Acht lange Tage dauerte die Flucht, bis Olena R. (30) mit Tochter Alisa (1) am Sonntag letzter Woche im Zürcher HB ankam. Ihr Mann ist im Heimatdorf nahe der Stadt Winnyzja zurückgeblieben, ebenso ihre 53-jährige Mutter. Erst am Tag zuvor habe die russische Armee den Ort im Zentrum der Ukraine beschossen, wird R. später erzählen.
Die junge Frau ist eine von über 9000 Ukrainerinnen und Ukrainern, die in den letzten Wochen in der Schweiz angekommen sind. Falls der Krieg länger dauert, dürften viele von ihnen eine Stelle in der Schweiz suchen.
Olena R., die neben Ukrainisch auch Englisch spricht, fand Unterschlupf bei der Familie von Tanja Becker * (39) in der Nähe von Zürich. Nachdem Gastmutter Becker erfuhr, dass die Ukrainerin in ihrer Heimat als Köchin gearbeitet hatte, schrieb sie sogleich mehrere Gastronomie-Unternehmen an, darunter auch die Firma des Zürcher Gastrobetreibers Michel Péclard (54).
Die Unternehmen profitieren ebenfalls
Der stimmte sofort zu, die Ukrainerin für ein Bewerbungsgespräch in seinem Restaurant Fischer’s Fritz in Zürich-Wollishofen einzuladen. Denn bereits seit Beginn des Kriegs engagiert sich Péclard dafür, den Menschen vor Ort zu helfen. Zudem sei die Anstellung von Flüchtlingen eine «Win-win-Situation», da sich die Personalknappheit in der Gastrobranche seit der Pandemie noch verschärft habe, sagt Péclard.
SonntagsBlick trifft Olena R. am Freitag, als sie ein Bewerbungsgespräch mit dem Geschäftsführer von Fischer’s Fritz und Péclards Personalchefin führt. Die beiden wollen herausfinden, welche Erfahrung Olena R. als Köchin mitbringt und ob sie sich die Arbeit im Restaurant vorstellen kann.
Wie sich zeigt, dürfte die Kinderbetreuung besonders herausfordernd sein. In der Ukraine arbeitete R.'s Ehemann, während sie sich um die gemeinsame Tochter kümmerte. Von der Gemeinde hat Gastmutter Becker noch keine Rückmeldung, ob Alisa in die Kita gehen kann und wer für die Kosten aufkommt. Kurzfristig soll deshalb ein älteres ukrainisches Ehepaar, das ebenfalls in die Schweiz geflüchtet ist, nach dem Kind schauen.
Falls das klappt, will Olena R. kommende Woche einen Schnuppertag in der Küche des Fischer’s Fritz absolvieren. Sie brauche Geld, sagt die junge Mutter leise. Denn: «Ich weiss nicht, wann ich zurückgehen kann.» Ihre Hoffnung sei, dass der Krieg rasch ende. «Und dass ich meinen Mann bald wiedersehe.»
* Name geändert