Knatsch um Abstimmungsbüchlein in der Bundesverwaltung
Fliegt die Schweiz bei Frontex-Nein «automatisch» aus Schengen?

Bei einem Nein zur Frontex-Vorlage am 15. Mai droht der Schweiz das Schengen-Aus. Doch erfolgt der Rauswurf «automatisch» oder braucht es doch mehr? Die Bundesverwaltung stritt darüber, ob der Begriff ins Abstimmungsbüchlein gehört.
Publiziert: 26.04.2022 um 12:28 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2022 um 19:05 Uhr
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Was passiert bei einem Nein zur Frontex-Vorlage? Fliegt die Schweiz aus dem Schengen-Raum?
Foto: keystone-sda.ch
Ruedi Studer

Das Abstimmungsbüchlein ist eine heikle Sache: Es flattert in Millionen Haushalte und soll die Stimmberechtigten sachlich und verständlich über die bevorstehenden Abstimmungsvorlagen informieren. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Daher gehen die Vorschläge der Bundeskanzlei denn auch stets in eine breite Ämterkonsultation.

Selbst an Kleinigkeiten wird geschliffen: Beim Filmgesetz diskutierte die Verwaltung etwa, ob man von Fernsehstationen oder Fernsehsendern schreiben soll – wobei sich Letzteres durchsetzte.

Wie automatisch ist der Automatismus?

Doch es gibt auch Situationen, in welchen es ans Eingemachte geht. So wurde am Erklärtext zur Frontex-Vorlage besonders herumgedoktert. Die brisante Frage: Fliegt die Schweiz aus dem Schengen-Raum, wenn das Stimmvolk am 15. Mai sich weigert, den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex mitzutragen?

«Falls die Schweiz diese Schengen-Weiterentwicklung ablehnt, endet ihre Zusammenarbeit mit den Schengen- und Dublinstaaten automatisch – es sei denn, die EU-Staaten und die EU-Kommission kommen der Schweiz entgegen», lautet dazu die Antwort im Abstimmungsbüchlein.

Darum geht es bei der Frontex-Abstimmung

Die EU will den Schutz ihrer Aussengrenzen verbessern. Dazu soll die Grenzschutzagentur Frontex massiv mehr Mittel erhalten. Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz verpflichtet, sich daran zu beteiligen. Von wie heute 14 Millionen Franken jährlich soll sich der Frontex-Beitrag bis 2027 auf 61 Millionen Franken erhöhen. Zudem soll die Schweiz mehr Personal zur Verfügung stellen. Dagegen haben linke Kreise das Referendum ergriffen. Frontex spiele eine zentrale Rolle beim Ausbau der «Festung Europa», sagen sie.

Die EU will den Schutz ihrer Aussengrenzen verbessern. Dazu soll die Grenzschutzagentur Frontex massiv mehr Mittel erhalten. Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz verpflichtet, sich daran zu beteiligen. Von wie heute 14 Millionen Franken jährlich soll sich der Frontex-Beitrag bis 2027 auf 61 Millionen Franken erhöhen. Zudem soll die Schweiz mehr Personal zur Verfügung stellen. Dagegen haben linke Kreise das Referendum ergriffen. Frontex spiele eine zentrale Rolle beim Ausbau der «Festung Europa», sagen sie.

Automatisch! Bloss, so klar ist das nicht. Der Begriff wurde nämlich erst auf Druck der Europa-Abteilung im Aussendepartement in den Text genommen. Das zeigt die Ämterkonsultation, die Blick vorliegt.

