Es ist sein grosser Tag, obwohl es nicht um ihn geht. Am 5. Dezember 2018 steht Philipp Matthias Bregy (42) in einem Saal des Restaurants Schmiedstube in Bern, umgeben von lauter Oberwallisern. In der einen Hand hält er eine Weinflasche, die andere hat er zur Faust geballt. Wie ein Fussballfan schlägt er die Faust nach vorne und brüllt: «Merci, Viola! Viola! Viola!» Es ist der Tag, an dem die Walliser CVP-Nationalrätin Viola Amherd (58) in den Bundesrat gewählt wird – und Philipp Matthias Bregy ihren Sitz im Nationalrat erbt.
Heute, zwei Jahre nach seiner Vereidigung unter der Bundeshauskuppel, hat sich der Oberwalliser längst in Bern etabliert. In zweieinhalb Wochen, am 21. Mai, wählt ihn die Mitte-Fraktion – bestehend aus der früheren CVP, der BDP und der EVP – aller Voraussicht nach zu ihrem neuen Chef. Bregy ist der einzige Kandidat für die Nachfolge von Ständerätin Andrea Gmür (56), die im März nach bloss einem Jahr an der Spitze überraschend ihren Rücktritt bekannt gegeben hatte.
Auf Bregy wartet keine leichte Aufgabe. Die Mitte-Fraktion trat während der Corona-Krise im Bundeshaus etwa so diszipliniert auf wie eine Gruppe Hobbyfussballer am Grümpelturnier. Dabei befindet sich die Partei mitten im Umbruch. Mit dem neuen Namen «Die Mitte» will sie den Wählerschwund stoppen. Doch ist Bregy der richtige Mann dafür? Und kann er die lose Gruppe im Bundeshaus wieder auf Kurs bringen?
Tränen nach Nicht-Wahl
Der Oberwalliser will sich vor der Wahl nicht öffentlich äussern. Die Fraktion stehe nun im Vordergrund, teilt er mit. Hört man sich um, ähneln sich die Einschätzungen von politischen Freunden und Feinden: Bregy sei umgänglich, offen und loyal. Er habe Menschen gern und könne sie zusammenbringen – ein Vorteil als Fraktionschef.
Und er macht Politik aus Leidenschaft. Mit 14 Jahren besuchte Bregy zum ersten Mal eine Versammlung der CVP Oberwallis. Mit 20 war er Generalsekretär der Jungen CVP Schweiz. Später politisierte er während fast zehn Jahren im Walliser Kantonsparlament. Als Bregy 2016 nicht zum Gemeindepräsidenten von Naters gewählt wird, kommen ihm öffentlich die Tränen.
Manfred Schmid (53), CVP-Grossrat aus dem Wallis, hat Bregy als Fraktionschef im Grossen Rat erlebt. Er sagt: «Philipp Matthias hat es als Fraktionschef geschafft, die beiden Flügel der CVP Oberwallis zusammenzubringen. Ich traue ihm das auch auf nationaler Ebene zu.»
Schwarze Zwillinge
Damit das gelingt, muss Bregy allerdings seine eigenen politischen Positionen zurückstellen. Denn der gläubige Katholik politisiert am rechten Rand der Mitte. Er ist gegen die Ehe für alle, für höhere Hürden bei der Einbürgerung und tiefere Sozialhilfeleistungen in den Kantonen. Und dann ist da noch Beat Rieder (58). Der Ständerat aus dem Lötschental ist einer der konservativsten Politiker im Bundeshaus – und ein enger Vertrauter Bregys.
Die beiden gelten als die «schwarzen Zwillinge»: Sie führen eine gemeinsame Anwaltskanzlei in Brig, sind verwandt und gehören zu den «Schwarzen», den Vertretern der konservativen Oberwalliser CVP. Auch wenn sie äusserlich nicht unterschiedlicher sein könnten – der eine hager und streng, der andere beleibt und gesellig –, harmonieren sie inhaltlich wie kein zweites Duo in Bundesbern.
Konservative Kräfte gestärkt
Sei es bei der Konzernverantwortungs-Initiative, beim Geldwäscherei-Gesetz oder als es um die Umfahrungsstrasse in Mitholz BE ging: In vielen Geschäften führten sie ein erfolgreiches Powerplay. Der eine sorgt für Mehrheiten im Nationalrat, der andere im Ständerat. Manche in der Partei fürchten sich deshalb bereits vor einem «Schattenminister» Rieder, wenn Bregy am 21. Mai zum Fraktionschef gewählt wird.
Klar ist: Mit Bregy als Fraktionschef, Strippenzieher Rieder im Hintergrund und dem ebenfalls konservativen Gerhard Pfister (58) an der Parteispitze werden die konservativen Kräfte in der Mitte gestärkt. Und das just in dem Moment, in dem sich die Partei des christlichen C im Namen entledigt hat, um auch Menschen in urbaneren Gebieten anzusprechen.
Bregy verkleidet sich als Osmane
Diese dürften allerdings nicht nur bei Bregys konservativen Positionen, sondern auch bei seinem Hobby grosse Augen machen. Der Nationalrat ist nämlich seit längerem Mitglied des Briger Türkenbunds, einer über 100 Jahre alten Bruderschaft, die in Brig die Fasnacht mitorganisiert.
Im Türkenbund verkleiden sich Walliser Geschäftsmänner und Politiker als Osmanen, geben sich spezielle Namen und feiern opulente «Türkenbälle». Bregy etwa nennt sich «Ben Neri Crimineli Laferi» und präsidierte schon das «Gericht» des Türkenbundes, das über die Aufnahme von sogenannten «Jungtürken» entscheidet. In der Stadt Zürich wäre diese Tradition wohl nicht vorstellbar – im Wallis scheint sich kaum jemand daran zu stören.
Wichtiger als die Bruderschaft ist Bregy allerdings seine Rolle im Parlament. Dort will er die Mitte-Fraktion als konservativer Chef zurück zum Erfolg führen. Im Wallis nennen ihn manche schon belustigt Philipp «Messias» Bregy.