Berset nimmt Ende Jahr den Hut
«Ich brauche Erholung»

Ende Jahr hört Alain Berset als Bundesrat auf. Ein Gespräch über Kultur, seine «Kriegsrausch»-Aussage – und Zukunftspläne.
Publiziert: 06.08.2023 um 11:53 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2023 um 16:30 Uhr
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Alain Berset ist zum letzten Mal als Bundesrat und Bundespräsident beim Filmfestival in Locarno.
Foto: Philippe Rossier
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Raphael RauchBundeshausredaktor

SP-Bundesrat Alain Berset (51) hat turbulente Zeiten hinter sich – und Negativschlagzeilen. Die Corona-Pandemie forderte den Gesundheitsminister. Ein privater Flug in ein französisches Militär-Sperrgebiet gab zu reden. Und seinem Ex-Kommunikationschef Peter Lauener wird vorgeworfen, während der Pandemie systematisch Informationen an Ringier-CEO Marc Walder herausgegeben zu haben. SonntagsBlick hat den Bundesrat am Filmfestival von Locarno zum Interview getroffen.

Herr Berset, im letzten Jahr stolperten Sie von Skandal zu Skandal. Perlen all die Negativschlagzeilen einfach an Ihnen ab?
Alain Berset: Nein, aber sehen Sie: Die Corona-Pandemie war brutal. Ich wurde als Diktator beschimpft, es gab Morddrohungen gegen meine Familie. Meine Toleranz für schwierige Situationen ist sehr stark entwickelt.

Nun entspannen Sie in Locarno. Nicht nur der Film, auch die Politik lebt von Inszenierung. Wie bereiten Sie sich auf wichtige Auftritte vor, etwa Ihre erste Sitzung im Uno-Sicherheitsrat oder die Medienkonferenz zum Grounding der Credit Suisse?
Die Sitzung im Sicherheitsrat konnte ich gut vorbereiten – die stand schon lange fest. Ich habe im Vorfeld mehrere Länder in Afrika besucht, die auf der Agenda des Sicherheitsrats stehen, und habe viele Gespräche geführt. Der Fall der CS war eine völlig andere Situation. Vier, fünf Tage vorher war nicht klar, dass so etwas kommt. Vorbereitung bedeutet hier, sich klare Botschaften zu überlegen. Was weiss man? Was weiss man nicht?

Ab nächstem Jahr müssen Streaminganbieter wie Netflix vier Prozent ihres Umsatzes in der Schweiz in hiesige Filmproduktionen investieren. Ist das ein Booster für den Schweizer Film?
Schauen Sie die spanische Serie «Haus des Geldes» an, die durch Netflix zum weltweiten Erfolg wurde. Ich wünsche mir eine Schweizer Netflixserie.

Mit welchem Stoff?
Das ist Sache der Spezialisten. Ich hoffe sehr, dass man nicht auf Klischees setzt.

Warum hat die Schweiz trotz öffentlicher Förderung bislang keinen Welterfolg hervorgebracht, wie zum Beispiel Dänemark mit der Serie «Borgen»?
Warten wir ab, was die Lex Netflix bringt. Die Saat wird man erst in ein paar Jahren ernten. Welterfolg ist jedoch nicht das Kriterium. Es gibt Filme, die 300 Millionen kosten – da wird mehr Geld für einen Film bezahlt, als die Schweizer Filmförderung über Jahre ausgibt. In der Schweiz gibt es unterschiedliche Kategorien und Vielfalt. Darauf können wir stolz sein.

Welche Erwartungen haben Sie an die designierte Präsidentin des Filmfestivals von Locarno, Maja Hoffmann?
Dass sie einen guten Job macht.

Was heisst das?
Es ist nicht Sache des Bundes, Änderungen bei einem Filmfestival zu kommentieren. Locarno ist eine sehr solide Institution.

Die Familien Hoffmann und Oeri kontrollieren den Basler Pharmakonzern Roche. Als Gesundheitsminister haben Sie manchmal Konflikte mit Pharmakonzernen. Welche Erwartung haben Sie hier an Frau Hoffmann?
Wenn ich mit der Pharmabranche in Kontakt bin, spreche ich mit den CEOs. Es stimmt, mit ihnen gibt es manchmal Meinungsverschiedenheiten. Wir konnten die Medikamentenpreise über eine Milliarde senken. Das kommt den Menschen zugute, die Prämien bezahlen.

Ivo Kummer, der Filmchef beim Bundesamt für Kultur, hört auf. Die Favoritin für seine Nachfolge, Seraina Rohrer, hat abgesagt. Welches Update haben Sie?
Es gibt kein Update. Das Bundesamt für Kultur sucht nach der besten Persönlichkeit. Ich bin Ivo Kummer sehr dankbar. Vor seiner Zeit war es nicht immer einfach zwischen dem Bundesamt für Kultur und der Filmbranche. Er hat die Situation beruhigt.

