«Es ist zulässig, gewisse Waffen zu liefern»
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Pazifismus in der Krise:«Es ist zulässig, gewisse Waffen zu liefern»

Bekanntester Pazifist der Schweiz über den Ukraine-Krieg
«Es ist zulässig, gewisse Waffen zu liefern»

Die Welt rüstet auf, sogar Pazifisten sind für Waffenlieferungen. Der Posterboy der Armeegegner jedoch lächelt das weg. Alpträume bereiten ihm andere Dinge ...
Publiziert: 24.04.2022 um 09:45 Uhr
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Jo Lang ist das bekannteste Gesicht der Friedensbewegung in der Schweiz.
Foto: STEFAN BOHRER
Tobias Marti Text und Stefan Bohrer Fotos

Er müsste eigentlich schlecht gelaunt sein, denn es herrschen keine guten Zeiten für Pazifisten. Die Welt geht unter, es werden Waffen gebraucht. Die Deutschen rüsten für 100 Milliarden auf und liefern schweres Kriegsgerät an die Ukraine. Sogar neutrale Länder wie Schweden wollen unter den Nato-Schirm flüchten.

Und auch die Schweiz meldet sich zum Aktivdienst. Ein US-Tarnkappenjet soll Iwan den Schrecklichen fernhalten. Der Bundesrat will die Armeeausgaben erhöhen – eine Zeitenwende, die besonders die Grünen erschüttert, von deren althergebrachtem Pazifismus nicht mehr viel zu spüren ist. In Deutschland, wo die Umweltpartei mitregiert, kann es manchem Parteifreund mit Panzerlieferungen nicht schnell genug gehen.

Und es kommt noch dicker: Das Aufrüsten hat den Segen des Wahlvolks. So zeigt eine Umfrage von SonntagsBlick: Die Schweizer wollen näher an die Nato, mehr Geld für die Verteidigung und den F-35.

Er müsste also richtig mies drauf sein, der Mann, der allein an einem Gartentisch sitzt. Nur ist er das nicht. Jo Lang lächelt.

Kein Grund, verzagt zu sein

Lang (67) ist der bekannteste Pazifist (und Zuger) der Schweiz. Er hat die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) mitgegründet, er ist ein Grüner der ersten Stunde, er geisselt seit über 40 Jahren die Geschäfte des Zuger (und Schweizer) Finanzplatzes, zuerst als Lokalpolitiker, später als Nationalrat.

Wabern bei Bern, Campingbeiz Eichholz an der Aare, in zwei Stunden beginnt hier der alljährliche Ostermarsch der Pazifisten. Ausser Lang – Schleife in Ukraine-Farben am Revers, Frisur wie immer – ist noch keiner da.

Gehen Pazifisten gerade durch die Hölle? Lang winkt ab. Der Pazifismus habe schon viel mehr unter Druck gestanden, etwa während der Balkankriege in den 90er-Jahren: «Schwierige Fragen waren das damals, aber keine Demonstranten auf der Strasse, alle waren wie gelähmt.»

Lang findet, dass man überhaupt keinen Grund haben müsse, verzagt zu sein. Nach zwei Wochen Ukraine-Krieg seien allein in Zürich über 40'000 Menschen gegen den Krieg auf die Strasse gegangen. Natürlich erlebe er, dass das militärische Denken gestärkt werde. Aber keiner wisse, ob das «konjunkturell oder strukturell» sei. Ob alles nur eine Phase ist.

Er sieht seine Bewegung sogar gestärkt: «Das Schweizer Modell mit den Tiefststeuern war noch nie so geschwächt.»

Über all dies berichtet der Mann freundlich. Heiter gar. Ist das noch ungebrochener Optimismus oder bereits Realitätsverweigerung?

Sanft, aber gnadenlos

Er schiebt einen Artikel über den Tisch. Der Autor: Josef Lang. Abgebildet sind junge Leute mit Masken und Transparenten. «Vor Nord Stream in Zug haben wir von der Grünen Alternative seit 2016 rund 40 Aktionen gemacht», erklärt Lang und nennt dies «politischen Antiputinismus».

Man fragt sich, was das all die Jahre gebracht hat. Lang mit mildem Lächeln: «Man kann Menschen nicht vorwerfen, wenn es nicht klappt. Nur wenn man es nicht versucht, ist es ein Versagen.»

Das Versagen sieht er bei der Gegenseite. Seine Lieblingsgegner sind die alten Bekannten aus Zuger Tagen. Er beklagt «den Sarkasmus» des Mitte-Präsidenten Gerhard Pfister (Pfister: «Wir werden immer Prügel erhalten, wenn in der Welt ein Öltanker absäuft und dessen Firma Zuger Sitz hat.»), er rügt «die Arbeitsverweigerung» des Zuger SVP-Finanzdirektors Heinz Tännler bei der Umsetzung der Sanktionen (Tännler: «Es liegt doch nicht an uns, Polizei zu spielen und jede Firma abzuklappern.»).

