Das Protokoll der Krise in der Waadt
So kam es zum Eklat um Polit-Star Valérie Dittli

Nach der Krise um Staatsrätin Valérie Dittli organisiert sich die Waadtländer Regierung neu. Dittli verliert das Finanzdepartement. Blick erklärt in fünf Etappen, wie es zur Krise kam.
Publiziert: 06.04.2025 um 16:57 Uhr
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Aktualisiert: 07.04.2025 um 12:54 Uhr
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Valérie Dittli: Als Senkrechtstarterin hat sie ihre politische Karriere begonnen – jetzt kämpft sie um die Fortsetzung.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Valérie Dittli verliert Finanzressort nach Prüfbericht, sie hat neue Aufgaben übernommen
  • Interne Spannungen und Vorwürfe führten zur Reorganisation des Staatsrats
  • Drei Hauptvorwürfe gegen die Politikerin im Bericht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Léo Michoud

Valérie Dittli (32) war der Shootingstar der Mitte-Partei, sie wurde auch in der Deutschschweiz als Polit-Star bezeichnet. Doch jetzt kämpft sie um ihre politische Zukunft: Die Reorganisation des Waadtländer Staatsrats ist beschlossene Sache. Am vergangenen Mittwoch hat Dittli die Abteilungen Nachhaltigkeit, Klima und Digitales bekommen. Das gewichtige Finanzressort verliert sie hingegen. Schuld daran war ein externer Prüfbericht, der Missstände in ihrem Ressort aufzeigte und sie persönlich beschuldigte.

Blick rekonstruiert, wie es zur heutigen Situation gekommen ist.

Februar 2025: interne Spannungen

Vor der Wahl tanzen alle zusammen. Mit einem Tiktok-Video kämpft die «Alliance Vaudoise» – eine Allianz von Mitte, FDP und SVP – um Sitze in der Waadtländer Regierung. Der Coup gelingt, Mitte-Politikerin Dittli wird im April 2022 gewählt – ohne dass ihre Partei im Kantonsrat vertreten ist. Doch die Flitterwochen sind schnell vorbei.

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Schon kurz nach der Wahl tauchen Fragen zu ihrem steuerlichen Wohnsitz auf. Ein Gutachten entlastet die Mitte-Politikerin. Es wird ruhiger. Zumindest ein bisschen.

Mitte Februar 2025 veröffentlicht «Le Temps» eine Halbzeitbilanz der Regierung und berichtet von internen Spannungen. Von einer Affäre Dittli ist noch nicht die Rede, zumindest nicht öffentlich. Stattdessen von mangelnder Erfahrung, mangelndem Engagement und fehlender parlamentarischer Unterstützung: Es hagelt Kritik an der Mitte-Politikerin. Diese kommt nicht nur von der Linken, sondern auch von der Rechten. Es wird bereits über eine Spaltung zwischen Valérie Dittli und den drei FDP-Vertretern im Staatsrat spekuliert.

7. März 2025: erste Enthüllungen

Valérie Dittli scheint also isoliert zu sein, noch bevor die Waadtländer überhaupt ungefähr verstehen, was da im Gang ist. Am 7. März kommen die ersten Enthüllungen, auch diesmal wieder über die Zeitung «Le Temps».

Der Neuenburger ehemalige Nationalrat Jean Studer (67) wird auf Wunsch des gesamten Staatsrats – darunter Valérie Dittli – beauftragt, eine Untersuchung durchzuführen. Ein seltener Schritt, der reicht, um anzudeuten, dass etwas nicht stimmt.

Man erfährt, dass allein in der Woche vom 10. bis 14. März die Waadtländer Regierung dreimal zusammengekommen ist. Und das nur, um über das Finanz- und Landwirtschaftsdepartement zu diskutieren, das damals das Departement von Valérie Dittli war. Schon ist die Rede von einem Streit zwischen der Mitte-Politikerin und ihrer Steuerdirektorin Marinette Kellenberger.

18. März 2025: Valérie Dittli wird krankgeschrieben

In der Sitzung des Waadtländer Grossen Rats vom 18. März kommt es zu einer Überraschung: Valérie Dittli ist «aus medizinischen Gründen» abwesend, und zwar «für mehrere Tage», wie RTS berichtet. FDP-Staatsrat Frédéric Borloz (58) vertritt sie kurzfristig.

