Bürgerliche Flüchtlingspolitik
Plötzlich dieses Mitgefühl

Die bürgerlichen Parteien zogen in der Flüchtlingspolitik die Schraube stetig an. Nun entdecken sie auf einmal den Wert der Solidarität.
Publiziert: 27.03.2022 um 11:28 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2022 um 21:10 Uhr
Aus der Ukraine in die Schweiz: Ein Urgrossvater spielt mit seinem Urenkel im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen.
Foto: Keystone
Camilla Alabor

Bundesrätin Karin Keller-Sutter zeigte sich bewegt, als sie am Tag nach der russischen Invasion vor die Medien trat: «Wir werden die Menschen in der Ukraine nicht im Stich lassen.»

Keine Frage: Die Schweiz muss sich in dieser Krise an vorderster Front engagieren. Nur: Wenn es um andere Flüchtlinge geht, zeigt die Partei von Bundesrätin Keller-Sutter, die FDP, weniger Mitgefühl. So hatten die Freisinnigen keinerlei Skrupel, syrischen Flüchtlingen Reisen ins Ausland zu verbieten. Selbst der Familienbesuch in Deutschland ist vorläufig aufgenommenen Personen nicht mehr möglich. Das Argument: Eine Handvoll der Betroffenen nutze die Reise ins Ausland für einen verbotenen Heimatbesuch. Grund genug, die Rechte aller 49'000 vorläufig Aufgenommenen in der Schweiz zu beschneiden. Wo kämen wir auch hin, wenn sie das Recht auf Reisefreiheit hätten?

Den Anstoss zur Verschärfung hatte Mitte-Präsident Gerhard Pfister gegeben, dessen Partei sich ebenfalls anschickt, die Solidarität mit ausländischen Menschen neu zu entdecken. Nur ein paar Monate zuvor hatte die Mitte-Partei noch eine Regelung abgelehnt, wonach Asylbewerber trotz negativen Entscheids ihre angefangene Lehre beenden dürfen. Stattdessen sollen sie ausgeschafft werden. Wo kämen wir auch hin, wenn wir gut integrierten Personen die Chance gäben, ihre Ausbildung abzuschliessen?

Leichter hat es im bürgerlichen Lager die SVP. Sie hat nie behauptet, dass Menschlichkeit ein zentraler Wert ihres Programms wäre. Entsprechend fordert sie bereits die Aberkennung des Schutzstatus bei Straffälligkeit. Wo kämen wir auch hin, wenn wir Flüchtlinge statt als potenzielle Straftäter in erster Linie als Menschen sähen?

Wohl weiter, als wir heute sind.

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