Adrian Lobsiger (61) hatte dieses Jahr viel um die Ohren. Als Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (Edöb) war er nicht nur ins neue Datenschutzgesetz involviert, sondern führte auch zahlreiche Schlichtungsverhandlungen im Zusammenhang mit dem Öffentlichkeitsgesetz. Angesichts der Corona-Krise ist das öffentliche Interesse nämlich gross, was hinter den Kulissen der Bundesverwaltung läuft. BLICK trifft Lobsiger in seinem Büro zum Interview. Nur wenige Mitarbeiter sind vor Ort, denn es gilt praktisch eine Homeoffice-Pflicht.
BLICK: Herr Lobsiger, wo haben Sie dieses Jahr mehr Zeit verbracht – im Homeoffice oder im Büro?
Adrian Lobsiger: Ich selber war nie im Homeoffice. Schliesslich musste sich jemand um die minimale Infrastruktur kümmern – wie Post öffnen oder Desinfektionsspender aufstellen. Auch Schlichtungen müssen möglichst vor Ort durchgeführt werden.
Ein grosser Corona-Streitpunkt sind derzeit die Impfungen. Lassen Sie sich impfen?
Ob sich der Datenschützer impft, ist nicht relevant. Wichtig ist hier der Wille des Gesetzgebers: Die Swiss-Covid-App ist so freiwillig wie die Impfung. Das ist im Epidemiengesetz so geregelt. Private Unternehmen sollen nicht eigenmächtig verlangen, dass alle Kunden ein Smartphone mit Gesundheitsdaten, wie zum Beispiel einen digitalen Impfausweis, vorweisen – etwa um in einen Betrieb zu gelangen.
Wieso nicht? Gewisse Branchen überlegen sich ja bereits eine Impfpflicht für Kunden.
Seuchenbekämpfung ist Aufgabe des Staates und nicht von Privaten. Unternehmen sollen die politischen Vorgaben und Sicherheitskonzepte umsetzen. Wenn der Gesetzgeber sagt, es kommt niemand in ein Flugzeug oder in ein Restaurant ohne Impfausweis, dann ist das ein politischer Entscheid.
Es gilt doch auch die Wirtschaftsfreiheit, da soll doch jedes Unternehmen selber entscheiden, mit wem es geschäften will.
So einfach ist das nicht. Natürlich können eine Fluggesellschaft oder ein Beizer jemanden abweisen, weil er andere Gäste stören könnte. Aber sie können keine systematische Handytragpflicht oder digitale Impfausweispflicht einführen.
Es wäre also unzulässig, wenn ein Wirt nur Gäste ins Restaurant lässt, die eine Corona-Impfung vorweisen können?
Ich bin der Meinung, dass das gegen das Datenschutzgesetz verstossen würde. Die Bürger dürfen nicht einer Beschaffung und Bearbeitung von Gesundheitsdaten durch andere Bürger ausgesetzt werden. Ohne gesetzliche Vorgaben geht das nicht! Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Staat regelt, welche Impf- oder Testdaten private Unternehmen wie bearbeiten sollen.
Die Impfungen sind bereits angelaufen, ist es dafür nicht zu spät?
Ich habe empfohlen, die Regulierung einzuleiten. Bis auf breiter Front geimpft wird, bleibt noch etwas Zeit. Diese muss der Bund nun nutzen und klare Regeln schaffen. Es wäre blöd, wenn der Staat jetzt nichts macht und die privaten Unternehmen ganz unterschiedliche Regelungen aufstellen. Dann drohen heillose Diskussionen.
Grundsätzlich wären aber Impfprivilegien möglich, wenn der Bund diese regelt? So könnten Geimpfte zum Beispiel ohne Einschränkungen kulturelle oder sportliche Anlässe besuchen.
Solche Regelungen könnten vorsehen, dass der Zugang zu gewissen Dingen von Impf- oder Testausweisen abhängt. Es ist nicht an mir zu beurteilen, wann das nötig ist. Es gibt aber Fragen der Diskriminierung. Was, wenn jemand kein Smartphone oder keine App mit Gesundheitsdaten vorweisen will? Gibt es Alternativen?
Ein entscheidender Punkt für Sie als Datenschützer ist, was mit den Impfdaten passiert.
Ja, solche Fragen stehen im Raum: Wie werden die Gesundheitsdaten beschafft und aufbewahrt? Wie und wo werden sie gespeichert? Ich möchte verhindern, dass man solche Fragen im letzten Moment stellt und dann unter Zeitdruck handeln muss.
Datenschutz bedeutet immer auch Einschränkungen für die Pandemie-Bekämpfung. Das zeigt das Beispiel der freiwilligen Swiss-Covid-App, die nur wenig hilft. Das heisst doch: Zu viel Datenschutz kostet Menschenleben!
Es liegt nicht an der Datenschutzbehörde, die Abwägung zwischen Pandemierisiken und Datenschutzeinschränkungen zu machen. Das war ein politischer Entscheid. Wir beurteilten nur, ob der Datenschutz den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Dann würden Sie sich gegen eine Verschärfung der App nicht wehren?