Im Entwurf der Bundeskanzlei fehlt das Wort «automatisch» noch, weil man sich in einer Arbeitsgruppe darauf geeinigt habe, den Begriff nicht mehr zu benutzen, so der Standpunkt der Bundeskanzlei. «Es gibt zwar einen Automatismus, aber so ganz automatisch treten die Abkommen nicht ausser Kraft», argumentierte sie und machte deutlich: «Wichtig ist der Grundsatz, dass die Abkommen ausser Kraft treten, wenn nach einem Nein der Gemischte Ausschuss nicht etwas anderes beschliesst…»

Bei «Verspätungen» sieht es anders aus

Das EDA drängte trotzdem darauf, den Automatismus zu betonen. Dabei räumten aber selbst die EDA-Leute in ihrer Replik ein, dass es nicht zwingend zum automatischen Aus kommt. «Tatsächlich wird das Beendigungsverfahren nicht zwangsläufig in jedem im Assoziierungsabkommen vorgesehenen Fall durchgeführt, wie wir aus Fällen von Verspätungen wissen», so das EDA.

Es betonte gleichzeitig: «Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass das Beendigungsverfahren im Falle der Notifikation einer Nichtübernahme durch die Schweiz ausbleiben würde.» Sobald dieses laufe, handle es sich «um einen reinen Automatismus mit hohen Hürden für eine Umkehr».

Linke will neue Vorlage

Die Bundeskanzlei lenkte schliesslich ein. Zum Ärger des Nein-Lagers im Abstimmungskampf. Die Gegnerinnen und Gegnern der Vorlage bestreiten nämlich, dass ein Nein das automatische Aus für Schengen/Dublin bedeutet. «Der Automatismus kommt nur zum Zug, wenn die Schweiz aktiv eine Nichtübernahme nach Brüssel meldet», moniert SP-Nationalrat Fabian Molina (31, ZH). «Das ist aber nicht unser Ziel, das Nein soll stattdessen einer neuen, gerechteren Vorlage den Weg ebnen.»

Der vorgeschlagene Deal: Wenn die Schweiz mehr in den Frontex-Ausbau investiert, sollen im Gegenzug mehr Flüchtlinge über das Resettlement-Programm in die Schweiz geholt werden. «Als humanitäre Ausgleichsmassnahme muss das Kontingent von 1600 auf 4000 Personen für eine Zwei-Jahres-Periode erhöht werden. Damit bieten wir einen regulären Fluchtweg», so Molina.

Dass sich damit die Umsetzung der EU-Richtline weiter verspäten würde, sei kein Problem, so Molina. «Wird eine neue Vorlage aufgegleist, drückt die EU bei den Fristen – wie schon in anderen Fällen – ein Auge zu.»

Über 300 Millionen für Frontex

Die Automatismus-Frage ist übrigens nicht der einzige Punkt, bei welchem die Bundesbeamten zugunsten der bundesrätlichen Haltung nachgebessert haben. Bei der Kosten-Thematik nimmt der Bund Dampf aus der Debatte. Was nämlich die finanziellen Auswirkungen des Frontex-Ausbaus betrifft, verweist das Abstimmungsbüchlein zwar auf den Anstieg des Schweizer Beitrags von 24 Millionen Franken im Jahr 2021 auf schätzungsweise 61 Millionen 2027.

Auf Wunsch des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit wurde aber folgende Passage gestrichen: «Gemäss aktuellen Berechnungen bezahlt die Schweiz für die Jahre 2021 bis 2027 insgesamt über 300 Millionen Franken.» Das Total der jährlichen Beiträge fehlt im Abstimmungsbüchlein nun.

«Einfach und schlank»

Ob die Bundesbehörden fürchten, dass die höhere Zahl die eine oder andere Stimmberechtigte abschrecken könnte? Das glaubt zumindest SP-Aussenpolitiker Molina. «Es entsteht der Eindruck, der Bund versuche etwas zu verschleiern und die Zahlen schöner darzustellen», meint er. «Im Wissen darum, dass viele Schweizer mit dem Portemonnaie abstimmen.»

Die Bundeskanzlei hingegen hält den Ball flach. Um die Erläuterungen «möglichst einfach und schlank» zu halten, stünden darin nur so viele Zahlen wie nötig. «Mit der Angabe der Jahresbeiträge lässt sich besser zeigen, wie der künftige Beitrag im Vergleich zu heute aussieht, als mit dem Mehrjahrestotal.» Zudem verweist die Bundeskanzlei auf die Online-Informationen, wo die ausführlichen Zahlen zu finden seien.

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