Das elektronische Patientendossier ist ein Ladenhüter. Bislang wurden nur rund 19'500 Dossiers eröffnet. Obwohl dazu verpflichtet, haben sich auch viele Spitäler dem System nicht angeschlossen oder weigern sich, damit zu arbeiten. Das soll sich ändern. Gesundheitsminister Alain Berset (51) will mit neuen Massnahmen das elektronische Patientendossier zu einem «Pfeiler des Gesundheitswesens» machen.
SP-Bundesrat Alain Berset schlägt mehrere Massnahmen vor, damit das elektronische Patientendossier besser genutzt wird.
- Auch Ärzte, Apotheker und Physiotherapeutinnen müssen das elektronische Patientendossier künftig nutzen, wenn es nach Berset geht. Bereits heute sind alle Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime dazu verpflichtet. Neu soll die gesamte Behandlungskette das Dossier nutzen.
- Wer in der Schweiz wohnt und kranken- oder militärversichert ist, bekommt grundsätzlich ein solches elektronisches Patientendossier. Wer kein Dossier will, muss beim Kanton innerhalb von drei Monaten Widerspruch einlegen. Dazu kann jede und jeder selbst entscheiden, welche Gesundheitsfachperson auf das Dossier Zugriff hat. Dank dieses Systems sollen die Verbreitung und die Nutzung ausgeweitet werden. Das elektronische Patientendossier wird kostenlos sein.
- Mit dem neuen Gesetz soll auch die Finanzierung gesichert sein: So soll der Bund die Weiterentwicklung des Patientendossiers koordinieren und finanzieren, die Kantone sind für die Finanzierung der Umsetzung vor Ort in sogenannten Stammgemeinschaften verantwortlich.
Mit der Gesetzesrevision soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass medizinische Daten für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt werden können – wenn die betroffene Person dem zustimmt.
Man kann auch «Nein» sagen
Berset betont die Vorteile des Systems: So seien die Daten jederzeit auf allen Geräten und für alle betroffenen Personen verfügbar. Der Patient oder die Patientin kann die gesammelten Informationen den Gesundheitsfachpersonen zur Verfügung stellen. Das Ziel sei eine bessere Behandlungsqualität und eine höhere Patientensicherheit.
Für Kritik könnte die Widerspruchslösung sorgen – wer kein elektronisches Patientendossier will, muss selbst aktiv werden. Berset betont, es handle sich um ein Angebot. Man könne auch «Nein» sagen zum elektronischen Patientendossier, so der Gesundheitsminister. Man befinde sich erst am Beginn der Konsultation, es werde also noch viel Information geben.
«Gibt keine hundertprozentige Sicherheit»
Und auch der Datenschutz dürfte zu Diskussionen führen. Schliesslich handelt es sich um höchstprivate Daten. Berset betont, dass schon heute Daten zentralisiert werden. «Wir sind alle bei einer Versicherung versichert. Die Versicherung weiss alles.» Das sei nicht neu.
Man habe das elektronische Patientendossier so organisiert, dass die Daten in der Schweiz gesichert werden. «Die Datensicherheit hat oberste Priorität», sagt BAG-Chefin Anne Lévy (51). Wer ein elektronisches Patientendossier anbietet, müsse sich zertifizieren lassen und das regelmässig wiederholen. «Aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit.»
Viele positiven Reaktionen
Die Reaktionen auf Bersets Vorschlag fallen gemischt aus. Zwar wird durchwegs das elektronische Patientendossier begrüsst. Die Mitte-Partei schreibt, es sei gut, dass der Bundesrat vorwärtsmacht. «Wir müssen die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen endlich konsequent nutzen.»
Auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt (29) ist zufrieden. «Das elektronische Patientendossier ist eine gute Sache und nötig, damit das Gesundheitswesen endlich digitaler werden kann. Das kann auch dazu führen, dass die Gesundheitskosten sinken.» Dass eine Widerspruchslösung kommen soll, findet er richtig. «Nette Worte genügen nicht mehr. Nur wenn das elektronische Patientendossier genutzt wird, kann es sich weiterentwickeln.» Angst vor möglichen Datenlecks hat er nicht. «Es muss im Jahr 2023 möglich sein, dass auch persönliche Daten sicher gespeichert werden können.»