Vorwürfe wechseln mit eindringlichen Fragen: «Warum wurde Putin hierzulande in Politik und Medien so lange geschont?», so der Ex-Berufsschullehrer. Dabei schirmen seine Lachfältchen die Augen vor prüfenden Blicken ab.

Lang holt gerne etwas weiter aus. Da ist er sanft, aber gnadenlos. Lang heisst nicht Kurz. Er redet also von Wolf Biermann, Gerhard Schröder, von Bruder Klaus, berichtet von Stasi-Seilschaften, Frontex, Nicaragua, Libyen und vielem anderen. Nein, dieser Mann wirkt alles andere als geknickt.

Heisse Phase in Putins Krieg: Was passiert als Nächstes in der Ukraine?

Lang wird auch mal stinkig

Nun aber aufgestanden vom Gartentisch, es wird Zeit für den Ostermarsch! Vor dem Marschieren tut er schnell noch etwas für die pazifistische Kriegskasse, indem er Regenbogenfahnen verkauft, das Stück für 15 Franken. Mit ihm hinter dem Tischchen gehen sie sichtbar besser weg. «Wötsch Peace oder Pace?», grüsst er freundlich. Hier kennt ihn jeder.

Auch die Medien drängen sich um ihn. Er ist noch immer das bekannteste Gesicht der Bewegung, deren garantiert gut gelaunter Posterboy. SRF, RTS, Tele Züri – vor der Kamera wird er energisch. Er ballt dann die Fäuste, schwenkt seine Arme rauf und runter. Lang ist ein Medienprofi und weiss sich zu inszenieren.

Journalistenfrage: Wie kann er als Pazifist für Waffenlieferungen sein?

Zuerst einmal hält er das für eine künstliche Diskussion, «weil wir Schweizer ja gar nicht liefern dürfen». Lang wird jetzt fast ein bisschen stinkig, findet, die Debatte sei eine klare Ablenkung von den Sanktionen und den Geldlieferungen an Putin.

Dann aber spricht er das Paradoxe doch noch aus: «Es ist doch logisch, dass sich die Ukraine mit Waffen verteidigt. Wir als Pazifisten wollen nicht, dass ein Kriegsherr wie Putin gewinnt. Darum ist es zulässig, dass man gewisse Waffen liefert.»

Pazifisten vor schwierigen Fragen

Der Vorstand der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) traf sich am Samstag in Bern um über die Frage der Waffenlieferungen zu entscheiden. Im Sinne ihrer anti-militäristischen Sicherheitspolitik sei die GSoA klar dagegen, dass die Schweiz Waffenlieferungen in andere Länder leiste, so GSoA-Sekretärin Anja Gada zu Sonntagsblick.

Heikler ist die Frage, ob die Gruppe generell gegen Waffenlieferungen ist, etwa wie im Falle Deutschlands, das nun die Ukraine aufrüsten will. «Wir haben dazu am Samstag keine Position beschlossen», sagt Gada. Über die Situation im Ausland zu urteilen sei nicht die Aufgabe einer pazifistischen Organisation in der Schweiz. Vielmehr sei es nun wichtig, die Kriegsfinanzierung durch den Handel mit russischem Öl und Gas über die Schweiz sofort zu stoppen.

Die GSoA anerkenne das Recht auf Selbstverteidung der Menschen in der Ukraine und stehe geschlossen hinter dem zivilen Widerstand in der Ukraine sowie den Kriegsgegnern Russlands. Heute Sonntag will die GSoA an ihrer Vollversammlung in Solothurn eine Resolution zum Botschaftsasyl verabschieden. Dieses soll für russische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure wieder eingeführt werden, damit diese in der Schweiz Asyl bekommen.


Der Vorstand der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) traf sich am Samstag in Bern um über die Frage der Waffenlieferungen zu entscheiden. Im Sinne ihrer anti-militäristischen Sicherheitspolitik sei die GSoA klar dagegen, dass die Schweiz Waffenlieferungen in andere Länder leiste, so GSoA-Sekretärin Anja Gada zu Sonntagsblick.

Heikler ist die Frage, ob die Gruppe generell gegen Waffenlieferungen ist, etwa wie im Falle Deutschlands, das nun die Ukraine aufrüsten will. «Wir haben dazu am Samstag keine Position beschlossen», sagt Gada. Über die Situation im Ausland zu urteilen sei nicht die Aufgabe einer pazifistischen Organisation in der Schweiz. Vielmehr sei es nun wichtig, die Kriegsfinanzierung durch den Handel mit russischem Öl und Gas über die Schweiz sofort zu stoppen.

