Jünger, weiblicher, grüner: Die Wahlen 2019 brachten überdurchschnittlich viele neue Gesichter ins Parlament: 68 neue Nationalräte und 21 neue Ständerätinnen nahmen in Bundesbern ihre Arbeit auf.
Nun neigt sich die Legislatur dem Ende entgegen. Die vier Jahre waren geprägt von Covid-Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise und CS-Aus. All das hat es den Neulingen nicht erleichtert, in Bundesbern anzukommen. Wie haben sie sich in dieser schwierigen Lage geschlagen? Blick schaut zurück und sagt, wer sich im Parlament behaupten konnte, und wer sich noch schwertut.
Sie haben sich einen Namen gemacht
Esther Friedli (46): Die St. Galler SVP-Politikerin hat in Bundesbern von Anfang an einen steilen Aufstieg hingelegt. Die Partnerin von Ex-Parteipräsident Toni Brunner (49) nahm gleich mal Einsitz in der wichtigen Kommission für Wirtschaft und Abgaben. Auch durfte sich die Politologin von Beginn weg zum inneren Zirkel der SVP-Spitze zählen. Das ist dem St. Galler Wahlvolk nicht verborgen geblieben: Noch während ihrer ersten Legislatur wurde sie im April als Nachfolgerin von SP-Urgestein Paul Rechsteiner (71) in den Ständerat gewählt. Eine historische Wahl: Friedli ist die erste Frau und das erste SVP-Mitglied, das das geschafft hat.
Andri Silberschmidt (29): Der Zürcher Freisinnige ist nicht nur der jüngste Neo-Parlamentarier. Er zählt auch zu den medial präsentesten. Mehr als 5500 Mal tauchte sein Name in den vergangenen vier Jahren auf Onlineportalen und in Zeitungen auf. Als FDP-Vize gehört der Jungunternehmer mittlerweile dem Machtzentrum der Partei an. Gleichzeitig scheint er verstanden zu haben, was es für politische Mehrheiten braucht, zählt er mit seinen persönlichen Vorstössen doch zu den Erfolgreichsten in Bern.
Philipp Matthias Bregy (45): Zugegeben, der Walliser Mitte-Politiker ist im Herbst 2019 nicht ganz neu ins Parlament gewählt worden. Doch er war nur kurz vor den Nationalratswahlen ins Parlament nachgerutscht – als Nachfolger von Bundesrätin Viola Amherd (61). Dennoch: Im Bundeshaus hat er sehr rasch Tritt gefunden. Schon 2021 übernahm er das Fraktionspräsidium, womit er zu den wichtigsten Figuren unter der Bundeshauskuppel zählt. Schliesslich spielt die Mitte regelmässig das Zünglein an der Waage und schafft die entscheidenden Mehrheiten – mal mit rechts, mal mit links.
Tamara Funiciello (33): Dass die Bernerin auch nach ihrer Wahl in den Nationalrat für Schlagzeilen sorgen würde, war klar – immerhin hatte Funiciello schon als Juso-Chefin bewiesen, dass sie nicht auf den Mund gefallen ist. Doch anders als andere Juso-Präsidenten brauchte sie kaum Anlauf, um von der Demo im Ratssaal anzukommen. Und das nicht nur mit klassenkämpferischen Sprüchen: Funiciello ist mit der Verschärfung der Sexualstrafnorm ein echter Meilienstein in der Gerechtigkeit für Vergewaltigungsopfer gelungen. Damit bewies sie nicht nur Hartnäckigkeit, sondern auch Kompromissfähigkeit über die Parteigrenzen hinaus.