Wenn der Gesetzgeber sagt, dass man die Seuchenlage anders nicht in den Griff bekommt und die politische Diskussion im Parlament geführt wurde, ist es nicht am Datenschutz zu sagen, wie man Seuche und Freiheit gegeneinander abwägen muss. Für mich ist einfach wichtig, dass das nicht ein Bundesamt entscheidet.
Selbst ein App-Zwang wäre kein Problem?
Die jetzige Lösung ist das Ergebnis einer politischen Diskussion. Im Nachhinein kann man sagen, dass man sich mehr User gewünscht hat. Trotzdem muss man sich immer fragen, wie sich ein App-Zwang langfristig auswirken würde. Damit ginge eine Handytragpflicht einher – und dann wäre es nur ein kleiner Schritt, dass das Handy plötzlich zum «sozialen Pass» für alles Mögliche würde. Etwa, in welchem Sektor man sich bei einem Lockdown noch bewegen darf. Oder zur Kontrolle einer Homeoffice-Pflicht. Überwachung und Diskriminierung würden damit Tür und Tor geöffnet.
Sie malen den Teufel an die Wand! In einer Pandemie sind die Gesetze ja befristet.
Befristung ist wichtig. Aber Massnahmen, die in Krisenzeiten eingeführt werden, prägen das Verhalten der Menschen auch nach der Krise. Oder werden sogar weitergeführt. Man hat die Massnahmen irgendwann akzeptiert und sich daran gewöhnt. Als Gesellschaft neigen wir zu einem Null-Risiko-Denken und geben unsere Daten relativ schnell heraus, um die risikolose Disneyland-Welt zu verwirklichen. Das ergänzt sich natürlich mit den autoritären Zügen von Staaten und Konzernen, die gerne pflegeleichte Bürger haben. Ich sehe schon ein Risiko, dass uns die Pandemie in ein «Schöne neue Welt»-Szenario schubsen könnte.
Apropos autoritäre Züge des Staates: Wie stark waren Sie im Corona-Jahr als Hüter des Öffentlichkeitsgesetzes gefragt?
Angesichts der zusätzlichen Machtbefugnisse des Staates haben sich viele Bürger und Journalisten Sorgen gemacht um den Ablauf der Entscheide. Es muss aber immer zwischen Vergangenheitsbewältigung und akutem Geschehen unterschieden werden. Wir sind in der Verantwortung, zu helfen, dass der Staat nicht lahmgelegt wird. Gewisse Zugänge – etwa zur Impfstoffbeschaffung – haben wir deshalb aufgeschoben.
Wer ist mühsamer: Die Journalisten, die alles wissen wollen, oder die Verwaltung, die nichts herausrücken will?
Wir befinden uns in einer emotionalen Phase. Viele Beamte müssen Überstunden leisten und sind unter starkem Druck. Im Nachhinein werden ihre Entscheide beurteilt, und dann ist man ja immer ein bisschen schlauer. Die Beamten fühlen sich also unter Druck, und es gibt einen gewissen Frust gegenüber den Öffentlichkeitsgesuchen. Ich schlichte deshalb alle Zugangsgesuche zur Pandemie persönlich, um Verständnis dafür zu wecken, dass der Staat unter grossem Druck steht.
Mit Erfolg?
Im Schnitt haben wir 60 bis 70 Prozent Einigungen. So war es auch im Rahmen der Pandemie-Dokumente.
Bei wem sind Sie derzeit beliebter? Bei den Journalisten oder bei den Beamten?
Wir sind bei beiden immer wieder situativ unbeliebt. Das heisst, wir machen es nicht ganz falsch.
Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein, dass Bundesräte und Beamte nun versuchen, das Öffentlichkeitsgesetz wegen des Corona-Ärgers über Spezialklauseln auszuhebeln?
Sehr gross. Amtsdirektoren finden das Öffentlichkeitsprinzip zwar gut, in ihrem Bereich wollen sie es aber einschränken. Öffentlichkeitsprinzip und Datenschutz haben es in einer Krise immer schwerer.
Seit vier Jahren ist Adrian Lobsiger Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (Edöb) – und ist vom Bundesrat bis Ende 2023 in dieses Amt gewählt. Zuvor war der promovierte Jurist stellvertretender Direktor des Bundesamts für Polizei sowie Dozent zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Er hat zwei Hauptaufgaben: erstens die Datenverarbeitung von Unternehmen und den Bundesbehörden zu kontrollieren und zweitens dem Öffentlichkeitsprinzip zum Durchbruch zu verhelfen. Lobsiger ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und wohnt in Muri bei Bern.
Seit vier Jahren ist Adrian Lobsiger Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter (Edöb) – und ist vom Bundesrat bis Ende 2023 in dieses Amt gewählt. Zuvor war der promovierte Jurist stellvertretender Direktor des Bundesamts für Polizei sowie Dozent zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Er hat zwei Hauptaufgaben: erstens die Datenverarbeitung von Unternehmen und den Bundesbehörden zu kontrollieren und zweitens dem Öffentlichkeitsprinzip zum Durchbruch zu verhelfen. Lobsiger ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und wohnt in Muri bei Bern.