Die GSoA anerkenne das Recht auf Selbstverteidung der Menschen in der Ukraine und stehe geschlossen hinter dem zivilen Widerstand in der Ukraine sowie den Kriegsgegnern Russlands. Heute Sonntag will die GSoA an ihrer Vollversammlung in Solothurn eine Resolution zum Botschaftsasyl verabschieden. Dieses soll für russische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure wieder eingeführt werden, damit diese in der Schweiz Asyl bekommen.


Eher Altersheim als Jugendtreff

Waffenlieferungen mit dem Segen der Pazifisten – die Jungen in der GSoA sehen das auch anders (siehe Box). «Es gibt kein Leben ohne Widersprüche. Und Politik schon gar nicht», erklärt Lang und schaut noch einmal besonders altersmilde. Man fragt sich, wie wohl ihm dabei ist.

Lang ist jetzt 67-jährig, Rentner im Unruhestand. Wie geht es dem Mann eigentlich? «Mein Befinden hängt davon ab, ob ich weiss, was ich zu tun habe», sagt er. Und das wisse er gerade sehr gut. «Seit dem 24. Februar steht mein Leben im Bann dieses Krieges.»

Er organisiert für die Friedensbewegung, er recherchiert über Zuger Verflechtungen – vor allem hat er ukrainische Flüchtlinge bei sich aufgenommen. «Hier kann ich konkret etwas tun.» Eine Frau und ein sechsjähriges Kind, die nur Ukrainisch und Russisch sprechen und mit denen er mittels Handy-Übersetzer parliert.

Der Marsch setzt sich in Bewegung, Jo Lang zieht eine orangefarbene Weste des Demoschutzes an, kontrolliert sicherheitshalber noch mal die Slogans einiger Transparente: «Aha, Kuba. Gut, darum gehts jetzt gerade nicht», grinst er im Bewusstsein, dass der Zufall selbst dem energischsten Aktivisten zuweilen in die Parade fährt. Etwa in Form eines Pro-Putin-Plakats an einer Friedensdemo, was schlechte Presse gäbe.

Ungeachtet der aktuellen Weltlage laufen dem Marsch nicht gerade die Massen zu. Eigentlich ein weiterer Grund, als Pazifist schlecht drauf zu sein. Es sind halt Ferien und schönes Wetter, findet Lang und hofft längerfristig auf die Klimajugend, die für die Friedensbewegung gewonnen wurde. An diesem Tag aber kommt das Gros der Mitstreiter eher aus dem Altersheim als aus dem Jugendtreff. Knapp 1000 Leute sind da.

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Er weiss, wie man predigt

Und Lang ist mittendrin. «Ich könnte problemlos ohne das Getümmel sein», sagt er. Während der Pandemie habe er seine ersten ruhigen Jahre erlebt. Er geht jede Woche mit der Partnerin wandern und schläft mindestens sieben Stunden. Die Albträume seien erst mit dem Einzug der Flüchtlinge gekommen, weil er «plötzlich eine Verantwortung spürt».

Ach, eines noch: Der Historiker hat wieder etwas geschrieben. Über die Demokratie in der Schweiz. Lang: «Ein Buch schreibt sich nicht mit Aktivismus.» Das Werk wurde reihum gelobt, weitere Bücher schweben ihm nun vor, etwa über die Kirche am ethischen Abgrund, damals im Zweiten Weltkrieg.

Sowieso: die Kirche. Von ihr kommt er her, mit ihr wurde er sozialisiert. Geboren in eine katholische Bauernfamilie mit Verwandten in der Mission im fernen Südamerika, vor den Augen die Weltkirche, den Völkerfrieden und die Armen: Lang hat etwas Priesterhaftes, jedenfalls weiss er, wie man predigt.

Aber die Doppelmoral der Kirche, die er als Schüler selber erleiden musste, trieb ihn von ihr weg. Hinüber zu den Genossen, besonders Trotzki hatte es ihm angetan. Er wurde durch die 68er politisiert, kämpfte gegen den Zuger Filz, wurde fichiert, erhielt Berufsverbot und kam wegen WK-Verweigerung in die «Kiste». Heute bezeichnet er sich als «ungläubiger Katholik».

Der Ostermarsch erreicht sein Ziel, den Berner Münsterplatz. Altgediente Pazifisten wirken mitunter etwas ratlos in diesen verrückten Zeiten. Vielleicht gesteht sich auch der gut gelaunte Jo Lang in schwachen Stunden ein, sauer zu sein, dass die meisten Menschen gerade den Falken, Militaristen und Transatlantikern auf den Leim kriechen. Doch heute hat er keine schwache Stunde. «Ich kann in den Spiegel schauen», sagt er. Und lächelt natürlich dazu.

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