Bandscheiben-Operationen, Leistenbrüche und andere nicht dringende Eingriffe werden in immer mehr Regionen der Schweiz verschoben. Zu hoch ist die Belastung der Spitäler mit Covid-Patienten. Das Berner Inselspital etwa verschiebt ab heute erste geplante Operationen, wie Stephan Jakob, Chefarzt der Intensivmedizin, auf Anfrage sagt. «Limitierender Faktor ist das fehlende Personal durch Absenzen, Abgänge und die schweizweit schwierige Suche nach Ersatz.» Einige Operationen werden nur um Stunden oder Tage verschoben, andere um Wochen oder Monate. «Damit steht in gewissem Umfang zusätzliches Personal auf der IPS zur Verfügung», so Jakob.
Im Nachbarkanton Neuenburg klingt die Warnung noch schriller. Das Neuenburger Spitalnetz hat vergangene Woche in den Krisenmodus gewechselt. Mit 385 hospitalisierten Patientinnen und Patienten an allen Standorten ist die übliche Kapazität von 330 Betten deutlich überlastet.
Beschränkung auf zehn Personen
«Risiko: Schwere Epidemie», warnt der Kanton in roten Lettern auf seiner Website. Noch vor dem Bundesratsentscheid über neue Corona-Verschärfungen zieht der Westschweizer Kanton die Notbremse. Private Versammlungen werden auf zehn Personen beschränkt – unabhängig vom Impfstatus. Für öffentliche Einrichtungen gilt die 2G-Regel. Und: Am Montag werden zwei Operationssäle in den Neuenburger Spitälern für nicht dringende Eingriffe geschlossen, um Fachpersonal freizusetzen.
Ein Grossteil der Spitalbetten in Neuenburg ist zwar nicht von Covid-Patienten belegt. Am Freitag waren es nur 34. Doch eine Woche zuvor waren es erst 19. «Wenn der Anstieg der Hospitalisierungen von Covid-Fällen im gleichen Tempo weitergeht, wird die Situation schnell kritisch», schreibt der Kanton. Besonders auf der Intensivstation.
Der Kanton Waadt hat die Alarmstufe ebenfalls erhöht und eine «kantonale Krise» ausgerufen. Er kann nun die Spitäler nötigenfalls dazu verpflichten, auf bestimmte elektive, also nicht absolut dringliche Operationen zu verzichten, damit Covid-Patienten behandelt werden können.
Müssen bald weitere Kantone die Notbremse ziehen? Aus Zürich kommen zurückhaltende Töne. Die Spitäler seien «stark gefordert», schreibt die Zürcher Gesundheitsdirektion auf Anfrage. Die Situation sei aber «stabil». Die Zürcher Spitäler haben trotz hoher Auslastung gar noch Kapazität, um auszuhelfen: 20 ausserkantonale Covid-Patienten werden aktuell an den Zürcher Spitälern behandelt, die Hälfte davon am Universitätsspital Zürich (USZ).
Gerade diese ausserkantonalen Patienten werden für das USZ zur Herausforderung. «Das USZ behandelt viele schwer kranke Covid-19-Patientinnen und -Patienten, die in ihren Herkunftsspitälern nicht mehr versorgt werden können und einen hohen personellen Aufwand erfordern und oft mehrere Wochen auf der Intensivstation liegen», schreibt das Spital.
Triage-Entscheide drohen
Klar ist: Wird die Corona-Entwicklung nicht gebremst, kommen weitere Spitäler an den Anschlag. Insbesondere, was die Intensivstationen betrifft. Bei schweizweit 300 Covid-Intensivpatienten werden lokale Triage-Entscheide notwendig, so die wissenschaftliche Taskforce. Bei 400 Fällen müssen schweizweit Triage-Entscheide gefällt werden.
Die erste kritische Schwelle könnte noch diese Woche erreicht werden, vermeldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Freitag doch bereits 289 Covid-Intensivpatienten. Sie belegen 34 Prozent der Bettenkapazitäten. Insgesamt sind die Intensivstationen zu 82 Prozent ausgelastet.
Als ob die Situation nicht schon vertrackt genug wäre, kommt mit der Omikron-Variante ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzu. «Die macht mir wirklich grosse Sorgen», sagt BAG-Chefin Anne Lévy (49) im SonntagsBlick. Sich darauf verlassen, dass Omikron allenfalls nur mildere Verläufe verursacht, wagt sie nicht. Und selbst wenn: «Die Menge von Ansteckungen wird so gross sein, dass eine Überlastung der Intensivstationen droht.» Umso wichtiger sei es, die Deltawelle möglichst rasch zu brechen. «Es braucht Platz in den Spitälern. Wenn Omikron übernimmt, müssen wir bereit sein.» Das dürfte spätestens Anfang 2022 der Fall sein.
Bund und Kantone sind alarmiert. Am Montagmorgen trifft sich Bundesrat Alain Berset (49) mit kantonalen Gesundheitsdirektoren. Da dürfte sich abzeichnen, wie rasch die vom Bundesrat vorgeschlagenen 2G-Regeln schweizweit zum Zug kommen sollen.