Mister Expo Martin Heller zu No Billag
«Der Staat ist nicht böse»

Als Mister Expo.02 schweisste Martin Heller (65) einst die Schweiz zusammen. Jetzt warnt er vor den Spaltpilzen, welche die Schweiz bedrohen.
Publiziert: 05.11.2017 um 14:35 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 06:00 Uhr
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Martin Heller war künstlerischer Direktor der Expo.02.
Foto: Valeriano Di Domenico
Christian Kolbe

SonntagsBlick: Gletscher schmelzen, Berge bröckeln, das Bankgeheimnis ist Geschichte, die SRG wird in Frage gestellt. Ist die Schweiz im Begriff zu zerfallen?
Martin Heller: Natürlich nicht. Auch wenn die Ereignisse, die Sie aufzählen, im Moment nicht gerade zur allgemeinen Beruhigung beitragen. Bloss: Seit ich mich erinnern kann, gab es immer wieder solche Situationen. Denken Sie nur ans Jahr 2001 – das Swissair-Grounding, der Brand im Gotthardtunnel, der Amoklauf in Zug. Man muss sich hüten, reflexartig gleich die Schrift an der Wand zu sehen, die uns mitteilt, dass alles zusammenbricht.

Warum kommen solche Gefühle gerade jetzt wieder hoch?
Es ist halt manchmal kaum zu unterscheiden, ob sich irgendwo ein künstlicher Hype aufbaut, eine herbeigeredete Apokalypse, oder ob es nun wirklich ernst gilt. Diese Differenzierung fällt einem zunehmend schwer.

Wieso?
Es gibt eine grosse mediale Unmittelbarkeit. Alle haben das Gefühl, sofort reagieren zu müssen, wenn etwas geschieht, und ihren Beitrag zu einer möglichen Diskussion leisten zu müssen. Ohne zuerst mal innezuhalten und zu reflektieren, was eigentlich los ist. Das trifft auf die klassischen Medien zu und hat sich durch die sozialen Medien noch verstärkt. Die Schwelle, sich einzumischen, ist stark gesunken.

Alle reden mit – das ist doch urdemokratisch.
In der Schweiz wissen wir sehr gut, was Meinungsäusserungen bewirken können, und wie nötig sie sind. Und auf dieser Grundlage als Bevölkerung eingebunden zu sein in die politischen Entscheidungsmechanismen – das ist grossartig und ein gewaltiger Unterschied zu anderen Systemen. Aber auch hier: Ob öffentliche Einmischungen aus Langeweile oder Geltungsbedürfnis heraus stattfinden oder ob es tatsächlich um demokratische Entscheidungsfindungen geht – wer will das schlüssig beurteilen?

Gegner der No-Billag-Initiative glauben, es gehe nicht nur um die Zukunft der SRG, sondern auch um die nationale Identität der Schweiz.
Seit meiner Tätigkeit für die Expo.02 bin ich mit Begriffen wie nationale oder kulturelle Identität etwas vorsichtig. Wenn überhaupt, müsste man von Identitäten sprechen – in der Mehrzahl. Aber es geht – anders als bei Post oder SBB – bei der SRG in der Tat nicht bloss um eine Dienstleistung, die unseren Alltag einfacher oder komplizierter macht, es geht um ein höheres Gut, es geht um die vierte Macht im Staat. Es geht darum, dass ein gewichtiger Teil der Medien unabhängig und nicht nur aufgrund von ökonomischen Zwängen funktionieren kann. Das ist eine wichtige Voraussetzung für ein demokratisches Staatsgefüge wie die Schweiz.

Wieso ist das für die Schweiz so wichtig?
Es braucht eine nationale Plattform, die den manchmal knochentrockenen, dann wieder unterhaltsamen Austausch von ­Ideen, Gedanken, Debatten und Bildern ermöglicht. Dazu braucht es einen Auftrag; jemand muss sich um diesen so besonderen medialen Diskurs kümmern. Wenn er wegfiele, drohte ein seltsames Vakuum. Das wünschen sich etliche Leute, weil sie darin vor allem Geschäftschancen sehen. Deshalb ist die Debatte von Seiten der No-Billag-Befürworter unehrlich; es wird versteckt, welche wirtschaftlichen und politischen Interessen dahinterstecken. Mittlerweile ist allen klar, dass es nicht um die Gebühren geht, sondern um die SRG, um das Zerschlagen dieser Machtstellung. Einer Machtstellung, die der Staat der SRG zugewiesen hat, weil er sie beauftragt.

