Kritik an Budget-Krankenkasse
«Aushebelung des solidarischen Systems lehnen wir ab»

Patientenschützerin Susanne Gedamke warnt vor einem Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen. Die von der FDP geforderte Budget-Krankenkasse würde chronisch Kranke benachteiligen.
Publiziert: 08.07.2023 um 23:58 Uhr
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Susanne Gedamke ist Geschäftsführerin der Schweizerischen Stiftung SPO Patientenorganisation.
Foto: Zvg
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Peter AeschlimannRedaktor

SonntagsBlick: Frau Gedamke, die FDP fordert eine Budget-Krankenkasse. Wie kommt das bei Ihnen an?
Susanne Gedamke:
Gar nicht gut. Klar, die steigenden Prämien sind ein Problem. Von einem Budget-Modell profitierten aber bloss Menschen, die das System kaum benötigen. Die FDP verlangt, dass jene mehr bezahlen sollen, die mehr Leistungen in Anspruch nehmen. Das widerspricht dem Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen. Hinzu kommt: Niemand ist davor gefeit, krank zu werden.

Was würde ein solches Modell für die Patientinnen und Patienten bedeuten?
Es führte zu grosser Verunsicherung. Wer selten Patient ist, mag sich dafür entscheiden. Doch mit der Gesundheit kann es schnell in eine andere Richtung gehen. Und dann hängt man in einem System fest, das etwa vorsieht, gewisse Leistungen im Ausland zu beziehen.

Weshalb wäre das problematisch?
Wir wissen von Eingriffen in der ästhetischen Medizin oder in der Zahnmedizin, dass das oft in die Hose geht. Die Behandlung der Komplikationen, die nach so einem Eingriff entstehen können, wird in der Schweiz nicht bezahlt. Für den Patienten ist es extrem schwierig, die Qualität eines Leistungserbringers beurteilen zu können. Aus Mangel besseren Wissens manövrieren sich die Leute in eine schlimme Lage.

Wer nicht an Homöopathie glaubt, sollte doch darauf verzichten dürfen – und dafür weniger Prämie zahlen.
Müsste man nur noch für die Leistungen bezahlen, die man bezieht, wäre das ein völliger Paradigmenwechsel – die Aushebelung unseres solidarischen Systems. Benachteiligt würden jene Menschen, die unverschuldet schwer chronisch erkrankt sind. Das lehnen wir entschieden ab.

Heute sei eine «All you can eat»-Mentalität verbreitet, sagt die FDP.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage – daran krankt das System. Es gibt zu viele lukrative Angebote, die dann auch rege genutzt werden. Die Patienten müssen besser Bescheid wissen über die Qualität und den Nutzen dieser Angebote.

Also müssten wir Spitäler schliessen, um das Prämienwachstum zu stoppen?
Nicht jeder Kanton und jedes Spital muss sämtliche Leistungen erbringen. Keine Frage: Das föderalistische System macht alles teurer. Hier benötigt es dringend eine Konzentration der Angebote.

Wird das reichen?
Auch bei der Digitalisierung muss es vorwärtsgehen. Da befinden wir uns in der Steinzeit. Das digitale Patientendossier ist ein erster und wichtiger Schritt – wenn auch nicht in der Form, die wir uns erhofft hatten. Gleichzeitig muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass nicht alles gemacht werden muss, was gemacht werden kann. Hohe Ansprüche gepaart mit vielen Angeboten können zu einer Überversorgung in bestimmten medizinischen Bereichen führen, während es woanders an allen Ecken und Enden fehlt. l Interview Peter Aeschlimann

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