin mit fast 30 Prozent Wähleranteil ist das noch kein Grosserfolg.
Die FDP ist die Staatsgründer-Partei. Seit 30 Jahren nun dieser Abwärtstrend. Gut möglich, dass in ein paar Jahren die Mitte sie tatsächlich überholt.
Ich bete zu Gott, dass ich dieses Debakel nicht mehr erleben muss. Aber darum geht es gar nicht. Wichtiger ist, wie wir die Probleme dieses Landes lösen. SVP und SP werden es nicht tun.
Zum Schluss noch ein anderes Thema: Die FDP will, dass wir alle länger arbeiten. Werden Sie der Renten-Initiative zustimmen, über die wir im März abstimmen?
Es ergibt schon Sinn, dass wir das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln. Sonst geht die Rechnung eines Tages nicht mehr auf. Vor zwei Wochen stellte der Walliser SP-Staatsrat Mathias Reynard eine erfahrene Frau ein, die den Menschenhandel bekämpfen soll. Gabrielle Nanchen ist ein Jahr jünger als ich. Das weckt in mir die Hoffnung, dass die SP doch noch auf unsere Linie einschwenkt. Sie sollte es aber nicht übertreiben.