Dieser Termin bereitet Alain Berset (51) schon jetzt Bauchschmerzen. Als eine seiner letzten Amtshandlungen wird der Gesundheitsminister im Herbst einen markanten Anstieg der Krankenkassenprämien verkünden – zum zweiten Mal in Folge: 6 Prozent dürfte die Grundversicherung im Schnitt teurer werden. Für Familien und den Mittelstand, der keine Prämienverbilligungen in Anspruch nehmen kann, wird es kritisch.
Das schlägt sich auch im jüngsten SRG-Wahlbarometer nieder. Dort stehen die Krankenkassenprämien auf Platz zwei der wichtigsten politischen Herausforderungen, knapp hinter dem Klimawandel, deutlich vor der Zuwanderung. Kein Wunder, versuchen die Parteien im Wahlkampf mit gesundheitspolitischen Vorstössen zu punkten: die SP mit ihrer Prämien-Entlastungs-Initiative, die Mitte mit einer Kostenbremse-Initiative.
Und die FDP? Sie fordert ein neues «Budget»-Versicherungsmodell als Alternative zur obligatorischen Grundversicherung (OKP) und will damit das System radikal umkrempeln. In einer Fraktionsmotion, die der Freisinn in der Sommersession eingereicht hat, heisst es: «Der Bundesrat wird gebeten, der Bundesversammlung einen Vorschlag zu unterbreiten, um alle relevanten Gesetze und Verordnungen so zu ändern, dass die Einführung eines Krankenversicherungsmodells mit sehr niedrigen Prämien ermöglicht wird.»
Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) sagt es in einfacheren Worten: «Wasser statt Champagner.» Heute gelte ein All-you-can-eat-System. Man bezahle einen Fixpreis, dafür dürfe man alles konsumieren. Es gebe aber Menschen, die das gar nicht möchten. Für die wolle man eine Alternative schaffen: ein Menü «À la carte». Diese Grundversicherung «light» soll um mindestens ein Viertel günstiger ausfallen.
Arztbesuch im Ausland
Wer sich für dieses Modell entscheidet, nimmt freiwillig Abstriche in Kauf. Etwa bei den Medikamenten. Existiert ein Generikum, habe man keinen Anspruch auf das teurere Originalpräparat. Das elektronische Patientendossier soll bei der «Budget»-Krankenkasse obligatorisch sein. Wer auf Akupunktur, TCM und Homöopathie verzichtet, geniesst Rabatte. Ebenso, wer seine maximale Franchise um 1000 Franken auf 3500 Franken erhöht. Vergütet würden überdies lediglich Konsultationen bei Ärztinnen, die bestimmten Qualitätskriterien genügen – wenn es sich ergibt, auch im Ausland.
Versicherte mit abgespeckter Grundversicherung würden langjährige Verträge mit den Kassen eingehen. Silberschmidt ist überzeugt: Wenn der Anbieter nicht mehr damit rechnen muss, dass Versicherte bald kündigen, investiere er mehr in deren Gesundheit. «In unserem Modell kann der Versicherer Therapien finanzieren, die vielleicht erst nach drei Jahren ihre Wirkung entfalten.» Das zahle sich für beide Seiten aus.
Bei der SP stösst der FDP-Vorschlag auf Widerstand. «Ich warne vor einem radikalen Systemwechsel», sagt Flavia Wasserfallen (44). Heute finanzierten die Gesunden die weniger Gesunden mit, so die SP-Gesundheitspolitikerin: «Brechen wir dieses Prinzip auf, kommen die chronisch Kranken unter die Räder.»
Viele der Kriterien, die eine «Budget»-Krankenkasse erfüllen würde, seien zudem in alternativen Versicherungsmodellen bereits umgesetzt oder in Planung. So stimmte etwa die Gesundheitskommission des Nationalrats mehrjährigen Vertragsverhältnissen in der Grundversicherung zu.
3500 Franken Franchise zu hoch
Auch die Erhöhung der maximalen Franchise hält Wasserfallen für keine gute Idee. Schon heute sei die Beteiligung der Patienten an den Gesundheitskosten extrem hoch. «Da ist eine Schmerzensgrenze erreicht.» Die Berner Nationalrätin möchte den Hebel vielmehr bei Fehlanreizen und in der Prävention ansetzen: «Es werden zum Teil zu viele oder unnötige Eingriffe gemacht und zu wenig für die Vermeidung von Krankheiten getan.»
Eine Grundversicherung «light», wie sie der FDP vorschwebe, betreibe Kostendämpfung durch Bestrafung der Patienten. Wasserfallen: «Da machen wir nicht mit.»
Fakt ist: Seit dem Jahr 2000 hat sich die mittlere Monatsprämie pro Kopf mehr als verdoppelt. Eine Sotomo-Studie im Auftrag von Santésuisse kam im Herbst zum Schluss: «Wenn es um Massnahmen gegen steigende Lebenshaltungskosten geht, sieht die Schweizer Bevölkerung in keinem Bereich mehr Handlungsbedarf in der Politik als bei der Prämienbelastung.»
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Die Befragten befürworteten sämtliche Vorschläge gegen das Prämienwachstum mit mindestens 70 Prozent. Besonders grosse Zustimmung fand die Generika-Pflicht. Auch bei der Verpflichtung der Kantone, die Koordination zwischen den Spitälern zu verbessern, herrschte breiter Konsens. Ärztinnen und Ärzten, die wiederholt unerklärlich hohe Kosten verursachen, soll die Finanzierung entzogen werden.
Man werde sich den FDP-Vorschlag in der Gesundheitskommission genau ansehen, sagt die Berner GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (45). «Was niemand möchte, wäre eine Zweiklassenmedizin.» Mettler sieht die Hauptursache für steigende Prämien bei der Überversorgung – dafür verantwortlich seien Fehlanreize sowie der mangelnde Informationsaustausch zwischen den Leistungserbringern. So würde heute das Gespräch mit einem Patienten, um die Angst vor einer Behandlung zu verringern, viel schlechter vergütet als eine Computertomografie. «Ein kompletter Systemwechsel ist nicht nötig, um die Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen.»
Meinung zur Budget-Krankenkasse
Versicherungen wenig begeistert
Skeptisch zeigen sich auch Versicherer, die ein Budget-Modell in ihr Angebot aufnehmen müssten. Santésuisse-Sprecher Matthias Müller: «Der einheitliche Zugang aller Versicherten zu sämtlichen Leistungen der Grundversicherung ist eine soziale Errungenschaft, die wir bewahren sollten.» Viel wichtiger sei es, die vielerorts vorhandene Überversorgung zu reduzieren, unwirksame Leistungen auszuschliessen und überhöhte Preise zu senken, etwa bei den Medikamenten: «Damit könnten wir das heutige Angebot bezahlbar halten.» Schliesslich würden Versicherer bereits heute diverse Modelle mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer sowie entsprechenden Rabatten anbieten.
FDP-Mann Silberschmidt lässt sich von dieser Debatte nicht beirren und verweist auf repräsentative Untersuchungen, gemäss denen eine Mehrheit der Versicherten in der Deutschschweiz solche Budget-Modelle wolle und durchaus bereit sei, ihre Grundversorgung zu entschlacken – sofern sich die daraus resultierenden Einsparungen in günstigeren Prämien niederschlagen.
Silberschmidt: «Heute werden alle dazu gezwungen, in der Grundversicherung ein 1.-Klasse-GA zu beziehen, obwohl sie nur selten Zug fahren. Die Leute sollen aber auch ein 2.-Klasse-GA lösen können.»