Auf einen Blick
- Der Gewerbeverband rechnet auf Ende Jahr mit mehr als 50'000 Staustunden
- «Engpässe müssen beseitigt werden»
- «Arbeitsmarktorientierte Migration ist eine Notwendigkeit»
Herr Furrer, wie oft fahren Sie Auto, wie oft nehmen Sie den Zug?
Urs Furrer: Ich brauche fast jeden Tag beides. Ich fahre meist mit dem Auto zum Bahnhof und nehme dann den Zug. Manchmal nehme ich zum Bahnhof auch das Velo.
Warum weibeln Sie für den Autobahn-Ausbau, wenn Sie gerne Zug fahren und das Velo nehmen?
Wir haben Engpässe auf den Autobahnen, die wir beseitigen müssen. Die Staustunden nehmen stark zu. Die monatlich von Astag und Viasuisse erhobenen Zahlen deuten darauf hin, dass wir am Tag der Abstimmung, am 24. November, bereits mehr Staustunden haben werden als im ganzen Jahr davor. Bis Ende Dezember rechnen wir mit mehr als 50'000 Staustunden – ein neuer Negativrekord. Damit steigen auch die Staukosten. 2019 betrugen sie bei den Nationalstrassen noch 1,2 Milliarden Franken. Aktuell gehe ich von jährlich 1,5 bis 2 Milliarden Franken bei den Nationalstrassen aus.
Da würde auch etwas anderes helfen: mehr Homeoffice, mehr ÖV, weniger Autos …
Zwischen 2016 und 2023 haben sich die Staustunden verdoppelt, der Verkehr ist aber in dieser Zeit um weniger als 10 Prozent gewachsen. Das heisst: Wir haben ein Engpassproblem, zum Beispiel in der Genferseeregion, in Basel, Bern und St. Gallen. Diese Engpässe müssen wir beseitigen.
Weshalb engagiert sich der Gewerbeverband so sehr dafür?
Staus kosten viel Geld und machen alles teurer. Beispiel: Ein Chauffeur muss nach viereinhalb Stunden Fahrzeit mindestens 45 Minuten Pause machen – ob er im Stau gestanden ist oder nicht. Eigentlich möchte der Chauffeur nach einem Stau weiterfahren – muss aber Pause machen. Am Ende brauchen Transportfirmen mehr Personal und mehr Lastwagen. Hinzu kommt der Ausweichverkehr.
Was bedeutet das konkret?
Ein Gewerbler, der mit seinem Lieferwagen zum Kunden will, bleibt im Stau stecken, weil die Menschen von der Autobahn auf die Strassen in den Dörfern ausweichen. Der Gewerbler kommt deswegen zu spät, die Zuverlässigkeit sinkt. Das sorgt für Frust und für Folgekosten.
Der Jurist Urs Furrer (52) hat an der HSG studiert. Vor seinem Amt als Direktor des Gewerbeverbands war er Direktor der Branchenverbände Chocosuisse und Biscosuisse. Das FDP-Mitglied ist der Lebenspartner von Regina Ammann (61), die 1999 neun Monate lang für den Landesring der Unabhängigen im Nationalrat sass. Das Paar lebt in Obersiggenthal AG. Furrer ist hier Mitglied der Finanzkommission.
Der Jurist Urs Furrer (52) hat an der HSG studiert. Vor seinem Amt als Direktor des Gewerbeverbands war er Direktor der Branchenverbände Chocosuisse und Biscosuisse. Das FDP-Mitglied ist der Lebenspartner von Regina Ammann (61), die 1999 neun Monate lang für den Landesring der Unabhängigen im Nationalrat sass. Das Paar lebt in Obersiggenthal AG. Furrer ist hier Mitglied der Finanzkommission.
Gegner des Ausbaus argumentieren: Neue Verkehrswege ziehen noch mehr Autos an, das Verkehrsproblem lässt sich nur mit einer Verkehrswende lösen.
Wir stimmen nicht über neue Strecken ab, sondern wir beseitigen bestehende Engpässe. Wir wollen, dass die Autos auf den Autobahnen fahren und nicht durch unsere Dörfer.
Warum pushen Sie nicht das autonome Fahren? Volkswirtschaftlich wäre es sinnvoller, wenn die Menschen weniger am Steuer sässen. Damit könnte man erheblich mehr sparen.
