Es ist ein Vorschlag mit Sprengpotenzial. «Meiner Meinung nach sollte sogar eine Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung in Betracht gezogen werden», sagte die Zürcher SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (46) in der «Sonntagszeitung».
Nicht nur aus der SVP kommen Vorschläge. Die Parteien überschlagen sich mit Ideen, um den Kostenwucher im Gesundheitswesen zu bekämpfen. Doch was halten die Gesundheitsökonomen Willy Oggier sowie Simon Wieser von der ZHAW von den Plänen?
Die obligatorische Krankenkasse soll freiwillig werden
Geht es nach Rickli, muss man das System von Grund auf überdenken und auch die Abschaffung der obligatorischen Krankenversicherung prüfen. Der Nutzen ist fraglich. «Wird die obligatorische Krankenkasse abgeschafft, wird es wohl für alle teurer», sagt Experte Oggier, weshalb er den Vorschlag für «höchst problematisch» hält. Nicht nur die Ärmeren würden darunter leiden, sondern auch jene, die krank sind. «Sie müssen bei privaten Anbietern wohl deutlich mehr für die Grundversicherung bezahlen als jetzt, wenn sie überhaupt eine bekommen.»
Auch der Mittelstand dürfte höhere Prämien bezahlen müssen. «Auf einem freien Markt hat der Versicherer weniger Informationen und muss vorsichtiger kalkulieren. Dieses Risiko wird er weiter verrechnen.» Die Gesundheitskosten dürften steigen. Dazu kommen laut Oggier praktische Probleme: «Was passiert mit jemandem, der kein Geld für eine Behandlung hat, lässt man diese Person sterben?»
Auch Wieser setzt hinter Ricklis Vorschlag ein grosses Fragezeichen. «Privatversicherungen sind keine Garantie für tiefere Kosten.» Ein solches System brauche ebenfalls Regulierungen. Dazu kommt: «Die Krankenkassen spielen eine wichtige Rolle, wenn über Preise für Behandlungen im Spital oder der Arztpraxis verhandelt wird.»
Die obligatorische Krankenkasse macht laut Wieser nur ein Drittel der Gesundheitskosten aus. «In der Schweiz ist man bereits sehr selbstverantwortlich unterwegs, es gibt zum Beispiel viele Leute mit einer hohen Franchise.»
Die Budget-Krankenkasse
Die FDP liebäugelt mit einer Budget-Krankenkasse, um die Prämienkosten um mindestens ein Viertel zu senken. Dafür müssen Patienten auf Generika statt aufs teure Originalmedikament setzen, das elektronische Patientendossier wird obligatorisch und höhere Franchisen sind möglich.
«Wenn die Versicherten tatsächlich freiwillig wählen können, welches Modell sie möchten, kann man das durchaus prüfen», sagt Gesundheitsökonom Oggier. «Entscheidend ist, was in der Budget-Variante drin ist. Hier hat man viel Spielraum.» Klar sei aber, dass überlebensnotwendige Behandlungen weiterhin gesichert sein müssten. «Ob die Gesundheitskosten mit dem Budget-Modell der FDP tatsächlich sinken, hängt davon ab, wie viele Menschen es nutzen», sagt er.
Skeptischer ist Wieser: «Das heutige System beruht darauf, dass Junge und Gesunde für die Kranken bezahlen. Sie würden wohl in eine Budget-Krankenkasse wechseln. Übrig bleiben jene mit hohen Gesundheitskosten.» Für diese dürften die Prämien laut ihm teurer werden.
Schon heute können Sparfüchse tiefere Prämien wählen, wenn sie zum Beispiel zuerst zum Hausarzt gehen. «Dabei wird jedoch nicht die ganze Kostenersparnis weitergegeben. Das wäre mit der Budget-Krankenkasse anders», so Wieser.
Die Einheitskasse
Die SP fordert eine Einheitskrankenkasse. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (35) brachte sie am Montag ins Spiel.
Doch auch die kommt bei Oggier nicht gut an. «Es braucht die Möglichkeit, die Krankenkasse zu wechseln, zum Beispiel wenn man mit dem Service nicht zufrieden ist», findet er. Mit mehreren Kassen ergäbe dies für das Gesundheitswesen Anreize, die Kosten zu senken. «Die einzelnen Kassen stehen in einer Konkurrenz zueinander.»
Und auch Wieser ist kein Freund der Einheitskasse: «Es ist nicht gesagt, dass die Kosten wirklich sinken würden.» Zwar fielen die Kosten für Werbung und Bürogebäude weg, «aber die administrativen Kosten machen nur einen kleinen Teil der Prämien aus», erklärt er.
Die Initiativen
Zudem sind derzeit zwei Volksinitiativen hängig: eine der Mitte-Partei und eine der SP. Bei der SP-Initiative geht es darum, die Prämienzahler mit niedrigem Einkommen zu entlasten, «nicht die Gesundheitskosten zu senken», sagt Wieser. Bei der Mitte soll eine Kostenbremse installiert werden und die Kosten sich entsprechend der Gesamtwirtschaft und den Löhnen entwickeln. «Die Initianten müssen sagen, wo man genau sparen will», so Oggier. Dass die Gesundheitskosten gleich wie die Wirtschaft wachsen, ist aus seiner Sicht nicht möglich. «Die Gesundheitskosten hängen auch mit der Wirtschaftslage zusammen. Bei einer Rezession werden in der Regel zum Beispiel mehr psychiatrische Behandlungen benötigt – wenn auch zeitlich versetzt.»