«Wir müssen mit vielen Flüchtenden rechnen»
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Staatssekretärin für Migration:«Wir müssen mit vielen Flüchtenden rechnen»

SEM-Chefin zur Flüchtlingskrise
«Wir schicken niemanden in den Krieg zurück»

Die Schweiz habe im Kosovo-Krieg 50'000 Menschen aufgenommen, sagt Christine Schraner, Staatssekretärin für Migration. Für die aktuelle Krise ist sie deshalb zuversichtlich.
Publiziert: 13.03.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2022 um 13:22 Uhr
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Christine Schraner Burgener, Staatssekretärin für Migration, ist optimistisch, dass die Schweiz die Ankunft der Ukraine-Flüchtlinge gut handlen wird.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Sven Zaugg und Camilla Alabor

Frau Schraner Burgener, Sie sind seit zwei Monaten im Amt und sehen sich bereits mit einem Krieg in Europa konfrontiert. Ein ziemlicher Kaltstart.
Christine Schraner Burgener: Ich bin Krisen gewohnt. Das war als Botschafterin in Thailand so: Kaum gelandet, musste ich die Botschaft schliessen, weil wegen Zusammenstössen zwischen Regierungstruppen und Rothemden in den Strassen geschossen wurde. Danach arbeitete ich in Berlin, wo 2015 Hunderttausende Syrer ankamen. Und die letzten dreieinhalb Jahre war ich in Myanmar, einem Konfliktgebiet, wo ich für die Rückführung der vertriebenen Rohingyas verantwortlich war.

Gibt es Parallelen zwischen diesen Konflikten?
Wie in Myanmar sehen wir auch in der Ukraine, dass die meisten Menschen in Nachbarstaaten flüchten und in der Nähe ihrer Heimat bleiben wollen. Das beruhigt die Menschen offenbar: Das Gefühl, man könnte rasch wieder zu Hause sein.

Die Schweiz ist kein Nachbarland, aber nur 2000 Kilometer von der Ukraine entfernt. Wie viele Ukrainer werden hierzulande Schutz suchen?
Bislang haben wir rund 2800 Menschen registriert, davon sind 832 bei Verwandten und Freunden untergekommen. Wie viele Menschen wir letztlich aufnehmen, ist schwierig zu sagen. Klar ist: Je länger der Krieg dauert, desto mehr Menschen verlieren ihr Zuhause und die Hoffnung auf eine Rückkehr. Das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge rechnet mit zehn bis 15 Millionen Vertriebenen.

Die Schweiz gilt nicht als primäres Zielland.
Im europäischen Vergleich ist die Diaspora in der Schweiz relativ klein. Hierzulande leben etwa 11 000 Personen ukrainischer Herkunft, davon sind rund 4000 schweizerisch-ukrainische Doppelbürgerinnen und Doppelbürger.

Der Bund rechnet mit bis zu 60'000 Flüchtlingen aus der Ukraine. Wie viele Menschen können wir aufnehmen?
Der Bund stellt rund 9000 Plätze für die kurzfristige Unterbringung zur Verfügung. Danach gehen sie in Unterkünfte, welche die Kantone zur Verfügung stellen oder zu Privaten. Wir können aber noch viel mehr bewältigen, das hat der Krieg im Kosovo gezeigt. Damals haben wir 50'000 Menschen aufgenommen.

Wie muss man sich das vorstellen: Werden die Menschen in Turnhallen schlafen müssen?
Das wäre höchstens dann der Fall, wenn alle Unterkünfte des Bundes und der Kantone besetzt sind und wir die Menschen auch nicht privat unterbringen können. Turnhallen wären sicher nicht ideal, aber es wäre ein Dach über dem Kopf – für ein, zwei Nächte sollte das gehen. Die Gesuchsteller verbringen dank des S-Status ja nur kurze Zeit in den Bundesasylzentren, falls sie nicht ohnehin direkt bei Privaten unterkommen.

Der Schutzstatus S, den geflüchtete Ukrainer erhalten, ist nicht auf Integration angelegt. Stattdessen müssen die Geflüchteten jedes Jahr darauf hoffen, dass der Status auf Geheiss des Bundesrats verlängert wird.
Der S-Status ist tatsächlich auf die Rückkehr der geflüchteten Personen ausgelegt. Wir schicken aber sicher niemanden in den Krieg oder in eine völlig zerstörte Umgebung zurück. Solange der Konflikt andauert, wird dieser kollektive Schutzstatus verlängert. Nach fünf Jahren würden die Geflüchteten eine Aufenthaltsbewilligung erhalten. Zudem dürfen sie vom ersten Tag an arbeiten, das hilft bei der Integration.

