Ignazio Cassis (56) ist mit einem Versprechen Bundesrat geworden. Das Zauberwort lautet «‹Reset›-Knopf». Den werde er im vertrackten Europadossier betätigen, kündigte er an. Mit anderen Worten: Cassis will in den Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU, an dem sein Vorgänger Didier Burkhalter (57) innenpolitisch gescheitert ist, auf Feld eins zurück.
Damit hat der Tessiner der Debatte schon seinen Stempel aufgedrückt, bevor er im Amt ist. Vor allem aber weckt er bei den Euroskeptikern Hoffnungen. Grosse Hoffnungen.
Die SVP hat Cassis’ Vokabular bereits übernommen. «Jetzt ist Zeit, gegenüber der EU den ‹Reset›-Knopf zu drücken!», forderte die Partei am Freitag. FDP-Mann Cassis solle die Regierung dazu bringen, die «Übung abzubrechen», sagt Christoph Blocher (76).
Nun dämpft einer diese Hoffnungen, der es wissen muss: ETH-Professor Michael Ambühl (65) ist der erfahrenste Schweizer Verhandlungsprofi. Er sass schon bei den Gesprächen zu den Bilateralen I mit am Tisch, danach war er Chefunterhändler für die Bilateralen II. Die Beilegung des Steuerstreits mit den USA gelang unter seiner Federführung.
Ambühl hält wenig vom «Reset»-Knopf
Zu Cassis’ «Reset»-Knopf sagt Ambühl, dass solche Versprechen an der Realität scheitern würden: «Die Umstände können in internationalen Beziehungen zuweilen stärker sein als politische Wünsche.»
Ein Zurücksetzen (englisch «Reset») des bisher ausgehandelten Status entbehre ausserdem jeder diplomatischen Logik: «Kein Unterhändler sagt zur Maximalforderung des Gegenübers Nein, sondern Ja, aber ... Ins ‹aber› packt er dann die Gegenforderungen ein.»
Der Wunsch der EU nach einem Rahmenvertrag sei eine solche Maximalforderung. Für die Schweiz seien verschiedene Gegengeschäfte denkbar: «Eine Schiedsgerichtsbarkeit und die Aufhebung der Guillotineklausel bei den Bilateralen I wären gute Forderungen für ein institutionelles Rahmenabkommen.»
Ambühl geht die Möglichkeiten durch, die Aussenminister Cassis hat. «EU- und EWR-Mitgliedschaft sind politisch momentan wenig realistisch.» Als eine Option bleibe dann «das Einfrieren des bisherigen bilateralen Verhältnisses». Damit allerdings würde die Schweiz unnötig Nachteile riskieren.
Die verbleibende Option sei deshalb, trotz innenpolitischer Widerstände, weiter über ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Um dessen Akzeptanz zu erhöhen, sei allenfalls ein «Marschhalt» in den Verhandlungen denkbar.
Was kann der EDA-Chef überhaupt bewirken?
Bleibt die Frage, was ein Personalwechsel an der Spitze des Aussendepartements überhaupt bewirken kann. Dazu sagt Ambühl, der jahrelang im Dienst der Landesregierung stand: «Ein EDA-Chef kann die Europapolitik des Bundesrats nicht alleine bestimmen.»
Als federführender Departementschef bereite er aber die Bundesratsentscheide vor, indem er etwa informelle Vorverhandlungen führt. «Er setzt im Departement die Ziele und den Ton. Für die Unterhändler ist es wichtig, diese zu kennen, denn sie verhandeln zuhanden des Chefs beziehungsweise des Bundesrats.»
Immerhin: Nach Ambühls Einschätzung braucht sich Neo-Bundesrat Cassis nicht zu beeilen. Er könne erst mal abwarten, was die Briten aushandeln werden. «Daher muss die Schweiz auch aus diesem Grund gar nicht so pressieren. Sie könnte eine Gesamtlösung anstreben, mit der alle offenen Fragen, einschliesslich der institutionellen und finanziellen, gelöst werden.» Aus Theorie und Praxis wisse man, dass es in Paketverhandlungen leichter sei, eine allseits befriedigende Lösung zu erzielen.
Bald darf Ignazio Cassis zeigen, was er bewirken kann und wo dieser «Reset»-Knopf sein soll: Am 1. November ist im EDA Schlüsselübergabe.