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Die neue Kulturbotschaft des Bundesrats will den Sprachaustausch stärken. Warum hatten Sie in Ihrer Schulzeit Altgriechisch lieber als Deutsch?
Als ich im Kollegium war, also im Alter zwischen 16 und 19, war Deutsch mein Horrorfach. Ehrlich gesagt hatte aber auch die Art und Weise, wie die Noten berechnet wurden, einen Einfluss: Wenn man Latein und Altgriechisch bis zur Matura hatte, zählte Deutsch nur einfach in die Matura-Note und nicht doppelt.

Stört es Sie, dass sich Schweizer Jugendliche teilweise auf Englisch unterhalten und nicht in einer Landessprache?
Für die Schweiz ist es wichtig, dass die Landessprachen gelernt werden. Deswegen stärken wir auch den Sprachaustausch. Wir hatten vor zehn Jahren keinen guten Start: Es gab Probleme mit der Organisation. Nun sind wir auf gutem Weg, um den Austausch zu fördern. Jeder Schüler und jede Schülerin hat die Möglichkeit, während der Schulzeit in eine andere Region zu gehen. Bei meinen Kindern hat das gut funktioniert.

Apropos Sprache: Wie blicken Sie heute auf Ihre umstrittene «Kriegsrausch»-Aussage? Sie sagten, dass Sie bei «gewissen Kreisen» einen «Kriegsrausch» spüren.
Ich hatte die Wirkung des Ausdruckes unterschätzt. Ich habe auf Französisch von «Ivresse de la guerre» gesprochen, was in der Romandie keine Reaktionen ausgelöst hat. Ich habe später klargestellt, dass der Begriff unglücklich gewählt war.

Warum ist kein Frieden in der Ukraine in Sicht?
Meine Haltung war immer klar: Russland hat mit diesem Angriff fundamentale internationale Regeln krass verletzt. Wir brauchen eine Lösung, sodass die Kriegshandlungen eingestellt werden. Russland muss das internationale Recht akzeptieren und sich sofort aus der Ukraine zurückziehen. Russland hat als Mitglied des Uno-Sicherheitsrats eine besondere Verantwortung.

Können Sie als Bundespräsident bis Ende Jahr noch einen Akzent setzen?
Russland hat ein Vetorecht, deswegen ist im Uno-Sicherheitsrat keine Lösung zu erwarten. Umso wichtiger ist es, mit der Ukraine solidarisch zu bleiben. Der Bund hat entschieden, den Wiederaufbau der Ukraine finanziell stark zu unterstützen. Gleichzeitig dürfen wir die anderen Krisenherde auf der Welt nicht vergessen. Ich war als Bundespräsident dieses Jahr in Mosambik, Botswana und in der Demokratischen Republik Kongo. Solidarität betrifft nicht nur den europäischen Kontinent, wir müssen auch weiter schauen.

Lassen Sie uns noch über Ihr bärtiges Ferienfoto sprechen.
Ich bin sehr überrascht über die vielen Reaktionen. Ich poste regelmässig Fotos von meiner Arbeit oder von meinen Reisen in Afrika zur Vorbereitung des Sicherheitsrats, aber ein Interesse dieses Ausmasses ist selten.

In Instagram-Kommentaren wurden Sie mit George Clooney, Fidel Castro oder Che Guevara verglichen.
Ich habe da keine Ambitionen.

Während der Pandemie sagten Sie, Sie freuten sich auf die nächsten Ferien in Südfrankreich oder Italien. Wo waren Sie gerade?
Das bleibt geheim.

Warum?
Das ist meine Privatsphäre.

Wie haben sich die ersten Ferien mit der Gewissheit angefühlt, dass nächstes Jahr alles anders ist?
Es ist das erste Mal seit 2019, also vor der Pandemie, dass für mich Ferien möglich waren. Vielleicht konnte ich deswegen besser abschalten. Hinter mir liegen viele Krisen. Die Pandemie ist vorbei, wir hatten die Übernahme der CS durch die UBS. Es ist Wahljahr, man spürt eine gewisse Hektik. Und die Schweiz ist Mitglied im Sicherheitsrat.

Welche Karrierepläne haben Sie in den Ferien geschmiedet?
Keine. Ich habe als Bundespräsident eine besondere Verantwortung und werde bis zum Ende alles geben. Anfang nächsten Jahres brauche ich eine gewisse Erholung. Und dann werden wir weitersehen.

Was werden wir dann sehen?
Ich habe mir wirklich noch keine Gedanken gemacht. Das wäre zu früh. Wenn es etwas zu melden gibt, werde ich es melden. Ich kann jetzt nicht etwas erfinden, weil Sie die Frage stellen.

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