Auf einen Blick
Bei der kommenden Abstimmung vom 24. November geht es um viel Geld: Für 4,9 Milliarden Franken sollen in fünf Kantonen sechs Autobahnabschnitte ausgebaut werden. Die Befürworter erhoffen sich dadurch weniger Stau auf den Schweizer Strassen. Die Gegner argumentieren mit dem Klimaschutz. Einig sind sich alle einzig in diesem Punkt: Das Schweizer Verkehrsnetz ist immer stärker ausgelastet. Die Bevölkerung wächst, die Mobilität nimmt zu. Ob im Zug, Bus oder auf der Strasse – es wird enger.
Im vergangenen Jahr wurden 22,3 Milliarden Personenkilometer von der Eisenbahn erbracht, heisst es beim Bundesamt für Statistik. Ein Personenkilometer entspricht der Beförderung einer Person über einen Kilometer. Dieser Wert von 2023 ist ein absoluter Rekord.
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Im selben Zeitraum wurden in der Schweiz 255'981 Autos neu in Verkehr gesetzt – 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig wurden auf dem gesamten Nationalstrassennetz rund 48'800 Staustunden registriert. Das sind 22 Prozent mehr als noch 2022.
Um dem Dichtestress auf den Strassen und im öffentlichen Verkehr entgegenzuwirken, plant der Bund verschiedene Ausbauprogramme: beim ÖV etwa eine Erweiterung des Angebots im Fern- und S-Bahn-Verkehr.
Und auf den Strassen soll es nun das 4,9-Milliarden-Projekt richten. Doch ist das wirklich nötig? Was wäre, wenn es statt mehr Autobahnen weniger Verkehr auf den Strassen gäbe?
Carpooling würde Verkehr um drei Viertel reduzieren
Die Lösung wäre relativ simpel: Carpooling, sprich Fahrgemeinschaften. Wenn die Autos voll ausgelastet wären, würde der Strassenverkehr um fast drei Viertel reduziert. Das Bundesamt für Verkehr berechnete, dass die 4,7 Millionen Privatautos, die es in der Schweiz gibt, im Durchschnitt 23 von 24 Stunden ungenutzt auf einem Parkplatz stehen. Falls sie fahren, sind im Schnitt 1,6 Personen an Bord. Im Berufsverkehr sind es gar nur 1,1 Personen pro Auto.
1,6 Personen schieben sich also täglich in einem etwa acht Quadratmeter grossen Gefährt durch die Strassen – und ärgern sich, dass sie schon wieder im Stau stehen. Diese Zahlen zeigen eindrücklich, wie gross der Effekt wäre, wenn nur schon zwei Personen in jedem Auto sässen. Tatsächlich gibt es bereits Initiativen, die diesen Ansatz zu fördern versuchen.
Eigene Spuren für Fahrgemeinschaften?
Etwas älter ist die Idee einer eigenen Fahrspur für Fahrgemeinschaften. In den USA gibt es zum Beispiel in Bundesstaaten wie Kalifornien oder Washington auf Autobahnabschnitten solche Carpool-Lanes. Auf dieser Spur dürfen nur Autos mit mindestens zwei – manchmal auch drei – Personen fahren. Das heisst: Wer gemeinsam fährt, darf auf die Schnellspur und spart Zeit.
Das Bundesamt für Strassen (Astra) hat diese Idee in der Schweiz getestet. Damit Carpool-Lanes funktionieren, braucht es mindestens dreispurige Autobahnen und lange Distanzen. Ein- und Ausfahrten sowie Verzweigungen führen zu häufigen Spurwechseln. Das bringt den Verkehr zum Stocken. Das zeigt: Die Umsetzung von Carpool-Lanes ist in der Schweiz schwierig.
Viele Initiativen, wenige Nutzer
Auf Bundesebene sind darum derzeit keine Spuren für gemeinschaftliches Fahren geplant. Trotzdem will der Bundesrat Carpooling fördern und hat bereits auf Januar 2023 ein Signal für Mitfahrgemeinschaften eingeführt. Kantone und Gemeinden können es bei Bedarf nutzen. Zum Beispiel könnten geeignete Busspuren so signalisiert werden, dass sie zu gewissen Zeiten mit gut besetzten Autos befahren werden dürfen. Bisher wird das Signal nur in den Kantonen Tessin und Genf auf einzelnen Strassenabschnitten benutzt.
Um Carpooling attraktiver zu machen, gibt es in mehreren Kantonen sogenannte Park-and-Pool-Plätze. Das sind Gratisparkplätze an strategisch günstiger Lage in der Nähe von Autobahneinfahrten. Sie bieten die Gelegenheit, Fahrgemeinschaften zu bilden. Man fährt also mit dem eigenen Auto zum Parkplatz, lässt es dort stehen und fährt gemeinsam mit Bekannten weiter.
Das «Mitfahrbänkli» gibts in verschiedenen Varianten
Ein Angebot, das vor allem im ländlichen Teil der Schweiz auftaucht, sind «Mitfahrbänkli». Im Toggenburg stehen sie an vier Strassenabschnitten. Wer auf den Holzbänken Platz nimmt, signalisiert: «Ich möchte gern mitfahren.» Autofahrerinnen und Autofahrer werden gebeten, anzuhalten und eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Im Kanton Luzern heisst dieses Angebot «Stop and Ride». Sechs Gemeinden beteiligen sich bisher daran.
Ein weiteres Projekt heisst Taxito. An definierten Haltestellen kann der Fahrtwunsch per SMS an Taxito geschickt werden. An der Haltestelle erscheint nun die gewünschte Destination des Fahrgasts. Vorbeifahrende Autos können anhalten und die Person mitnehmen. Sie bezahlt dafür einen kleinen Betrag. Taxito-Haltestellen gibt es in den Kantonen Bern, Aargau und Graubünden.
Es gibt weitere Carpooling-Initiativen wie Blablacar, E-Covoiturage oder Ziplo. Doch bisher funktionieren sie nur im Kleinen. Für die meisten Autofahrerinnen und Autofahrer ist der Vorteil der Angebote zu klein. «Die Leute nutzen ein Angebot nur, wenn sie etwas davon haben», sagt Yves Gasser, Experte für Mobilität bei der Rapp AG, einem Planungsbüro in Basel.
Er nennt das Beispiel Frankreich. «Dort werden Mitfahrgelegenheiten viel öfter genutzt, weil man sich so die Kosten für die Fahrt aufteilen kann. Man spart Geld.» Doch der Kostenfaktor ziehe in der Schweiz schlechter. «Weil hier die Kaufkraft für Mobilität höher ist.»
«Grosses Potenzial bei Firmen»
Es braucht also andere Anreize, um der Schweizer Bevölkerung das gemeinsame Autofahren schmackhaft zu machen. Grosses Potenzial sieht Gasser bei Firmen, die Fahrgemeinschaften fördern. «Etwa indem sie Plattformen entwickeln, auf denen sich die Mitarbeitenden vernetzen können und Parkplätze für gemeinschaftlich Fahrende bevorzugt zur Verfügung gestellt werden.»
Auch wenn der Erfolg von Carpooling bisher eher verhalten ausfällt in der Schweiz, sei es wichtig, es weiterhin mit kreativen Ansätzen zu probieren, sagt Gasser. «Wir müssen die Option des gemeinsamen Autofahrens mehr ins Bewusstsein rücken und den Leuten ein Angebot machen, von dem sie tatsächlich profitieren.»