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Linke drohen mit AHV-Referendum
Ja zu Rentenalter 65 für Frauen – Knatsch geht weiter

Heute ging es für die Frauen ans Eingemachte: Sie sollen gleich lang arbeiten wie die Männer. Der Nationalrat hat am Mittwoch über die AHV-Reform abgestimmt. Die AHV soll aber auch mehr Geld erhalten – aus Mehrwertsteuer und Nationalbank-Gewinnen.
Publiziert: 09.06.2021 um 09:08 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2021 um 21:42 Uhr
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«Ich will keine Anhebung des Rentenalters für Frauen!», so Grünen-Natonalrätin Léonore Porchet (31, VD). «Es handelt sich schlicht um eine Verlängerung der Arbeitszeit. Nichts kann dies ausgleichen!»
Foto: Keystone
Ruedi Studer

Für die Frauen ging es um die Wurst: Der Nationalrat beschäftigte sich am Mittwoch mit der AHV-Reform. Im Fokus stehen die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre und die Abfederungsmassnahmen dazu.

Nach einer stundenlangen Debatte resultiert eine bürgerlich geprägte AHV-Reform. Das Referendum von Gewerkschaften, Linken und Grünen ist bereits beschlossenen Sache. Trotzdem wurde noch einmal um jeden Punkt gefeilscht. Die wichtigsten Beschlüsse dabei:

Frauenrentenalter 65

Die bürgerlichen Parteien sind sich einig: Frauen sollen künftig gleich lange arbeiten wie Männer – also bis 65. Der Nationalrat stimmte der Erhöhung mit 124 zu 69 Stimmen deutlich zu. Das spart der AHV jährlich gut 1,4 Milliarden Franken. Die Frauen sollen damit einen Beitrag an die Sanierung der AHV-Kasse leisten.

Die bürgerlichen Parteien warnten zuvor vor einem Loch in der AHV-Kasse. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (42) appellierte an das links-grüne Lager, seine «destruktive Blockadepolitik» aufzugeben. «Stimmen Sie diesem Kompromiss zu, und sagen Sie nicht ein weiteres Mal Nein und gefährden damit die Renten von Hunderttausenden Rentnerinnen und Rentnern!»

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Das links-grüne Lager läuft hingegen Sturm gegen die Erhöhung. Denn mit der Reform droht den Frauen ein AHV-Schock: Das erhöhte Rentenalter bedeutet im Schnitt ein jährliches Minus von 1200 Franken, wie der Gewerkschaftsbund berechnet hat.

«Jede vierte Frau hat nur die AHV. Jede zehnte Frau muss direkt nach Erreichen des Pensionsalters Ergänzungsleistungen beziehen», mahnte SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (33) in der Debatte. Und mit Blick auf die Renten auch aus der zweiten Säule sagte sie: «Die Medianrente der Frauen liegt unter 3000 Franken.» Davon könne man nicht leben. «Die Rentensituation von Hunderttausenden von Frauen in diesem Land ist absolut ungenügend», so die Zürcher Nationalrätin. «Doch anstatt, dass man die Situation endlich verbessert, diskutieren wir heute, zwei Jahre nach dem Frauenstreik, ernsthaft über einen Rentenabbau.»

Ausgleich für die Frauen

Der Knackpunkt an der ganzen Reform: Was darf das höhere Frauenrentenalter im Gegenzug kosten? Sprich: Wie lange und wie stark soll die Reform sozial abgefedert werden? Der Ständerat zeigt sich mit jährlich rund 400 Millionen Franken für Ausgleichsmassnahmen knausrig.

Nach einer Kaskade von Abstimmungen hat sich der Vorschlag der nationalrätlichen Sozialkommission durchgesetzt. Diese ist beim Ausgleich grosszügiger als jenes des Ständerats – es sieht rund 600 Millionen Franken pro Jahr vor.

Vorgesehen sind dabei nach Einkommen abgestufte Rentenzuschläge für Frauen, die bis zum ordentlichen Rentenalter erwerbstätig bleiben. Bei einem massgebenden durchschnittlichen Einkommen von bis zu 57'360 Franken soll es 150 Franken geben. Bei bis 71'700 Franken Einkommen sollen es 100 Franken sein und bei höheren Einkommen noch 50 Franken.

Allerdings gilt dieser Ausgleich nur für sechs Übergangsjahrgänge – es geht um jene Frauen, die nach dem Inkrafttreten der Reform zuerst pensioniert werden. Träte die Revision 2022 in Kraft, wären es die Jahrgänge zwischen 1959 und 1964. Allerdings wurde in der Debatte schon angetönt, dass der Ständerat bei der Übergangsgeneration allenfalls noch ein, zwei Jahre anhängen soll.

