Darum gehts beim Frontex-Referendum
Helfen wir beim Bau der «Festung Europa»?

Wieso werden der EU-Grenzschutzagentur Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen? Und würde die Beziehung mit Europa endgültig ruiniert, wenn die Schweiz sich gegen eine Beteiligung ausspricht? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen zur Abstimmung vom 15. Mai.
Publiziert: 29.03.2022 um 10:13 Uhr
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Aktualisiert: 26.04.2022 um 19:07 Uhr
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Seit zehn Jahren beteiligt sich die Schweiz an der Grenzschutzagentur Frontex, die an den Aussengrenzen der EU, beziehungsweise des Schengenraumes im Einsatz steht.
Foto: imago/ZUMA Press
Gianna Blum

Drei Referenden kommen am 15. Mai vors Volk: gegen die «Lex Netflix» genannte Filmförderung, gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende und gegen die Schweizer Beteiligung an Frontex. Das Frontex-Referendum hat auch europapolitische Sprengkraft, ist doch auch die Mitgliedschaft der Schweiz bei Schengen betroffen. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

Was ist Frontex überhaupt – und was hat die Schweiz damit zu tun?

Frontex ist die europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Sie unterstützt die Kontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums, zu dem neben der Schweiz und den meisten EU-Staaten auch Norwegen, Island und Liechtenstein gehören. Das heisst: Die Schweiz beteiligt sich an der Unterstützung von Frontex.

Und warum stimmen wir jetzt darüber ab?

Nach der Migrationskrise 2015 hat die EU entschieden, Frontex sowohl finanziell als auch personell aufzustocken – letzteres auf insgesamt 10'000 Polizisten und Grenzwächter im Dienste Europas. Diese Reform läuft nun seit einigen Jahren. Die Schweiz als sogenannter assoziierter Staat ist verpflichtet, sie zu übernehmen. Laut Finanzdepartement wird der Schweizer Beitrag von den 24 Millionen Franken im Jahr 2021 schrittweise auf 61 Millionen bis 2027 steigen. Die Schweiz steuert auch mehr Personal bei: Im Moment sind es sechs Vollzeitstellen, bis 2027 sollen es 40 sein. Dagegen wurde das Referendum ergriffen.

Warum wurde das Referendum ergriffen?

Für die Kritiker steht Frontex stellvertretend für die Abschottung der EU – die «Festung Europa», vor deren Toren Menschen ertrinken. Denn die Agentur unterstützt die einzelnen Länder nicht nur bei der Grenzkontrolle, sondern auch bei Rückführungen jener Ausländerinnen und Ausländer, die sich illegal in den Schengen-Staaten aufhalten. Für das Referendumskomitee, das aus dem «Migrant Solidarity Network» und Organisationen aus dem linken Spektrum besteht, ist es eine Grundsatzfrage, dass die Schweiz sich daran nicht beteiligen soll. Dazu kommt, dass Frontex immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht wird. So soll sie in sogenannte Pushbacks verwickelt sein, also illegale Zurückweisungen an der Grenze – beispielsweise, indem Flüchtlingsboote aus europäischen Gewässern geschleppt und dann sich selbst überlassen werden. Solche Menschenrechtsverletzungen, befürchten die Gegner, würden noch zunehmen – mit Hilfe der Schweiz.

Was passiert bei einem Nein?

Der Bund argumentiert, dass die Schweiz bei einem Nein mehr oder weniger automatisch aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen würde. Und damit auch aus dem Dublin-Vertrag, der Asylanträge regelt. Theoretisch könnte der Gemischte Ausschuss etwas anderes beschliessen. Da dafür aber nur 90 Tage Zeit sind, und der Entscheid einstimmig fallen müsste, ist das sehr unrealistisch. Die Frontex-Gegner argumentieren, das sei eine Drohkulisse, die kaum so Realität werden würde. Denn wenn die Schweiz aus Schengen/Dublin aussteigt, entsteht mitten in Europa quasi ein Loch in der Sicherheits- und Asylstruktur – und daran habe niemand Interesse.

Wäre es denn dramatisch, wenn die Schweiz bei Schengen nicht mehr mitmacht?

Die Schweizer Landesgrenze würde zur Schengen-Grenze – mit systematischen Grenzkontrollen, nötigen Visa und den entsprechenden Konsequenzen für Tourismus und Wirtschaft. Im Sicherheitsbereich hätten Polizei und Zoll keinen Zugriff mehr auf die Datenbanken der europäischen Partner. Ein Ausschluss aus dem Dublin-Verbund würde auch bedeuten, dass die Schweiz Asylgesuche, die in einem anderen Land Europas schon abgelehnt wurden, wieder selbst prüfen müsste. Ein Bericht des Bundesrates schätzt, dass der Schweizer Volkswirtschaft jährlich eine Milliarde Franken verloren gingen.

Wer ist dafür, wer dagegen?

Bundesrat und Parlament empfehlen ein Ja, ebenso die Mitte, die FDP und der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Obwohl sonst europafreundlich unterwegs, hat sich dagegen die SP deutlich auf die Nein-Seite gestellt. Ebenfalls im Nein-Lager sind die Gewerkschaften und Grünen. Offen ist zurzeit noch, auf welche Seite sich die SVP schlagen wird: Einerseits wird sich die Partei kaum gegen den eigenen Bundesrat, SVP-Finanzminister Ueli Maurer (71), und eine sicherheitspolitische Vorlage stellen wollen, andererseits wird sie kaum Lust haben, sich hinter die ungeliebte EU zu stellen.

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