Meret Schneider (31): Tierschutz und Ökologie, diese beiden Themen liegen der Zürcher Grünen-Nationalrätin ganz besonders am Herzen. Bei den Bauern sorgt sie immer wieder für rote Köpfe. Etwa, wenn sie strengere Tierhaltemassnahmen fordert, den Landwirten zu hohe Antibiotika-Verwendung vorhält und der Eierindustrie die Subventionen streichen will. Und gleichzeitig hat sie unter den Landwirten viele Verbündete – weil sie sich die Mühe macht, auch die bäuerliche Realität zu verstehen. Im bürgerlich dominierten Parlament steht sie zwar oft alleine da, ihrem Engagement tut das keinen Abbruch. Und in den sozialen Medien schafft sie es, immer wieder aufzufallen und verschafft ihren Ideen so eine Plattform.
Sie tun sich noch schwer
Andreas Gafner (52): Er ist eine weitere Stimme für die SVP, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Natürlich ist es nicht einfach, als Neuling aus der grössten und damit mächtigsten Fraktion hervorzustechen – besonders als Parteifremder, denn der Berner Landwirt gehört eigentlich der EDU an. Gafner bringt sich aber auch ansonsten kaum im Parlament ein, hat nur wenige Vorstösse eingereicht und tritt im Ratssaal selten ans Mikrofon. Er ist keiner, der sich nach vorne drängt. Aufgefallen ist er einzig während der Corona-Pandemie als Kritiker der behördlichen Impfoffensive.
Johanna Gapany (35): Der «Tages-Anzeiger» schrieb 2019 vom «Wunder von Freiburg» als die damals 31-jährige Freisinnige aus dem Stand heraus Mitte-Amtsinhaber Beat Vonlanthen (66) verdrängte und in den Ständerat gewählt wurde. Mittlerweile gehört sie als Vize-Präsidentin auch zur FDP-Schaltzentrale. Über die Romandie hinaus aber hat sie bis heute keine Bekanntheit erlangen können. Ihr Überraschungssieg, ihr selbstsicheres Auftreten, der Elan aus der damaligen Frauen-Wahl – all das hat Erwartungen geweckt, denen Gapany nie ganz gerecht werden konnte.
Anna Giacometti (62): Mit einem Schlag hatte die Bündnerin 2017 nationale Bekanntheit erlangt. Als Gemeindepräsidentin musste Giacometti den Bergsturz von Bondo bewältigen. Sie führte die Region durch die Krise. Das hat ihr die Bevölkerung nicht vergessen und sie zwei Jahre später überraschend in den Nationalrat gewählt. In Bundesbern aber konnte Giacometti ihre Macher-Qualitäten nie unter Beweis stellen. Hier blieb die Freisinnige meist blass. Im Wahlkampf muss sie pointierter auftreten, sonst könnte sie plötzlich parteiintern vom ehemaligen Regierungsrat Christian Rathgeb (53) verdrängt werden.
Benjamin Giezendanner (41): Er ist in grosse Fussstapfen getreten, der Sohn von Politlegende Ulrich Giezendanner (69). Doch der SVP-Nationalrat und Fuhrhalter kämpfte lange mit Startschwierigkeiten, was auch der Pandemie geschuldet war. Doch er brachte auch oft eigene Interessen aufs Tapet – wie die Unterstützung privater Logistikunternehmen oder tiefere Benzinpreise – meist erfolglos. Nun aber will er Vollgas geben und hat seinen ersten Vorstoss eingereicht, der nichts mit Verkehrspolitik zu tun hat. Ob das reicht, damit dem Junior gelingt, was dem Senior nicht geglückt ist: der SVP den Aargauer Stöckli-Sitz retten?
Greta Gysin (40): Die Tessinerin steht stellvertretend für die ernüchternde Bilanz der Grünen. 2019 feierten sie einen historischen Sieg und starteten ambitioniert in die Legislatur: Klima- und Umweltpolitik sollten vorangetrieben werden. Doch geblieben ist wenig. Gysin hat zwar viele Vorstösse eingereicht – jene zum grünen Kernthema lassen sich allerdings an einer Hand abzählen. Gysin, die perfekt Schweizerdeutsch spricht, hätte auch das Zeug gehabt, ihrem Kanton in der Restschweiz ein Gesicht zu geben. Auch diese Chance hat sie kaum genutzt.