Schweizer Regierungsmitglieder geniessen den Ruf der Bodenständigkeit: 2018 erhielt die damalige Verkehrsministerin Doris Leuthard (60) Applaus, weil sie im übervollen Intercity auf der Treppe Platz nahm. Wenige Wochen später wurde Alain Berset (51) dafür gefeiert, dass er sich vor dem Uno-Hauptquartier in New York auf einen Randstein gesetzt hatte, um Akten zu studieren.
Doch unsere Bundesräte können auch anders, wie die jüngste Statistik des Lufttransportdienstes zeigt, über die «20 Minuten» diese Woche zuerst berichtete. Demnach nahmen 2023 einige Regierungsmitglieder den Diensthelikopter oder -jet für Anlässe in Anspruch, die eher privater Natur sind.
An einem Samstag im Juni zum Beispiel liess sich Berset von seinem Wohnort im Kanton Freiburg mit dem Heli nach St. Gallen fliegen. Grund für den exklusiven Staatstransport: die Abschiedsparty von SP-Urgestein Paul Rechsteiner (71).
Guy Parmelin (64) tat es ihm an einem Samstag im Oktober des vergangenen Jahres nahezu gleich: In Begleitung seiner Frau bestieg er an seinem Wohnort in der Waadt den Bundesrats-Heli, um nach Frauenfeld TG zu fliegen. Auch er wurde von einem Parteikollegen erwartet: Peter Spuhler (65), Stadler-Rail-Patron und Ex-SVP-Nationalrat, hatte zu einem «informellen Treffen inklusive Nachtessen» geladen.*
Ignazio Cassis (62) deklarierte derweil drei Flüge von Bern-Belp an seinen Wohnort im Tessin als «privé». Der Aussenminister nahm den Lufttransportdienst 77-mal in Anspruch – und lag damit weit über dem Durchschnitt.
«Verpflichtungen und Einladungen»
Übertroffen wurde Cassis einzig von Berset. Der Innenminister kam in seinem letzten Amtsjahr auf 83 Flüge, 40 mit dem Bundesratsjet und 43 mit dem Helikopter. Die Medienstelle des Innendepartements begründet die Vielfliegerei ihres ehemaligen Vorstehers mit «Verpflichtungen und Einladungen» im Zusammenhang mit dessen Amt als Bundespräsident.
Doch 83 Flugreisen im Jahr sind selbst für einen amtierenden Bundesratspräsidenten eine stolze Zahl, zumal Linienflüge nach Afrika, Asien oder Übersee in dieser Liste nicht berücksichtigt sind.
Zudem fällt auf: Bei mehr als der Hälfte von Bersets Flügen lagen Start- und Landebahn innerhalb der Schweiz – bemerkenswert für einen Sozialdemokraten, dessen Partei vor nicht allzu langer Zeit Inlandflüge verbieten wollte.
Bisweilen nutzte Berset den Bundesrats-Heli gar für Strecken, die mit Zug oder Auto in weniger als einer Stunde zu schaffen sind. So flog er etwa für die Swiss Art Awards von Bern nach Basel. Oder an das Swiss Economic Forum von Bern nach Interlaken BE. Mit dem Auto hätte er dafür gerade mal 45 Minuten gebraucht.
*Die Medienstelle des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) legt Wert auf die Feststellung, dass am «informellen Treffen inklusive Nachtessen» auf Einladung von Peter Spuhler neben Wirtschaftsminister Guy Parmelin und seiner Frau auch Spitzenvertreter aus der Schweizer Wirtschaft teilgenommen hatten.