Es war eine regelrechte Irrfahrt durch den Kanton Bern. Den ganzen Tag war Leon Elmazov (21) mit den Ukrainerinnen Vesta Brandt (36) und Olga Plastun (28) im Auto unterwegs: von Biel über Ostermundigen nach Wabern, wieder nach Ostermundigen, dann zurück nach Biel. Dabei war das Ziel vermeintlich simpel: eine Behörde zu finden, die den Geflüchteten das Geld auszahlen würde, das sie zum Leben in der Schweiz benötigen.
Stattdessen schickten die Beamten die Ukrainerinnen und ihren Schweizer Unterstützer von einem Amt zum nächsten. Erst mussten sie in Wabern den ukrainischen Pass abholen, den die Behörden vor Wochen eingezogen hatten; dann wollte niemand wissen, wo die Flüchtlinge ihr Geld beziehen könnten.
Schliesslich griff am späteren Nachmittag Andreas Gosch (54) ein, der Schwiegervater von Leon Elmazov. Per Telefon zugeschaltet, forderte Gosch die Beamten in Ostermundigen auf, eine Adresse anzugeben, die für die Auszahlung der Gelder zuständig war. «Daraufhin rückten sie endlich die Adresse des Roten Kreuzes in Biel heraus», so erzählt es Gosch. Woraufhin die Truppe zurück an den Ausgangspunkt fuhr, nach Biel.
Als sie dort am nächsten Tag beim Roten Kreuz vorsprachen, erhielten die Frauen 150 Franken pro Person – für zwei Wochen. Zehn Franken pro Tag für Mahlzeiten, Shampoo, Medikamente, Kleider. «Das ist doch unwürdig», regt sich Gosch auf. «Davon kann niemand leben.»
«Wie heisse Kartoffeln»
In einer Stellungnahme nennt der Kanton Bern einen Betrag von 140 bis 160 Franken, der Flüchtlingen pro Woche zur Verfügung stehe. Im genannten Fall scheine daher «Klärungsbedarf» zu bestehen. In Bezug auf die Irrfahrt durch den Kanton heisst es seitens dessen, Flüchtlinge mit S-Status würden jeweils darüber informiert, welche Stelle für sie zuständig sei. Zudem helfe bei Fragen auch die Gemeinde.
Ganz offensichtlich funktioniert das in der Praxis nicht ganz so reibungslos. Für Gosch, der die Flucht der Frauen aus der Ukraine mitorganisiert hat, steht die Irrfahrt durch den Kanton sinnbildlich für das, was derzeit schiefläuft: «Keiner will Verantwortung übernehmen. Stattdessen werden die Flüchtlinge wie heisse Kartoffeln von einem Amt ans nächste weitergereicht.»
Auch an Informationen fehle es. Als Beispiel nennt Gosch den Brief des Staatssekretariats für Migration, der die Gewährung des Schutzstatus S bestätigt. Das amtliche Schreiben ist auf Deutsch verfasst; eine Übersetzung ins Ukrainische ist nicht beigelegt. Ebenso wenig wie eine Adresse jener Berner Behörde, an die sich die Empfänger als Nächstes wenden sollen.
Andreas Gosch bezahlt gewissermassen den Preis dafür, dass er schnell und unkompliziert helfen wollte, als der Krieg ausbrach. Er trommelte Freunde zusammen, um die Ukrainerinnen – Bekannte seiner Tochter – in die Schweiz zu holen und ihnen sowie ihrer Familie in Biel eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Viele andere handelten ähnlich, indem sie Flüchtlinge privat bei sich unterbrachten, statt auf die Behörden zu warten. Heute sagt Gosch: «Wir fühlen uns im Stich gelassen.»
Wartezeiten sind nicht das Problem
Denn das System ist nicht auf Gastfamilien ausgerichtet, die auf eigene Faust helfen wollen. Vielmehr sollen sich Privatpersonen bei der Flüchtlingshilfe registrieren. Daraufhin bekommen sie vom Bund nach eingehender Prüfung Flüchtlinge zugeteilt. Auf diese Art und Weise will der Bund auch die Betreuung der Geflüchteten gewährleisten, die Einschulung der Kinder oder den Zugang zu ärztlicher Behandlung. Nur: All jenen Gastfamilien, die in den ersten Kriegstagen jemanden aufnahmen, bringt das herzlich wenig.
Sie fühlen sich ohnmächtig, da unklar ist, wer offizielle Auskünfte geben kann, oder Telefonanschlüsse wie die Hotline des Staatssekretariats für Migration permanent besetzt sind. Und sie ärgern sich über die Wartefristen – weil seitens des Bundes doch die Rede davon war, «schnell und unkompliziert» zu helfen.
Die Behörden ihrerseits sehen sich mit Tausenden von Anfragen und Anträgen konfrontiert, deren Beantwortung Zeit braucht. Hinzu kommt, dass gewisse Gastfamilien eine Anspruchshaltung an den Tag legen, die nicht immer einfach zu handhaben ist, wie Kantonsvertreter durchblicken lassen.
Bei Flüchtlingen und ihren Gastgebern sind es denn auch weniger die Wartezeiten selbst, die für Unmut sorgen, als der Mangel an Informationen: Wie lange dauert es, bis der S-Status gewährt wird? Wo bekommt man finanzielle Unterstützung? Je nach Kanton sind diese Informationen gut zu finden, weniger gut – oder eben gar nicht.
An Lösungen wird gearbeitet
Aus diesem Grund haben vier IT-Experten auf eigene Initiative die Website helloukraine.ch erstellt und in vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Ukrainisch und Russisch – alle wesentlichen Informationen zusammengetragen, die für Neuankömmlinge in der Schweiz erhältlich sind. Wie einer der Mitgründer, Stefan Frei, erklärt, soll das Portal als erster «Wegweiser» dienen.
Inzwischen haben auch die Kantone reagiert und die öffentlich zugänglichen Informationen aktualisiert sowie jeweils eine Telefon-Hotline eingerichtet, an die man sich mit Fragen wenden kann.
Die Herausforderung dürfte nun darin bestehen, dass Anrufer tatsächlich einen Gesprächspartner finden – und nicht erneut in einer endlosen Warteschleife landen.