«Die Widerspruchslösung ist eine Kapitulation»
Kritik gibt es jedoch vonseiten der SVP: «Die Grundidee des elektronischen Patientendossiers ist richtig. Doch für mich wirkt das wie eine Verzweiflungstat», sagt SVP-Nationalrätin Martina Bircher (39). Für sie ist entscheidend, dass die Technik einwandfrei funktioniert. «Wenn das elektronische Patientendossier wirklich einen Mehrwert bieten würde, braucht es keine Widerspruchslösung, dann wollen Schweizerinnen und Schweizer ein solches Dossier von sich aus.»
Ähnlich äussert sich Parteikollegin Verena Herzog (67). «Die Widerspruchslösung ist eine Kapitulation», sagt die SVP-Nationalrätin. Zwar unterstützt auch sie das digitale Patientendossier. «Aber diese Vorlage ist sehr fragwürdig. Dass die Bürger reagieren müssen, wenn sie kein Dossier wollen, widerspricht unserem System.» Auch für Nationalrat Thomas de Courten (56) müsse die Widerspruchslösung für Privatpersonen einfacher gestaltet sein.
Yvonne Gilli (66), Präsidentin des Ärzteverbands, sagt: «Bisher hat das elektronische Patientendossier den Ärzten und Patienten zu wenig genützt. Noch heute müssen die meisten meldepflichtigen Krankheiten dem BAG per Fax geschickt werden.» Für Gilli ist entscheidend, dass das elektronische Patientendossier nicht zu mehr administrativem Aufwand führt. «Neben der hohen Arbeitsbelastung ist die Administration ein wichtiger Ausstiegsgrund für junge Ärzte. Die Rahmenbedingungen für die Gesundheitsfachpersonen dürfen sich nicht verschlechtern.»
Die Massnahmen für das Patientendossier sind noch nicht definitiv – Berset schickt sie nun in die sogenannte Vernehmlassung, die bis Mitte Oktober dauert. Danach kann die Vorlage nochmals angepasst werden. (bro)
So will Berset das elektronische Patientendossier retten.
Gesundheitsminister Alain Berset schlägt mehrere Massnahmen vor, damit das elektronische Patientendossier besser genutzt wird.
- Auch Ärzte, Apotheker und Physiotherapeutinnen müssen das elektronische Patientendossier künftig nutzten, wenn es nach Berset geht. Bereits heute sind alle Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime dazu verpflichtet. Neu soll die gesamte Behandlungskette das Dossier nutzen.
- Wer in der Schweiz wohnt und kranken- oder militärversichert ist, bekommt grundsätzlich ein solches elektronisches Patientdossier. Wer kein Dossier will, muss beim Kanton innerhalb von drei Monaten Widerspruch einlegen. Dazu kann jede und jeder selbst entscheiden, welche Gesundheitsfachperson auf das Dossier Zugriff hat. Dank diesem System sollen die Verbreitung und die Nutzung ausgeweitet werden. Das elektronische Patientendossier wird kostenlos sein.
- Mit dem neuen Gesetz soll auch die Finanzierung gesichert sein: So soll der Bund die Weiterentwicklung des Patientendossiers koordinieren und finanzieren, die Kantone sind für die Finanzierung der Umsetzung vor Ort in sogenannten Stammgemeinschaften verantwortlich.
Mit der Gesetzesrevision soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass medizinische Daten für Forschungszwecke zur Verfügung gestellt werden können – wenn die betroffene Person dem zustimmt.
Diese Massnahmen sind noch nicht definitiv – Berset schickt sie nun in die sogenannte Vernehmlassung, die bis Mitte Oktober dauert. Danach kann die Vorlage nochmals angepasst werden.
Gibt es ein Diskriminierungsverbot?
Können Spitäler vorschreiben, dass es ein elektronisches Patientendossier braucht, wenn jemand Widerspruch eingelegt hat? Berset bezweifelt, dass das möglich sei. Es würde dann einfach über Mail kommuniziert. «Das E-Mail wird nicht verschwinden», so er Gesundheitsminister.