Der zeitliche Ablauf wirft Fragen auf: Der Studer-Bericht soll in einigen Tagen veröffentlicht werden. Die Gerüchte werden immer lauter: Man spricht von einem Umsturz in den Departementen oder sogar von einem erzwungenen Rücktritt. Diesmal herrscht Krise!

21. März 2025: der Tag X

Am Freitag, 21. März, ist der Tag X. Die sieben Waadtländer Staatsräte versammeln sich im Schloss Saint-Maire in Lausanne zu einer Pressekonferenz. Die Stimmung ist explosiv. Valérie Dittli kommt als Letzte und setzt sich ganz rechts an den langen Tisch. Unter den Augen der Kameras fällt besonders auf: Dittli betritt mit einer Sonnenbrille den Saal.

Der Studer-Bericht entlastet Dittli in einigen Punkten – belastet sie aber auch. Konkret:

  • Der erste Vorwurf: Die Zusammenarbeit mit der Steuerdirektorin sei «schwer belastet» und gehe «über die beiden Protagonisten hinaus». Sechs Staatsbedienstete seien krankgeschrieben.
  • Der zweite Vorwurf: Im Juni 2024 soll Valérie Dittli einen Antrag auf Aufhebung der Besteuerung reicher Steuerzahler gestellt haben. Ein illegales Vorgehen und eine «Überschreitung der Befugnisse», so Jean Studer, der Dittlis Antrag als «ein Erdbeben, eine inakzeptable und sehr schwerwiegende Einmischung» bezeichnete.
  • Der dritte Vorwurf: Dittli wird beschuldigt, das Amtsgeheimnis verletzt zu haben. Sie habe einen ihrer hohen Beamten gebeten, sich mit Personen ausserhalb der Verwaltung zu treffen, die den Unternehmerkreisen nahestehen und die eine Senkung der Vermögenssteuer um 12 Prozent fordern. Über dieses Thema werden die Waadtländer abstimmen.

Was hat das für Folgen? Aufgrund eines «kollegialen» Entscheids entzieht der Staatsrat Valérie Dittli die Verantwortung für Finanzen und Steuern. Dieses Amt wird ad interim von Borloz und später dann von Christelle Luisier Brodard (50) übernommen. Politisch gesehen ist das für Valérie Dittli ein schwerer Schlag, der einer öffentlichen Ausgrenzung gleichkommt.

26. März 2025: Dittli schlägt die Tür zu

Trotz dieser Anschuldigungen macht Dittli keinen Rückzieher. An der Pressekonferenz erklärt sie, mit einem Teil der Schlussfolgerungen des Berichts nicht einverstanden zu sein. Sie fühlt sich missverstanden.

Die Abgeordneten des Waadtländer Parlaments fordern eine eigene Untersuchung. Die Linke ist der Meinung, dass sie absichtlich versucht habe, reiche Steuerzahler zu begünstigen. Andere, wie der Genfer Ständerat Mauro Poggia (MCG), halten die Anschuldigungen für unverhältnismässig.

Valérie Dittli versichert, dass sie nicht zurücktreten werde. Die Atmosphäre ist vergiftet: Am 26. März verlässt Dittli vorzeitig die wöchentliche Sitzung des Staatsrats. Die neue Verteilung der Departemente konnte die Regierung nicht abschliessen. Eine Quelle bestätigte gegenüber «Le Temps», dass sie «die Tür des Sitzungszimmers nach hitzigen Diskussionen zugeschlagen» habe. In Bezug auf die Leaks, die weiterhin bestehen, wurde eine Anzeige gegen Unbekannt eingereicht.

Und jetzt?

Das Haus brennt. Es geht jetzt darum, zu reagieren, sowohl für Valérie Dittli, die wieder gesund werden muss, als auch für den Waadtländer Staatsrat, der die Wogen glätten muss. Zehn Tage nach der brisanten Pressekonferenz wird die neue Departementsverteilung abgeschlossen.

Dittli selbst spricht von «einem neuen Kapitel» und freut sich auf ihr neues «strategisches» Mandat. Sie nennt in «Le Temps» «digitale Transformation, Nachhaltigkeit, Ernährungssicherheit oder auch Cybersicherheit». Der Studer-Bericht liegt nun zur rechtlichen Beurteilung bei der Staatsanwaltschaft.

Also kann man die Dittli-Affäre vergessen, und es geht jetzt einfach weiter? Das ist nicht so sicher.

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