«Es geht nur noch um Effizienz und Wirtschaftlichkeit», sagt Martin Heller.
Foto: Valeriano Di Domenico

So ein Austausch wäre durch private Medien nicht zu bewerkstelligen?
Nein, das ist doch sonnenklar! Das wissen wir alle im Kulturbereich: Bestimmte – und unerlässliche! – Qualitäten lassen sich über Marktmechanismen gar nicht finanzieren. Gerade in ­einem Land wie der Schweiz ist das privat nicht zu finanzieren. Nicht nur, weil das Land als Ganzes zu klein ist, sondern auch weil die einzelnen Kultur- und Sprachregionen zu klein sind.

Bedroht eine Annahme der Initiative den Zusammenhalt der Schweiz?
Zusammenhalt ist ein merkwürdiges Wort. Von den über zwei Millionen Ausländerinnen und Ausländern einmal abgesehen, hält uns doch primär der rote Pass zusammen. Darüber hinaus geht es weniger um eine Identität als Schweizer als vielmehr um das Bewusstsein und manchmal auch den Stolz, in einem Land zu leben, dem es gut geht, das funktioniert und das soziale und wirtschaftliche Sicherheit bedeutet. Das haben viele Schweizer verinnerlicht, in einer pragmatischen Art von Zusammenhalt. Diese Bindungen wären auch durch die Annahme der Initiative nicht von einem Tag auf den anderen bedroht.

Langfristig aber schon?
Es gibt die einen, die schätzen diesen Zusammenhalt als etwas Wertvolles, das es zu schützen gilt und dem man Sorge tragen muss. Andere gehen davon aus, dieser Zusammenhalt sei ohnehin gottgegeben oder ein Naturzustand, und deshalb könne man selbst die Substanz solcher Sicherheit aufbrechen.

Die Befürworter argumentieren, sie wollten nicht für etwas bezahlen, das sie nicht nutzen.
Das ist ein Teil der Ökonomisierungsideologie, die seit längerem in vielen Bereichen um sich greift. Es geht nur noch um Effi­zienz und Wirtschaftlichkeit. Oder salopp: um die Frage, ob sich etwas lohnt. Aber diese Frage greift zu kurz bei einem Staatsverständnis, das in der Schweiz ein völlig anderes ist als etwa in Deutschland oder Österreich. Wir haben ein grosses Vertrauen in den Staat, weil wir selber ein Teil davon sind und mitbestimmen können. Der Staat ist nicht das böse Gegenüber, das einen mit seinen Gebühren ausnimmt und mittels Staatsfernsehen indoktriniert, wie es gewisse Befürworter nahelegen. So leben wir Schweizer das, was man Staat nennt, nicht.

Selbst bei einer Annahme der Initiative geht die Schweiz also nicht unter?
Nein, geht sie nicht. Aber deswegen ist die Abstimmung über
No Billag keineswegs belanglos. Bei einer Annahme der Initiative würde ein wesentliches, konsti­tuierendes Element unseres Landes wegbrechen – nur weil einige politische Triebtäter meinen, der Schweiz mehr Effizienz und Egoismus beibringen zu müssen.

Martin Heller: Persönlich

Bevor Martin Heller als künstlerischer Direktor (1998–2003) der Expo.02 die Landesausstellung vor dem Aus rettete, war der Basler unter anderem ­Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich. Heute arbeitet er als selbständiger Kulturunternehmer, entwirft Ausstellungen oder widmet sich Fragen der Stadtentwicklung.

Bevor Martin Heller als künstlerischer Direktor (1998–2003) der Expo.02 die Landesausstellung vor dem Aus rettete, war der Basler unter anderem ­Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich. Heute arbeitet er als selbständiger Kulturunternehmer, entwirft Ausstellungen oder widmet sich Fragen der Stadtentwicklung.

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