Täuschen wir uns da nicht selbst: Rechnen Sie wirklich damit, dass diese Menschen zurück in ein zerbombtes Land wollen?
Meine Erfahrung ist: Viele Flüchtlinge wollen zurück in ihre Heimat. Ich befürchte allerdings, dass dieser Krieg nicht so rasch ein Ende findet.

Damit die Menschen arbeiten können, müssen sie Zugang zu Deutschkursen haben.
Einige kommen vielleicht schon mit etwas Deutschkenntnissen. Und die anderen müssen wir unterstützen, das ist klar. Wir sind diesbezüglich im Gespräch mit den Kantonen.

Sie war die erste Diplomatin im Job-Sharing

Christine Schraner Burgener (58) ist seit Anfang Jahr Staatssekretärin für Migration im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Die Juristin war 1997 die erste Schweizer Diplomatin, die im Job-Sharing mit ihrem Mann arbeitete. Zuerst in Dublin, später als Botschafterin in Thailand. Danach war sie Botschafterin in Deutschland, bis sie die Uno 2018 zur Sondergesandten für Myanmar ernannte. Schraner Burgener hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Bern.

Christine Schraner Burgener (58) ist seit Anfang Jahr Staatssekretärin für Migration im Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Die Juristin war 1997 die erste Schweizer Diplomatin, die im Job-Sharing mit ihrem Mann arbeitete. Zuerst in Dublin, später als Botschafterin in Thailand. Danach war sie Botschafterin in Deutschland, bis sie die Uno 2018 zur Sondergesandten für Myanmar ernannte. Schraner Burgener hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Bern.

Aktuell ist für Gastfamilien keine finanzielle Unterstützung vorgesehen. Sollten die Kantone nicht zumindest für die Essenskosten aufkommen?
Das können die Kantone selber entscheiden. Sie erhalten vom Bund ja eine Pauschale, die auch zur Finanzierung der Unterbringung dient.

Die hohe Anzahl gemeldeter Betten und die vielen Spenden zeigen: Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung ist derzeit enorm. Droht da auch Ernüchterung?
Das ist möglich. Deshalb sollten die Gastfamilien auch wissen, was auf sie zukommt und dass die Flüchtlinge womöglich länger bleiben als ein paar Wochen. Viele Familien diskutieren sehr intensiv darüber, ob sie jemanden aufnehmen können und wollen. Wir haben das in unserer Familie auch getan.

Und?
Wir haben eine Einzimmerwohnung neben unserer Wohnung, die gerade frei ist. Deshalb haben wir beschlossen, jemanden dort aufzunehmen. Gerade wenn die Krise lange dauert, ist es wohl besser, wenn die Geflüchteten eine eigene Wohnung haben.

Was passiert, wenn es bei der privaten Unterbringung zu Problemen kommt?
Die Flüchtlingshilfe ist in engem Kontakt mit den Geflüchteten und den Gastgebern. Wenn es Probleme gibt, wird man eine andere Lösung suchen. Wir werden sicher keine traumatisierten Menschen in Privatunterkünften platzieren. Diese brauchen professionelle medizinische Hilfe. Zudem kommen ja viele Frauen, die alleine oder mit ihren Kindern unterwegs sind. Das sind sehr verletzliche Personen. Die Flüchtlingshilfe wird hier sehr gut darauf achten, dass sie nicht bedroht oder ausgenutzt werden.

Und wenn eine Gastfamilie merkt: Das geht nicht mit dieser Person?
Dann kann sie sich bei der Flüchtlingshilfe melden. Es muss für beide Seiten stimmen.

Warum hat man den Schutzstatus S nicht schon früher angewendet, zum Beispiel im Falle des Syrien-Kriegs?
Der Ukraine-Krieg ist viel näher, als es andere Kriege waren. Deshalb müssen wir damit rechnen, dass sehr viele Vertriebene in kurzer Zeit zu uns kommen. Während des Syrien-Kriegs war dies nicht der Fall, wir hatten maximal 5000 Asylgesuche von Syrerinnen und Syrern pro Jahr. Das konnte unser Asylsystem bewältigen. In der jetzigen Situation müssen wir es vor Überlastung schützen, damit auch Verfolgte aus anderen Regionen unseren Schutz bekommen.

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