Daniel Jositsch kämpft für ein Nein zu Frontex
SP-Rechtsaussen auf Linkskurs

Am 15. Mai stimmt die Schweiz über mehr Ressourcen für die Grenzschutzbehörde Frontex ab. Ausgerechnet Law-and-Order-Politiker Daniel Jostisch vom rechten Rand der SP weibelt mit den Linken dagegen. Warum?
Publiziert: 22.03.2022 um 08:04 Uhr
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Der Zürcher SP-Standerat Daniel Jositsch ist entschieden gegen die Frontex-Vorlage.
Foto: Keystone
Sermîn Faki

Der Bürgerliche, der Abweichler, der SP-Rechtsaussen – die Bezeichnungen für SP-Ständerat Daniel Jositsch (56) sind zahlreich. Eines haben sie aber gemein: die Aussage, dass der Strafrechtsprofessor kein in der Wolle gefärbter Linker sei.

Und das räumt Jositsch gar selbst ein. Er steht für eine harte Kante gegen Kriminelle und für eine Öffnung zur politischen Mitte hin. Nach seiner fulminanten Wahl in den Ständerat 2015 hatte der Zürcher seine Partei harsch kritisiert. «Die SP ist zu einseitig links positioniert. Wir müssen rechts wachsen», forderte er. Jositsch gehörte in der Folge zur Reformplattform seiner Partei, die einen liberalen – oder, wie sie selbst sagt, «gemässigten» – Kurs anstrebt.

Gegen «verfehlte Migrationspolitik»

Um die Reformplattform ist es inzwischen ruhig geworden. Der SP-Rechtsaussen meldet sich aber wieder zu Wort – wenn auch als Fürsprecher für ein Anliegen Linker: Jositsch kämpft an vorderster Front für das Referendum gegen den Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Dagegen hatten in der Schweiz Migranten-Organisationen und idealistische Linke Unterschriften gesammelt.

Für Jositsch kommt ein Frontex-Ausbau nicht infrage. Für ihn dient Frontex nur dazu, die «verfehlte» europäische Migrationspolitik umzusetzen. «Und die heisst: Flüchtlinge abwehren, egal ob diese ein Recht auf Asyl haben oder nicht.»

Beigetragen zu seiner Haltung hat ein Besuch an der Frontex-Aussengrenze in Griechenland vor einem Jahr. «Dort sehen Sie fünfjährige Kinder, die wie in Haftanstalten eingesperrt sind», sagte er später im Ständerat über die Visite in einem Flüchtlingslager. «Wir machen dort draussen nichts anderes als das, was Donald Trump im Süden der USA gegenüber Mexiko machen wollte. Das können wir nicht einfach so durchwinken.»

Linkes Europa-Dilemma

Doch selbst bei den Linken ist das Frontex-Referendum umstritten. Auch sie kritisieren die illegalen Rückweisungen von Migranten. Aber es ist vielen bewusst, dass die ohnehin schon belastete Beziehung zur EU mit einem Nein zum Frontex-Vertrag weiter strapaziert würde.

Und ausgerechnet Jositsch, der sich immer für die europäische Integration ausgesprochen hat, setzt nun die Beziehungen zur EU aufs Spiel? «Für die Verhärtung der europapolitischen Fronten ist der Bundesrat verantwortlich», pariert er den Vorwurf. Dieser hat bekanntlich die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abgebrochen. «Das jetzt auf dem Buckel der Flüchtlinge auszutragen, ist zynisch.»

«Verzweiflungsbehauptung des Bundesrats»

Einen anderen Einwand kann Jositsch weniger leichtfertig wegwischen: Bei einem Nein zu Frontex könnte die Schweiz aus dem Schengen-Dublin-System ausgeschlossen werden, wie Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) warnt. Damit würde die Schweiz unattraktiver für Touristen und attraktiver für Migranten. Während bei Ersteren viele ein Extra-Visum bräuchten, könnten Zweite alle nochmals ein Asylgesuch in der Schweiz stellen, auch wenn dieses schon anderswo in Europa abgelehnt wurde.

Und da ist noch die Bekämpfung Krimineller, die mit einem Nein zu Frontex schwieriger würde: Denn mit dem Rausschmiss aus Schengen würde die Schweiz auch den Zugriff auf das länderübergreifende Fahndungssystem SIS verlieren.

Jositsch lässt sich aber nicht beirren. Er glaubt nicht, dass die Schweiz völlig von Schengen-Dublin abgekoppelt würde. «Das ist eine Verzweiflungsbehauptung des Bundesrats.» Karin Keller-Sutter (58) wisse «haargenau, dass das nicht passieren wird. Niemand hat ein Interesse, dass ein Sicherheitsloch mitten in Europa entsteht», sagt er.

2019 tönte er noch anders

Noch vor drei Jahren argumentiert er anders. Damals machte sich Jositsch für die Übernahme des EU-Waffenrechts stark. Eines seiner wichtigsten Argumente war der Verbleib bei Schengen: «Dass das SIS von höchster Bedeutung ist, ist mittlerweile unbestritten. Was Sie wollen, ist, mit dem Feuer spielen und das Risiko eingehen, dass wir dort nicht mehr dabei sind», warf er jenen an den Kopf, die das Schweizer Waffenrecht nicht an das der EU anpassen wollten.

Was für Jositsch heute den Unterschied macht: Damals ging es um wenig einschneidende Änderungen beim Waffenbesitz – jetzt geht es um zentrale Menschenrechte, um die Menschenwürde. Der Zürcher hatte dem Parlament gar einen Ausweg aufgezeigt: Laut Jositsch könnte die Schweiz der Frontex-Erweiterung zustimmen, wenn sie im Gegenzug jährlich 4000 legale Flüchtlinge direkt von der Frontex-Grenze oder einem anderen Staat aufnehmen würde. Eine Forderung, die jedoch ungehört verhallte.

Die Chancen, dass die Linke die Frontex-Erweiterung am 15. Mai versenkt, waren seit je gering. Doch mit dem Angriff auf die Ukraine dürfte die Bevölkerung noch weniger Lust auf sicherheitspolitische Experimente haben. An Jositschs Haltung ändert das aber nichts. «Die Geschichte wird uns nicht freisprechen», betonte er im Ständerat. Nicht ohne sich dafür zu entschuldigen, damit ausgerechnet den kubanischen Revolutionär Fidel Castro (†90) zu zitieren. – So viel Rechtsaussen muss sein.

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