Er gibt dem Parlament die Schuld
Hätte Berset den Prämienschock verhindern können?

Gesundheitsminister Alain Berset sagt, der Bundesrat könne nichts für die steigenden Prämien. Das glauben ihm nicht alle.
Publiziert: 08.09.2023 um 18:23 Uhr
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«Der Bundesrat hat alles gemacht, was er im Rahmen seiner Kompetenzen kann», sagt Alain Berset zu den steigenden Gesundheitskosten.
Foto: keystone-sda.ch

In wenigen Wochen droht der nächste Prämienschock: Die Krankenkassenprämien dürften erneut zwischen sechs bis zehn Prozent steigen. Schuld daran sind für Gesundheitsminister Alain Berset (51) die anderen: «Der Bundesrat hat alles gemacht, was er im Rahmen seiner Kompetenzen kann», sagt er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».

Mitte-Fraktionschef Philipp Matthias Bregy (45) ärgert sich über die Aussage. «Natürlich hätte Bundesrat Berset konsequenter die höheren Gesundheitskosten stoppen können, ja müssen.» Ihn stört insbesondere, dass Berset nicht von sich aus Massnahmen ergriffen hat, zum Beispiel bei der Verhinderung von Doppelspurigkeiten. Er nennt als Beispiel Röntgen- und MRI-Bilder, die «noch immer doppelt und dreifach gemacht und verrechnet werden», sagt Bregy. «Ich hatte oft den Eindruck, dass Berset das Übel nicht an der Wurzel packen will.»

Gesundheitsminister Berset sagt, es sei durchaus gelungen, das Kostenwachstum zu dämpfen. Er verweist auf die Massnahmen, die er ergriffen hat, um die Gesundheitskosten zu senken. So habe er bei den Medikamentenpreisen eine Milliarde eingespart und eine halbe Milliarde mit der Arzttarif-Revision. «Wir haben 2019 und 2022 zwei Kostendämpfungspakete ins Parlament gebracht», so Berset. «Leider wurde ein Grossteil davon verwässert, verzögert oder sogar ganz abgelehnt.» Mitte-Fraktionschef Bregy ist überzeugt: «Ohne den politischen Druck gäbe es diese Kostendämpfungspakete bis heute nicht.»

Auch FDP-Silberschmidt kritisiert Berset

Auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) kritisiert Berset: «Natürlich hätte Berset mehr machen können.» Er nennt zum Beispiel den neuen Ärztetarif Tardoc. Das bestehende Modell sei über 20 Jahre alt. «Berset muss den neuen Tarif nur noch bewilligen, aber das macht er nicht», sagt Silberschmidt.

«Auch eine einheitliche Finanzierung von ambulanter und stationärer Behandlung liess die Verwaltung unter Berset jahrelang herumliegen.» Bislang bezahlten die ambulanten Behandlungen – die besonders gefördert werden – allein die Krankenkassen. Nun sollen Kassen und Kantone beide Behandlungsarten gemeinsam bezahlen. 

Auch die Digitalisierung sei «ein Trauerspiel», so Silberschmidt. «Das elektronische Patientendossier ist ein PDF-Friedhof.» Zwar hat Berset jetzt Verbesserungen angekündigt. «Aber das wird Jahre dauern.»

«Im Grossen und Ganzen hat er getan, was möglich war»

SP-Nationalrätin Barbara Gysi (59) dagegen nimmt ihren Bundesrat in Schutz. «Natürlich hätte es die einzelne Möglichkeit für Alain Berset gegeben, mehr zu machen. Aber im Grossen und Ganzen hat er getan, was möglich war.» Viele Projekte habe das Parlament blockiert oder verwässert. «Gerade die Mitte-Partei hat viele Pharma- und Krankenkassen-Lobbyisten in ihren Reihen, die ihre eigenen Interessen verfolgt haben.»

Sie kritisiert auch die Kantone: «Sie müssen die Massnahmen umsetzen und haben es selbst in der Hand, die Gesundheitskosten zu senken. Zudem müssten sie viel mehr bei der Prämienverbilligung machen.»

Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt (56) nimmt Bundesrat Berset zumindest teilweise in Schutz: «Wir haben kein Kostenproblem, sondern ein Finanzierungsproblem», sagt sie. Dafür seien neben dem Bund auch die Kantone verantwortlich. «Zehn Kantone zahlen weniger Prämienverbilligungen aus als vor zehn Jahren», sagt Weichelt. «Doch bei der Finanzierung hätte auch Berset innovativer sein können und mehr mutige Lösungen vorschlagen können.» Weichelt selbst plädiert für eine Prämie, die sich nach dem Einkommen bemisst. «Das wahre Problem ist die Finanzierung durch unsoziale Kopfprämien. Die durchschnittlichen Prämien sind in den letzten 25 Jahren fast doppelt so stark gestiegen wie die Gesundheitsausgaben.» Der Bundesrat hat den Vorschlag Ende August abgelehnt. (bro)

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