Den meisten Frauen der Übergangs-Jahrgänge, die ihre Rente bis zu drei Jahre im Voraus beziehen, wird die Rente mit dieser Version zudem weniger gekürzt als es der Bundesrat will.

Daneben stand im Nationalrat eine ganze Reihe weiterer Ausgleichsmodelle zur Diskussion. Die GLP beispielsweise wollte die Übergangsgeneration auf acht Jahre ausdehnen – was 200 Millionen teurer wäre. «Wir müssen den Frauen einen fairen Ausgleich bieten, sonst verlieren wir sie an der Urne bis weit in die Mitte und ins bürgerliche Lager», so GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (43, BE).

Dazu kamen Minderheitsanträge von rechts, die bei den Kompensationsmassnahmen sparen wollen. Und von links, wo es bis hin zu einem massiven AHV-Ausbau ging. So brachte die Linke den alten Traum einer Einheitsrente für alle ins Spiel: 3500 Franken monatlich für jede und jeden sollen es sein. Doch sämtliche Minderheitsanträge wurden abgeschmettert.

Zum Ärger der Linken. «Ich will keine Anhebung des Rentenalters für Frauen!», sagte Grünen-Natonalrätin Léonore Porchet (31, VD) als jüngste Vertreterin aus der Westschweiz. Nichts könne die Anhebung des Rentenalters wettmachen. «Es handelt sich schlicht um eine Verlängerung der Arbeitszeit. Nichts kann dies ausgleichen!»

Das Referendum von Gewerkschaften, Linken und Grünen ist denn auch bereits beschlossenen Sache.

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Milliarden-Zustupf für die AHV

In einem Punkt waren sich alle Parteien einig: Es braucht mehr Geld für die AHV. Der Finanzbedarf ist riesig, geht doch nun die Babyboomer-Generation in Pension. 2030 rechnet der Bund mit einem 4-Milliarden-Franken-Minus, wenn nichts unternommen wird.

Im Vordergrund steht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV. Der Bundesrat wollte den Normalsatz um 0,7 Prozent erhöhen, der Ständerat um 0,3 Prozent – der Nationalrat hat sich nun für eine Erhöhung um 0,4 Prozent entschieden. Das bringt rund 1,3 Milliarden Franken jährlich ein. Ein SVP/FDP-Antrag scheiterte, die Erhöhung bis 2030 befristen.

Interessant war die Konstellation bei der Frage, ob die Nationalbank-Gewinne aus den Negativzinsen rückwirkend ab 2015 in die AHV-Kasse fliessen sollen. SVP und SP schnürten ein entsprechendes Päckli und setzen sich mit 108 zu 80 Stimmen durch. Damit würden 12 bis 15 Milliarden in den AHV-Topf fliessen. «Das tut niemandem weh», befand SP-Nationalrat Pierre-Yves Maillard (53, VD).

Im Ständerat dürfte diese Allianz aber einen schweren Stand haben – dort haben SVP, SP und Grüne nur 21 von 46 Mandaten. Kommt hinzu: Der Ständerat hat am Mittwoch eine entsprechende Motion mit 27 zu 18 Stimmen abgelehnt.

Ein Antrag von links verlangte vergeblich eine Erhöhung des Bundesanteils von 19,55 auf 25 Prozent an den AHV-Ausgaben. Und Grünen-Nationalrat Felix Wettstein (63, SO) forderte die Einführung eine Finanztransaktionssteuer an der Schweizer Börse von 1 Promille zugunsten der AHV, was die grosse Kammer mit 120 zu 70 Stimmen ebenfalls ablehnte.

Bundesrat soll weitere Reform aufgleisen

Ansonsten wurde noch an zahlreichen weiteren Details gefeilt – etwa bei den Frühpensionierungen, welche für Mann und Frau erst ab 63 möglich sein soll. Oder bei der Hilflosenentschädigung, die neu nach 90 Tagen und nicht erst nach einem Jahr ausbezahlt werden soll.

Zudem denken die Bürgerlichen bereits an die nächste Reform. Mit einer Motion haben sie dem Bundesrat den Auftrag erteilt, dem Parlament bis 2026 eine Vorlage zur Stabilisierung der AHV für die Zeit von 2030 bis 2040 zu unterbreiten.

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AHV Nationalrat


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