In der Romandie läuft es am besten
Bislang laufe es in der Romandie am besten, sagt BAG-Chefin Lévy. Jetzt soll es überall gut laufen. «Vielleicht gibt es in der Romandie etwas mehr Feierstimmung bei solchen Sachen», sagt Bundesrat Berset. Im Sommer soll es eine Kampagne für das elektronische Patientendossier geben – zuerst für die Institutionen, im nächsten Jahr, dann für die breite Bevölkerung. «Man könne niemanden vorschreiben, ein elektronisches Patientendossier zu bekommen.»
Damit ist die Medienkonferenz beendet.
Welche Sanktionen drohen, wenn ein Arzt nicht mitmachen will?
Levy sagt, dass bislang die Spitäler verpflichtet sind, ein elektronisches Patientendossier anzubieten. Viele würden das aber nicht machen – und bis jetzt gibt es noch keine Sanktionsmöglichkeiten. Das soll sich ändern.
Die Sanktionen beginnen von einer Verwarnung bis zu einem Entzug der Möglichkeit über die Krankenkassen abrechnen zu können. Auch Bussen bis zu 250'000 Franken seien möglich.
Risiko beim Datenschutz?
Berset betont, dass schon heute Daten zentralisiert werden. «Wir sind alle bei einer Versicherung versichert. Die Versicherung weiss alles.» Das sei nicht neu. Man habe das elektronische Patientendossier so organisiert, dass die Daten in der Schweiz gesichert werden. «Die Datensicherheit hat oberste Priorität», sagt BAG-Chefin Anne Lévy. Wer ein elektronisches Patientendossier anbietet, müsse sich zertifizieren lassen und das regelmässig wiederholen. «Aber es gibt keine hundertprozentige Sicherheit.»
«Es ist ein Angebot»
Berset betont, es handle sich um ein Angebot. Man könne auch «Nein» sagen zum elektronischen Patientendossier, so der Gesundheitsminister. Dann muss man aber aktiv Widerspruch beim Kanton einlegen. Man befinde sich erst am Beginn der Konsultation, so werde noch viel darüber informiert
«Finanzierung muss klar geregelt sein»
Berset sagt, dass die Finanzierung klar geregelt sein müsse. Der Bund sei für die Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossier verantwortlich, die Kantone müssten sicherstellen, dass jede Person die Möglichkeit für ein elektronisches Patientendossier habe.
Alle müssen mitmachen
Bislang waren nur Spitäler, Geburtshäuser und Pflegeheime verpflichtet, das elektronische Patientendossier einzuführen. Neu müssen auch ambulante Leistungserbringer wie Ärztinnen, Apotheker und Phyiotherapeutinnen dabei sein.
Wer in der Schweiz lebt und dort krankenversichert ist, soll ein elektronisches Patientendossier bekommen. Wer das nicht will, muss aktiv werden und Widerspruch einlegen.
Berset: «Wichtiges Projekt»
Bundesrat Alain Berset beginnt mit seinen Ausführungen zum elektronischen Patientendossier. Es sei ein wichtiges Projekt, so der Gesundheitsminister.
Berset betont die Vorteile des Systems: So seien die Daten jederzeit auf allen Geräten und für alle betroffenen Personen verfügbar. Der Patient oder die Patientin kann die gesammelten Informationen den Gesundheitsfachpersonen zur Verfügung stellen. Das Ziel sei eine bessere Behandlungsqualität und eine höhere Patientensicherheit.
Medienkonferenz beginnt
Die Medienkonferenz beginnt. Zuerst geht es um andere Themen: Bundesratssprecher André Simonazzi erklärt nochmals den Entscheid, warum es keinen Panzer-Deal gibt. Die Hintergründe gibt es hier.
Medienkonferenz um 13.30 Uhr
Gesundheitsminister Alain Berset hat zusammen mit BAG-Chefin Anne Lévy zu einer Medienkonferenz zum elektronischen Patientendossier geladen. Die Medienkonferenz beginnt um 13.30 Uhr.