Seit beinahe 30 Jahren kommt die Reform der AHV nicht vom Fleck. Unsere Vorfahren haben mit dem Drei-Säulen-Prinzip ein geniales Vorsorgewerk geschaffen, haben es uns zu treuen Händen übertragen. Aber was machen wir mit diesem wertvollen Erbe, was macht die Politik daraus? Sie werkelt an den unzähligen Stellschrauben herum, verkompliziert das beliebteste Glied der Schweizer Sozialwerke, statt es zu vereinfachen. Aber auch das Pensionskassen-System, die 2. Säule, ist gleichzeitig und umfassend neu auszugestalten.
Die AHV sozialisieren wir, bauen sie zu einer solidarischen Grundsicherung, zu einem Grundeinkommen (3500 bis 4500 Franken) aus. Die Ergänzungsleistungen gliedern wir ein. Die Kantone und letztlich die Kommunen würden von den Beiträgen und Sozialhilfe markant entlastet. Die 2. Säule liberalisieren wir, überführen sie weit stärker in die Eigenverantwortung, verknüpfen sie mit einer weit direkteren Mitsprache des Einzelnen über sein angespartes Kapital, lösen sie vom staatlich verordneten Zwangssparen. Die 3. Säule gliedern wir steuerbegünstigt in die 2. Säule ein. Die Beiträge an die AHV werden erhöht, die an die 2. Säule gesenkt. Diese werden über einen gesetzlich festgelegten Grundbeitrag der Arbeitgeber und über einen von jeder einzelnen Arbeitnehmerin und von jedem einzelnen Arbeitnehmer selbst festzusetzenden Beitrag erfolgen. Besondere Herausforderung werden zweifellos die Übergangs-Bestimmungen darstellen. Aber gerade die Finanzindustrie, die sehr stark mit den Vorsorge-Geldern verknüpft ist und von ihnen enorm profitiert, ist um Lösungen nie verlegen, gerade in Zeiten der Digitalisierung.
Zur Erinnerung: Die AHV hat laut Verfassungsauftrag, die Existenz zu sichern, die 2. Säule hat den bisherigen Lebensstandard zu garantieren, die 3. Säule finanziellen Spielraum zu ermöglichen. Die AHV sichert schon lange nicht mehr die Existenz; die AHV-Rente ist in Bezug auf die Lebenshaltungskosten in der Schweiz zu tief, verfehlt also ihr verfassungsmässiges Ziel voll und ganz. Die minimale Rente der AHV beträgt aktuell lediglich 1195 Franken pro Monat, die Maximalrente 2390 Franken. Für Ehepaare 150 Prozent davon. Die Mitte verlangt aktuell 155 Prozent für Ehepaare, scheiterte damit bereits im Ständerat.
Kommt hinzu, dass zurzeit Unterschriften für zwei AHV-Volksinitiativen gesammelt werden: für eine Initiative der Jungfreisinnigen. Sie wollen einmal das Rentenalter für Männer und Frauen erhöhen, ohne Erhöhung der Beiträge. Sie wollen zum Zweiten die Rente an die Lebenserwartung knüpfen. Längerfristig wollen sie das Renteneintrittsalter auf 67 für Frauen und Männer erhöhen. Die Gewerkschaften, linke Organisationen wollen eine 13. AHV-Rente einführen mit Erhöhung der Beiträge, das Renteneintrittsalter aber belassen. Die Gegensätze könnten nicht grösser sein. Beide müssen bis zum Sommer 2021 mit 100’000 Unterschriften eingereicht haben. Hilfreich werden die beiden Initiativen nicht sein. Sie werden die Sanierung der Vorsorgewerke über Jahre hinaus verzögern.
Jetzt gilt es, die oben beschriebene Konzept-Idee einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Es sind Berechnungen anzustellen, wie die Finanzierung der AHV und der 2. Säule in diesem Konzept zur regeln, welche Konsequenzen zu erwarten wären. Und: Welcher Weg wäre zu beschreiten? Gut wäre es, wenn das Parlament zu innovativen Lösungen käme. Denn eine weitere Volksinitiative würde nur zu weiteren Verzögerungen der so notwendigen Reform beitragen.
* Anton Schaller (77) ist Journalist und VR-Präsident der Seniorweb AG. Früher war er LdU-Nationalrat, Leiter der «Tagesschau» und der «Rundschau» des Schweizer Fernsehens.