Und wieder ein neuer Rekord: Über 32'000 neue Corona-Fälle meldete das Bundesamt für Gesundheit am Donnerstag. Doch obwohl die Fallzahlen nur eine Richtung kennen, sieht es bei den Spitaleinweisungen ganz anders aus. Die Zahlen sind stabil und auf den Intensivstationen sogar rückläufig. So ist die Zahl der Covid-Intensivpatienten wieder knapp unter die 300er-Grenze gerutscht.
Die unsichere Lage sorgt in Bern für Kopfzerbrechen. Einmal mehr tauschte sich Gesundheitsminister Alain Berset (49) am Mittwoch mit kantonalen Gesundheitsdirektoren aus. Einmal mehr verwies er auf die angespannte Lage. Einmal mehr rief er zum Impfen auf. Einmal mehr erinnerte er an das bereits geschnürte Schliessungspaket. Und einmal mehr wartet er ab.
Der Grund für das Zögern: Es fehlt eine wirklich verlässliche Datengrundlage, wie sich die Omikron-Welle auf die Spitäler auswirkt. Zudem deutet die Entwicklung in Ländern wie Grossbritannien oder Dänemark daraufhin, dass die Belastung doch weniger stark ausfallen könnte als befürchtet.
Quarantäne steht zur Debatte
Zum echten Problem werden stattdessen die zunehmenden Personalausfälle durch Isolation und Quarantäne. In einem ersten Schritt haben viele Kantone die Quarantäne auf sieben Tage verkürzt. Aber auch die Isolationsdauer von Infizierten wird in Frage gestellt. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse plädiert für eine Verkürzung auf fünf Tage.
Hinter den Kulissen in Bundesbern laufen bereits ganz andere Gespräche. Man müsse nun die Frage von Testen, Quarantäne und Isolation ins Zentrum stellen, meint ein Insider. Die Omikron-Variante sei derart ansteckend, dass bisher funktionierende Massnahmen ihren Sinn zunehmend verlieren: Dann nämlich, wenn die Virusausbreitung praktisch nicht mehr aufgehalten werden kann, weil etwa auch die Testkapazitäten nicht mehr ausreichen. Deswegen stoppt der Aargau Massentest an Schulen und in Betrieben.
Unter den Fachleuten wird mittlerweile ein grundsätzlicher Systemwechsel, ja ein geradezu radikaler Ansatz diskutiert. Sprich: Auf Isolation und Quarantäne würde in der Regel verzichtet – allenfalls nur bei symptomlosen Personen.
Isolation und Quarantäne würden damit zum Ausnahmefall. Etwa in Situationen, wo anderweitige Schutzmassnahmen nur schwierig umgesetzt werden könnten, wie etwa in Behindertenheimen. Oder bei Personen, die stark ansteckend sind oder sich nicht an Schutzmassnahmen halten wollen. Das müsse man «sehr offen anschauen», sagt eine involvierte Person. Entschieden ist diesbezüglich aber noch nichts.
Als wahrscheinlichste Variante gilt noch immer eine Verkürzung von Isolation und Quarantäne auf sieben oder allenfalls fünf Tage. Wobei es für Personen in Schlüsselbereichen wie dem Gesundheits- oder Sicherheitswesen weitere Erleichterungen geben könnte. Es sei vieles im Fluss, heisst es.
Geltende Massnahmen laufen bald aus
Klar ist hingegen: Berset wird an der nächsten Bundesratssitzung vom 12. Januar ein neues Paket in Konsultation geben müssen. Nötig ist dies allein schon wegen der aktuell geltenden Massnahmen.
Als der Bundesrat im September nämlich die Ausweitung der 3G-Zertifikatspflicht für öffentlich zugängliche Innenräume und Veranstaltungen beschloss, befristete er diese Massnahmen auf den 24. Januar 2022. Dieselbe Befristung gilt für die jüngsten Massnahmen wie 2G, 2G+ und Homeoffice-Pflicht. Im Aussprachepapier vom September kündigte Berset an, am 12. Januar eine Konsultation bei den Kantonen und den Sozialpartnern vorzulegen, «ob die Massnahmen weitergeführt werden sollen oder nicht».
Abwarten mit Schliessungen
Noch ist offen, ob Berset diese Konsultation für weitere Vorschläge nutzt. Wenn, dann dürfte er sich auf die Vorschläge aus seiner letzten Konsultation abstützen. Die damalige Variante 2 sah die Schliessung von Beizen, Clubs, Hallenbädern oder Fitnesscentern vor. Auch Kultur- und Sportanlässe von Laien würden verboten, wenn keine Maske getragen werden kann.
Je nach Corona-Entwicklung wäre auch die «letzte Eskalationsstufe» eine Option – mit umfassenden Schliessungen oder der massiven Einschränkung privater Treffen, falls die Überlastung des Gesundheitswesens nicht anders abgewendet werden kann.
Allerdings gehen verschiedene Quellen in Bundesbern derzeit davon aus, dass Schliessungen nächste Woche noch nicht auf den Tisch kommen. Im Grundsatz gebe es nur noch zwei Wege, sagt ein Beobachter: jenen der Sicherheit, mit einem breiten Lockdown, damit überhaupt eine Wirkung erzielt wird. Oder jenen des Risikos, den man bisher gegangen sei und der sich durchaus bewährt habe.
Letzterer werde sich durchsetzen, glaubt die Person: «Ich gehe nicht davon aus, dass massive gesellschaftliche Einschränkungen vorgeschlagen werden.» Ein Total-Lockdown mache angesichts der rasanten Omikron-Verbreitung auch keinen Sinn mehr, meint ein anderer Insider. «Da sind wir zu spät.»
Alles immer unter dem Vorbehalt, dass sich die Lage in den Spitälern nicht doch noch drastisch verschärft und es zum Knall kommt. Denkbar wäre aber, dass Berset die Verlängerungs-Konsultation anderweitig für die eine oder andere Anpassung nutzt – allenfalls bezüglich Grossveranstaltungen. Einmal mehr wird die Entwicklung der nächsten Tage entscheidend sein.