Auf einen Blick
- Lastwagenchauffeurin Conny Huber steht täglich im Stau
- Huber nutzt Stauzeiten zum Musik hören und Sprachen lernen
- Staus kosten die Wirtschaft jährlich bis zu 3 Milliarden Franken
Dass sie heute im Stau stehen wird, weiss Lastwagenchauffeurin Conny Huber (44) schon bevor sie den Motor gestartet hat. Frühmorgens bekommt sie auf ihr Diensthandy die heutige Route zugeschickt. «Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht im Stau stehe – die Frage ist nur wo.»
Heute soll sie Medikamente vom Hauptsitz des Transportunternehmens Galliker in Altishofen LU nach Vevey VD fahren. Um Punkt 11 Uhr muss Huber dort sein. Dazu kommt ein Zwischenhalt in Romont FR.
Erster Blitzableiter bei Verspätung
Doch gleich an mehreren Stellen zeigt Google Maps gelbe und rote Stellen an: Stau. Kommen Medikamente deswegen zu spät an, ist Huber der erste Blitzableiter. «Oftmals beschweren sich die Warenempfänger. Dann heisst es, wir müssen besser planen.» Doch das sei nicht so einfach.
Ihr Weg führt heute in Richtung Bern. Unter anderem dort will der Bundesrat um Verkehrsminister Albert Rösti (57) die Engpässe mit mehr Autobahn-Spuren beseitigen. Dazu kommen weitere Projekte in der Westschweiz, Schaffhausen, Basel und St. Gallen. Im November stimmt die Schweiz darüber ab.
Um 7.40 Uhr steigt Huber in den LKW. 20 Minuten später, an der Verzweigung Härkingen SO, staut es zum ersten Mal. Während andere Autofahrer die Hände verwerfen, bleibt die Chauffeurin gelassen. «Sich ärgern bringt nichts. Es gehört einfach dazu.» Die Zeit nutzt sie, um Musik zu hören, mit Freunden zu telefonieren oder Sprachen zu lernen. «Ich übe momentan italienisch und portugiesisch.»
Seit 22 Jahren arbeitet Huber als Lastwagenchauffeurin. «Grosse Motoren haben mich schon immer fasziniert.» Zu Beginn ihrer Karriere hätte es weniger Stau gegeben. «Früher haben wir pro Tag vier Touren gefahren. Das ist heute nicht mehr möglich.»
Während der Fahrt läuft unentwegt das Radio – um die Staumeldungen zu hören. Dazu kommt Google Maps als ständiger Begleiter und ein Firmen-Gruppenchat, in dem die Fahrer vor Unfällen warnen. Trotzdem: Bis zu zwei Stunden stand Huber schon in einem Stau. Das schlägt auch auf die Arbeitszeiten. Huber hat zwei Söhne im Alter von 11 und 13 Jahren. «Kommt es zu einem längeren Stau, ist es gut möglich, dass ich den Jüngeren am Abend nur noch schlafend sehe.»
Verständnis Ja, Ausbau Nein
«Ich kann die Frustration der LKW-Fahrerinnen und -Fahrer nachvollziehen», sagt Magdalena Erni (21). Die Co-Präsidentin der Jungen Grünen stellt sich gegen die Autobahnprojekte. «Mit dem Ausbau wird das Stau-Problem nicht gelöst, im Gegenteil.»
Schon wenige Jahre nachdem die Spuren erweitert oder die Tunnel gebaut werden, sei der Stau wieder da, so Erni. Sie verweist auf einen Bericht des Bundesamts für Strassen, wonach die Wirkung des geplanten A1-Ausbaus zwischen Nyon und Genf von vier auf sechs Spuren nach wenigen Jahren schon wieder verpufft wäre. «Dazu kommen die massiven Einschränkungen beim Bau.»
Für Huber hängen die vielen Staus mit dem höheren Verkehrsaufkommen zusammen. «Früher hatten viel weniger Familien überhaupt ein Auto.» Immer wieder geraten auch die LKW ins Visier. «Viele Leute sehen nur den Elefanten, der im Weg steht. Ohne uns wären die Einkaufsläden leer.»
Gut eine Stunde nach Fahrtbeginn fährt Huber an Schönbühl BE vorbei. Auch dort muss sie warten. Die 11-Uhr-Frist wird knapp.
Staus gehen ins Geld
Staus gehen für die Wirtschaft ins Geld. 2021 waren es rund 2,6 Milliarden Franken, wie das Bundesamt für Raumentwicklung berechnet hat. 2019 waren es 3 Milliarden Franken. Die Unterschiede seien auf die Pandemie zurückzuführen. Für das Transportunternehmen Galliker, für das Huber fährt, bedeutet es, mehr Personal einstellen, um die gleiche Menge liefern zu können.
Huber bleibt trotz Staus am liebsten auf der Autobahn. Nur wenn es nicht anders geht, weicht sie auf die Hauptstrassen aus. «Es ist in Dörfer und Städten viel gefährlicher mit dem grossen LKW.»
Für Ausbau-Gegnerin Erni verschärft der Autobahn-Ausbau das Problem mit den Umfahrungen durch Städte und Dörfer aber nur. «Die geplanten Autobahnprojekte enden alle in Städten, in denen man die Strassen nicht verbreitern kann – es sei denn, man reisst Gebäude ab.» Somit wird es nur noch gefährlicher.
«Mein Sohn liebt das Zugfahren»
Privat versucht Chauffeurin Huber, die Staus zu umfahren. «Wenn ich in die Camping-Ferien unterwegs bin, durchfahre ich den Gotthard nur nachts.» Dazu nutzt sie auch den öffentlichen Verkehr. «Mein Sohn liebt das Zugfahren.»
Um 11 Uhr fährt Huber in Vevey VD ein. Pünktlich, trotz Stau. «Ich musste beim Zwischenhalt nicht lange warten und konnte schnell ausladen. Dieses Mal habe ich Glück gehabt.»