Auf einen Blick
- Rücktritte im Verteidigungsdepartement führen zu Spannungen und Indiskretionen in Bundesbern
- Bundesrat verurteilt Leaks, Parlamentarierin verdächtigt Departement von Keller-Sutter
- Indiskretionen beschäftigen mehr als die Personalien im Verteidigungsdepartement
In Bundesbern liegen die Nerven blank! Hauen und Stechen sind angesagt. Es sind Tage des Misstrauens und der Missgunst. Sie gipfeln darin, dass das Departement von Verteidigungsministerin Viola Amherd (62, Mitte) jetzt einen Anwalt einschaltet. Indiskretionen, Beschuldigungen, Gifteleien – das Protokoll.
Die Nachricht ist schnell erzählt: Armeechef Thomas Süssli (58) und Nachrichtendienstchef Christian Dussey (60) haben die Kündigung eingereicht. Die Abgänge der Topkader im Verteidigungsdepartement (VBS) sind seit dieser Woche bekannt. Bundesrätin Amherd – sie selbst wird Ende März abtreten – liess nach den Demissionen vom Januar mehrere Wochen verstreichen, bis sie den Gesamtbundesrat darüber informierte.
In Europa herrscht Krieg, die sicherheitspolitische Lage ist angespannt. In Bern gibt aber weniger der Abgang von drei Schlüsselpersonen im VBS zu reden. Vielmehr ist es die Tatsache, dass die Informationen über die Abgänge von Süssli und Dussey vorzeitig an die Medien gelangten.
Das Protokoll einer turbulenten Woche
Am Montag erfährt Blick über einen pensionierten Berufsoffizier erstmals von den Rücktrittsgerüchten um Armeechef Süssli. Sie machen auch unter Sicherheitspolitikern die Runde. Die Gerüchte werden von der Armee auf Anfrage nicht bestätigt.
Am Dienstagmorgen ist es raus: «Nächster Knall im VBS: Der Armeechef Süssli und der Chef des Nachrichtendienstes haben gekündigt», schreibt die «NZZ». Sie stützt sich auf mehrere gut informierte, voneinander unabhängige Quellen. Auch SRF bezieht sich auf entsprechende Informationen. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Im Bundesrat wären die Demissionen erst am Mittwoch, in der ordentlichen Sitzung, offiziell traktandiert gewesen. Amherd will die Vorgänge am Dienstag nicht öffentlich kommentieren.
In der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats, die zufällig in Bern tagt, sind die Rücktritte bis Dienstagmittag kein Thema. Auch die Mitglieder erfahren aus den Medien von den Kündigungen. Amherd besucht die Sitzung kurzfristig – und zeigt sich laut übereinstimmenden Berichten sehr wütend über die Indiskretionen.
Ebenfalls Dienstagmittag: Auf der Plattform X bringt Mitte-Frau Andrea Gmür (60), Präsidentin der ständerätlichen Sicherheitskommission und Vertraute Amherds, plötzlich Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61, FDP) ins Spiel.
Gmür wirft dem Umfeld der Finanzministerin vor, die Abgänge von Süssli und Dussey den Medien gesteckt zu haben. Zu Blick sagt sie: Keller-Sutter stehe der «NZZ» nahe, «und es hat sich schon öfter gezeigt, dass auf diesem Weg Informationen vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangen».
Bundesrat verurteilt Indiskretionen
Am Mittwochmorgen tagt der Bundesrat. Blick macht publik, dass das VBS wegen der Indiskretion eine Anzeige gegen unbekannt eingereicht hat. Keller-Sutters Departement wehrt sich derweil gegen den Vorwurf Gmürs. «Das ist eine Unterstellung», sagt ihr Sprecher. Man begrüsse die Untersuchungen des Leaks.
Am Mittwochnachmittag tritt Amherd mit Süssli und Dussey vor die Medien. Sie ist aufgebracht. Eine seriöse Zusammenarbeit im Bundesrat werde wegen der Leaks verunmöglicht, sagt sie. Der Bundesrat verurteile die Indiskretionen «entschieden».
Amherd erklärt, das VBS habe die beiden Personalgeschäfte am Dienstagmorgen über eine vertrauliche Plattform des Bundes – darauf haben nur wenige Personen Zugriff – für die Regierungssitzung am nächsten Tag bereitgestellt. Als das VBS die Information hochgeladen habe, «drang sie innerhalb einer Stunde nach aussen».