Es braucht alles: innovative Lösungen bei der Bahn, den Strassen und auch beim Langsamverkehr mit dem Velo. Und wir müssen jetzt an sechs wichtigen Hotspots Engpässe beseitigen. Darüber stimmen wir ab.
In Zeiten knapper Kassen muss man aber Prioritäten setzen. Es gibt in Bern Überlegungen, die ÖV-Preise zu erhöhen.
Es gibt keine finanzielle Konkurrenz zwischen Bahn und Strasse – das sind getrennte Töpfe.
Es ist aber nicht in Stein gemeisselt, man könnte das ändern.
Trotzdem würden Sie damit kein Problem lösen. Davon, dass Sie die Vorlage ablehnen, erhält die Bahn nicht mehr Geld.
Dann müssten Sie konsequenterweise einen günstigeren ÖV fordern, damit Herr und Frau Schweizer nicht die Strasse verstopfen und die Gewerbler Vollgas geben können …
Sie können die Bahn-Kapazitäten schon rein technisch nicht verdoppeln. Doch selbst wenn, könnten Sie nicht mehr als 20 Prozent des Personenverkehrs von der Strasse auf die Bahn verlagern. Die Bahn ist am Anschlag. Mit unrealistischen Annahmen zu arbeiten, bringt nichts.
Sprechen wir über Ihr neues Amt: Sie sind seit Mai Direktor des Gewerbeverbands. Verdanken Sie Ihren Job einer FDP-Intrige?
Ich habe während vieler Jahre KMU-geprägte Branchenverbände geleitet. Dort habe ich gesehen, wie die KMU unter der Bürokratie leiden. Beim Schweizerischen Gewerbeverband habe ich jetzt einen grösseren Hebel in der Hand, um gegen diese Last anzukämpfen. Ich bin sehr motiviert, mich voll und ganz für die KMU und das Gewerbe in der Schweiz einzusetzen.
Sie weichen aus: Eigentlich sollte SVP-Mann Henrique Schneider Direktor des Gewerbeverbands werden. Dann enthüllte die FDP-nahe «NZZ am Sonntag» Plagiate – und Schneider kam nicht mehr infrage. Stattdessen wurde es ein Mann mit FDP-Parteibuch: Sie.
Ich habe einen Auftrag und ich schaue nach vorne. Mein Auftrag lautet, für gute Rahmenbedingungen für das Gewerbe zu sorgen.
Was sind in Ihren Augen gute Rahmenbedingungen?
Die Stärke des Gewerbes ist das Machen. Die zunehmenden Berichterstattungspflichten sind eine Gefahr. Ich möchte, dass das Gewerbe weiterhin Zeit zum Machen hat und nicht ständig Berichte ausfüllen muss.
Ethik ist also wurscht?
Ethik ist überhaupt nicht wurscht, sondern die Stärke der KMU. Ein gutes KMU ist im umfassenden Sinn ökonomisch, ökologisch und sozial.
Was sagt der Gewerbeverband zum EU-Dossier?
Der Gewerbeverband begrüsst, dass Verhandlungen geführt werden. Wir beurteilen das Resultat, wenn es auf dem Tisch liegt.
Kein Gewerbebetrieb in der Schweiz kommt ohne Migration aus. Warum gibt es bei SVP-Unternehmern so viel Skepsis gegenüber der EU?
Die arbeitsmarktorientierte Migration ist eine Notwendigkeit. Das bedingt aber, dass man sie durch den Arbeitsmarkt steuern kann.
Am Ende des Tages werden Emotionen über das EU-Dossier entscheiden. Erwarten Sie im Gewerbeverband einen Machtkampf darüber?
Wir erwarten vom Bundesrat ein Ergebnis, das vor dem Volk Bestand haben kann und mehrheitsfähig ist. Es ist der Auftrag des Bundesrats, hart zu verhandeln und mit einem Ergebnis zurückzukommen, mit dem er aufzeigen kann, dass die Vorteile überwiegen.
Die FDP ist im EU-Dossier gespalten. Ihre private Meinung als Liberaler?
Als Direktor des Gewerbeverbands bin ich der Meinungsbildung des Gewerbeverbands verpflichtet. Persönlich ist es mir wichtig, dass wir eine tragfähige Lösung für die künftige Beziehung der Schweiz zur EU haben, bei der die Anliegen des Gewerbes und der KMU berücksichtigt werden.