Indirekt scheint also auch Amherd die Vermutung zu äussern, dass andere Departemente hinter dem Leak stecken. Hinter vorgehaltener Hand werden die Vorwürfe in ihrem Departement sogar ganz unverhohlen geäussert, wie mehrere voneinander unabhängige Quellen bestätigen: Man verdächtigt das Finanzdepartement, hinter dem Leak zu stecken.
FDP fordert öffentliche Entschuldigung
Am Donnerstagmorgen macht Blick publik: Schon am Montag wussten Offiziere von den Rücktritten – aus mehreren Telefonanrufen und Mails. Die Information zog Kreise.
Die FDP – die Partei Keller-Sutters – fordert am Donnerstagmittag eine öffentliche Entschuldigung von Mitte-Ständerätin Gmür. Es sei unhaltbar, dass man eine Bundesrätin «ohne Beweise der Indiskretion beschuldigt». Die Debatte erreicht ihren Höhepunkt.
Worum geht es bei sogenannten Leaks eigentlich? Dank Informationslecks bringen Medien relevante Vorgänge ans Licht, die – zumindest vorerst – zurückgehalten werden. Sie sind nicht das Problem der Medien, sondern Ausdruck davon, dass innerhalb der Behörden Konflikte toben oder es an Vertrauen mangelt. «Die Menge an Leaks ist seit Jahren ein Barometer für den Luftdruck im Bundeshaus», kommentiert die «NZZ» am Donnerstagabend.
Es ist in Bern ein offenes Geheimnis, dass Finanzministerin Keller-Sutter und Verteidigungsministerin Amherd das Heu nicht auf derselben Bühne haben. Eine Aufstockung der Armeegelder bekämpfte Keller-Sutter, eine eiserne Verfechterin der Schuldenbremse, gleich mehrfach. Spin Doctors verbreiteten vergangenes Jahr, Amherd und Süssli wüssten nicht, was sie mit dem zusätzlichen Geld anfangen sollten. Dies, obwohl die beiden ihre Pläne immer wieder klar dargelegt hatten.
Auch am Mittwoch sprach Amherd über ihre Vorschläge zur Armeefinanzierung, die der Bundesrat abgelehnt hatte. Sie verneinte jedoch, damit eine Nachricht an Keller-Sutter senden zu wollen. «Ich sehe die Finanzministerin mindestens einmal pro Woche. Ich übergebe ihr Botschaften direkt, nicht über eine Medienkonferenz.»
Konzentration auf Nebenschauplätze
Wie gross die Anspannung ist, zeigt ein weiterer Vorgang: Am Donnerstag meldet sich ein Medienanwalt beim Verlagshaus Ringier, zu dem Blick gehört. Mandatiert hat ihn Amherds Verteidigungsdepartement.
Das VBS stört sich am Blick-Bericht, der publik machte, dass es auch in Amherds eigenem Departement ein Informationsleck rund um den Abgang von Süssli gegeben habe.
Der Anwalt moniert, dass die Berichterstattung mit dem Onlinetitel «Von wegen Keller-Sutter – es waren wohl die eigenen Leute» den Eindruck erwecke, dass die undichte Stelle allein im VBS zu suchen sei. Blick sieht das anders: Die Überschrift nahm Bezug auf die Leak-Mutmassungen aus dem Umfeld von Amherd, und der Artikel hielt fest, dass bereits am Montag Rücktrittsgerüchte zu Süssli kursierten.
Nach Tagen des Misstrauens und der Missgunst bleibt die Erkenntnis: Es gab tatsächlich nicht nur ein Leck – Bern glich eher einem Löchersieb. Die von Amherd wochenlang unter Verschluss gehaltenen Informationen über die Abgänge von Spitzenpersonal sind an verschiedenen Stellen durchgesickert. Und wahrscheinlich auch nicht nur in einem Departement.
Die Frage, wo was zuerst rausging, ist angesichts so vieler Löcher nicht wirklich weltbewegend. Mit Blick auf die weltpolitische Lage bräuchte die Schweiz ein VBS, das sich auf seine wichtigen Kernaufgaben konzentriert – und nicht auf Nebenschauplätze.